Ein Tag im Leben einer Kita-Betreuerin
Hohe Fluktuation, schwierige Arbeitsbedingungen: Kitas stehen unter Druck. Die «Hauptstadt» hat einer Betreuerin in Bern einen Tag über die Schulter geschaut.
Die Kita Altenberg befindet sich an privilegierter Lage: Der stilvolle Altbau unweit der Untertorbrücke säumt das Aareufer, Besucher*innen werden von hohen Türbögen und schmucken Holzfenstern empfangen.
Es ist Donnerstag. Barbara Meyer startet ihren Arbeitstag in der Kleinkindgruppe um 9.30 Uhr. Kolleg*innen der früheren Schicht haben da schon das Znüni vorbereitet, Tee gekocht und Kinder begrüsst.
Meyer trifft kurz nach Arbeitsstart ihre anderen Kolleg*innen im Obergeschoss zum «Rapport» – sie setzen sich gegenseitig ins Bild. Wer macht heute das Büro oder die Küche, wer hilft im Kindergarten? Kita-Leiter Bruno Aeberhard hat heute einen Termin mit dem Schulamt und gleist Bauarbeiten im Garten auf: ein Zimmermann soll eine neue Holzterrasse bauen, und es braucht Absperrungen. Sogar die Kleinkinder sollen einbezogen werden – doch dazu später mehr.
Die Kleinkinderzieherin Meyer arbeitet seit 16 Jahren in der Kita Altenberg – weil sie so viel Erfahrung mitbringt, ist sie auch Gruppenleiterin, bildet Praktikant*innen aus und erstellt die Arbeitspläne.
«Wir sind eine kleine Ausnahme», sagt Meyer. Die Kita habe viele langjährige Angestellte und dementsprechend wenig Fluktuation. Das liege neben dem «schönen Arbeitsort» auch daran, dass sie als Beschäftigte der Stadt im Vergleich zu privaten Kitas leicht besser gestellt seien bei Ferientagen und Arbeitszeiten: Sie arbeiten 41 statt 42 Stunden pro Woche und bekommen zusätzliche Ferientage und einen Teuerungsausgleich.
In der Kita Altenberg werden Babys ab drei Monaten und Kleinkinder bis zum Kindergartenalter betreut – und das von 7 bis 18.30 Uhr, fünf Tage die Woche.
Im Untergeschoss des Gebäudes befindet sich ausserdem ein städtischer Kindergarten – viele Kinder wechseln so nahtlos von der einen in die andere Bildungs- und Betreuungsstruktur. Zusammen mit Barbara Meyer sind während des Arbeitstags sieben weitere Personen im Einsatz. Das ganze Team ist 18 Personen stark, darunter sind Lernende und Praktikant*innen. Nur eine Person arbeitet Vollzeit.
Barbara Meyer trifft die Kinder zum Morgenkreisli – ein kurzer, aber generell freiwilliger Moment der Besinnung. Anschliessend: Grosses Bobbycar-Gestürm und Kinder, die auf dem Bücherteppich hin und herrollen. Erst das Znüni versammelt die Gruppe wieder an einem Ort. Die Kinder nehmen es an einem langen ovalen Tisch mit kleinen Stühlen ein. Zwischen farbigen Bechern und Obsttellern nimmt auch Meyer kurz Platz.
Entschärfte Bedingungen
Dann schwirren die Kinder wieder im Haus aus – in Richtung Bällebad und Ritterburg. «Wir versuchen, auf die Interessen der Kinder einzugehen und sie an der Tagesplanung teilhaben zu lassen», so Meyer. Am Vormittag bedeutet das zunächst, dass die Kinder drinnen spielen – eine grosse Holzempore und ein Schiff mit Bullauge bieten Abwechslung. Im Dinobuch gibt es einen Vulkanausbruch zu bestaunen, und Aufkleber sorgen für kindliche Freudensprünge.
«Wer war schon pieseln?», fragt Meyer. Einige Kinder aus ihrer Gruppe verabschieden sich gerade aus dem Windelalter. Am Ende des Tages wird sie fünf Kinder gewickelt haben – «wenig» und «fast langweilig» finde sie das, aber die Kita sei im August traditionell nur schwach belegt. Viele Kinder haben schon in den Kindergarten gewechselt, und Neuankömmlinge beginnen erst mit der Eingewöhnung.
