Eine Welt voller Fragen

Das Expert*innen-Kollektiv Askforce beantwortet seit über 20 Jahren Fragen seiner Leser*innen. Und wurde zur Kult-Kolumne. Nun gibt die Askforce ein Gastspiel bei der «Hauptstadt». Warum? Gründungsmitglied Marc Lettau antwortet.

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«Es ist nicht verboten, eine Spur schlauer zu werden»: Marc Lettau, Askforce-Mitgründer. (Bild: Simon Boschi)

Marc Lettau, was genau ist die Askforce und was will sie?

Wenn eine phantasielos genaue Antwort gewünscht ist, kann ich sagen: Die Askforce ist eine Fachinstanz für genau alles, die aus genau zehn Expert*innen besteht. Obschon das mit viel Arbeit verbunden ist, hat die Askforce den Anspruch, eine Welt voller Fragen mit Antworten zu bedienen. Zumindest die Weltregion Bern. Und zumindest jeden Montag.

Wie lautet die phantasievoll ungenaue Antwort?

Man könnte die Tätigkeit der Askforce als Anregung sehen, fragender durch den Alltag zu gehen. Weil man so wacher ist, weil es lustiger ist. Aber auch, weil Fragen ein Gegenkonzept ist zum Behaupten. Die Askforce ist eine spielerische Annäherung an das Offensein. Ich meine nicht Whataboutismus, sondern ein keckes Spiel mit skurrilen Fragen und skurrilen Antworten, bei dem es nicht verboten ist, eine Spur schlauer zu werden.

Der frühere «Bund»-Chefredaktor Patrick Feuz hat kürzlich geschrieben, die Askforce könne fast süchtig machen.

Es gibt unzählige Untersuchungen, die nachweisen, wie viele Fragen Kinder pro Tag stellen. Es sind Hunderte. Aber diese Zahl sinkt mit dem Älterwerden bis auf Null, wohingegen die Zahl geäusserter Behauptungen pro Tag steil ansteigt. Das hat etwas wahnsinnig Unfreundliches. Die Askforce ist eine Übungsanlage, es genau so nicht zu machen.

Das Askforce-Gastspiel

Über 20 Jahre lang erschien die Askforce wöchentlich im «Bund» und erarbeitete sich den soliden Ruf, die schrägste Kolumne der Schweiz zu sein. Im Angesicht der Fusion von Bund und BZ im Herbst 2021 verschwand die Askforce aus dem Traditionsblatt, verewigte sich in einem Buch und tauchte als Startup Anfang 2022 wieder auf. Ab heute bis Weihnachten kuratiert die Askforce in der «Hauptstadt» jeden Montag eine spezielle Selection. Und natürlich sind Hauptstädter*innen eingeladen, die Askforce mit neuen Fragen zu beliefern: [email protected].

Die Askforce gibt es seit 20 Jahren. Wie entstand sie?

Es war so: Die «Bund»-Redaktion fahndete 1997 zusammen mit den Leser*innen in Bern nach einem Krokodil, das den Dackel von Alice Supersaxo gefressen haben soll. Wir merkten: Verdächtigen ist etwas Mieses. Verdacht schöpfen hingegen ist etwas Schöpferisches, und das spielten wir damals zusammen mit den Leser*innen durch. Wir merkten schon vor der Jahrtausendwende, dass wir unsere Kompetenz in diesem Bereich nicht länger verstecken und diskret der Öffentlichkeit zugänglich machen sollten.

Die Askforce beantwortet Leser*innenfragen. Sie war interaktiv, bevor dieses Wort Karriere machte. Kommen die Fragen wirklich vom Publikum oder stellt ihr sie euch selbst?

Ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, was interaktiv genau sein soll. Wir arbeiten interpassiv. Wir bewältigen unser Alltagsleben, dann kommen Fragen herein, und wir machen uns daran, sie zu beantworten. Es gibt Leute, die fragen in bestimmten Phasen jede Woche, andere einmal im Leben. Aber es sind wirklich echte Fragen.