Wo sollen Tiago, Edi, Alma und Samir heute Mittagessen? Barbara Meyer entscheidet sich gegen die Terrasse, weil dort momentan viele Wespen lauern. Um 11.30 Uhr ist schon Essenszeit. Gianna will getröstet werden – sie hätte gerne neben jemand anderem gesessen. Für sie und die anderen gibt es eine Gemüsesuppe mit Flädli, dazu Reis sowie Gemüse- und Käsestäbchen.
Zusammen mit einem Praktikanten und einem Lernenden im dritten Lehrjahr kümmert sich Meyer in diesen Mittagsstunden um die Kinder – nach dem Essen steht Zähneputzen auf dem Programm. Jeder Sprössling hat eine beschriftete Zahnbürste. Meyer rückt mit überdimensioniertem Gebiss und Bürste an und lehrt die richtigen Putztechniken. In Anbetracht des Themas ist die Lernbereitschaft und Disziplin bei den jungen Zuschauer*innen erstaunlich gross.
Viele Vorgaben
Mittagsschlaf ist angesagt, wobei einige Kinder lieber wach bleiben. Auf einem Zettel an der Wand prangen umfangreiche Instruktionen der Eltern, welches Kind wie lange schlafen soll – wenn überhaupt. Meyer schaut immer wieder ins Schlafzimmer der Kinder. Mit den Erwachten verarbeitet sie kleine Plastik-Rölleli zu einem Ornament.
14.15 Uhr: Die ganze Meute ist wieder wach und singt «Öpfelstückli, Öpfelstückli, alle Chind sind glückli». «Wie macht der Samir?», fragt Meyer. Alle Kinder dürfen dem Lied eine eigene Bewegung hinzufügen.
Kurz darauf geht es ins Malatelier: Mit grossen Mengen Rasierschaum und Fingerfarben toben sich die sechs Kinder aus. Meyer hilft beim Spektakel. An der Wand prangen die Bilder von Picasso und Rothko. Sitzt ein künftiger Meister oder eine Meisterin vielleicht schon in diesem Raum?
Kaum ist der Schaum ausgewaschen, dürfen die Kinder über verschiedene lose Holzdielen laufen und mitentscheiden, welches Profil sich besser für die neue Holzterrasse eignet. Direkte Demokratie will gelernt sein.
In einer freien Minute gibt Meyer dem Praktikanten Feedback: Er soll «mit den Kindern auf Augenhöhe sein» und sich deshalb häufiger hinsetzen. Es sind viele dieser kleinen Handlungen, die im Alltag oft untergehen, aber am Ende des Tages ebenfalls Energie gezehrt haben. Kita-Angestellte wie Meyer erledigen ausserdem bis zu drei Mal pro Tag den Wäschedienst, schauen in Küche und Bad nach dem Rechten und besorgen hin und wieder Essen. Hinzu kommt die an Jahreszeiten orientierte Dekoration der Innenräume – für jedes Kind wird ausserdem ein Ordner geführt, in dem es die jeweiligen Kreationen einheften kann.
Pflichtbewusstsein setzt sich durch
Nach dem Zvieri – der Joghurt mit Zitrone und Minze mundet – geht es in den Garten. Kinder spielen im Sand, fahren Laufrad oder stechen in einem umfunktionierten Wasserboiler in See. Das gibt Barbara Meyer einen Moment, auf der Bank innezuhalten.
Ab 16 Uhr beginnt schon die Abholzeit. Das bedeutet, die Kinder bekommen neue Windeln, und auch die Tische wollen aufgeräumt werden. Als die ersten Eltern eintreffen, schallen englische Sprachfetzen durch den Gang. Bis 18 Uhr hat Barbara noch vier Kinder bei sich.
Von Kolleg*innen, die früher gehen, bekommt sie noch Übergabezettel, auf welchen steht, wie es dem Kind am Tag ergangen ist. Nachdem auch das letzte Kind in die elterliche Obhut zurückgekehrt ist, macht sich Meyer auf den Heimweg – sie wohnt in der Berner Agglomeration und benötigt von Tür zu Tür eine Stunde Fahrzeit.
Weil Meyer mit einem 45 Prozent Pensum angestellt ist, hat sie am folgenden Tag frei. Der Kita-Alltag beginnt für sie erst in der kommenden Woche wieder.