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«Fragen sind anregende Begleiterinnen durch den Alltag»: Marc Lettau beim Gang über den Helvetiaplatz. (Bild: Simon Boschi)

Gibt es schlechte Fragen?

Unsere Trägerschaft heisst ja «Askforce-Verein zur Würdigung der guten Frage». Manchmal sind wir geneigt zu denken, ach, was ist das für eine schlechte Frage, die jetzt  hereingekommen ist. Wir haben vielleicht eine Unlust, sie zu beantworten. Aber keine Frage ist schlecht.

Alle sind gut?

Nun, tendenziell doch etwas schlecht ist die «meinen Sie nicht auch»-Frage. Sie ist bar jeder Neugier. Sie ist eigentlich eine als Frage getarnte Nörgelei. Aber sonst sind praktisch alle Fragen anregende Begleiterinnen durch den Alltag. Uns geht es da nicht anders als unseren Leser*innen, die uns dauernd Fragen schicken.

Wie genau?

Wir befinden uns in diesem Fragemodus, zum Beispiel auch dann, wenn wir über den Helvetiaplatz gehen, auf dem wir uns für dieses Gespräch getroffen haben. Wir fragen uns, was macht die Frau auf dem Denkmal, die eigentlich gar nicht Helvetia ist; warum heisst der Helvetiaplatz trotzdem so; warum tauft in der Schweiz niemand sein Kind Helvetia? Man gerät in einen Flow von Fragen und eine Antwort könnte lauten: Helvetia ist wohl der typische neutrale Name der Schweiz – alle wollen dazugehören, niemand will so heissen.

Fragen als eine Art Lebenshaltung?

Wenn man eine Askforce so wahnsinnig ernst nehmen will, ist das eine mögliche Schlussfolgerung.

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Braucht Bern die Askforce? Sie gibt der Stadt «ein wenig intellektuelle Stabilität», sagt Marc Lettau. (Bild: Simon Boschi)
Der Abwart

Marc Lettau ist Journalist in Bern. Er gehört seit der Gründung im Jahr 2000 zum Expert*innenkollektiv der Askforce und amtet als dessen Abwart.

Die Askforce war die Kult-Kolumne im «Bund». Kurz vor der Fusion der Lokalredaktionen von «Bund» und Berner Zeitung im Herbst 2021 verschwand sie. War der Abgang vom «Bund» eine einvernehmliche Trennung?

Die journalistisch zugespitzte Frage wäre doch: Hat man euch rausgekickt?

Genau.

Die Antwort aus Sicht der Askforce und ihrem Selbstverständnis lautet: Wir sehen uns als selbständig handelndes Subjekt. In der fraglichen Phase haben wir uns die Unabhängigkeit verordnet und haben den «Bund» in die Abhängigkeit entlassen. Das war eine grosse Zäsur für den Medienplatz Bern. Aber es lief ziemlich genau so ab.

Braucht Bern die Askforce?

Sehr unangenehme Frage. Sie zwingt mich, die Wirkungsweise der Askforce zu loben. Die Askforce hat jede städtische Wahl, jede Bundesratswahl und -abwahl, jeden YB-Trainer, jede Medienfusion überlebt. So gesehen geben wir dieser Stadt ein wenig intellektuelle Stabilität. Und wenn ein bisschen mehr gefragt als behauptet wird, ist das auch klimatisch ganz angenehm.

Die Askforce ist selbständig, mit eigener Website und eigenem Montags-Mailing. Von was lebt sie?

Die Askforce lebt vom Austausch, sie lebt vom Spass an der Sache, sie lebt von Brot und Wasser. Leider gibt es da brutale Grundirrtümer. Weil viele Leute wissen, dass wir unbestechlich sind, meinen sie, dass wir keine Zuwendungen brauchen. Dabei bieten wir Spende- und Abonniermöglichkeiten. Nur hatte das im bernischen Mäzenatentum bisher kein Echo ausgelöst. Das könnten wir uns noch ganz anders vorstellen. 

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Lebt die Askforce sogar dann weiter, wenn die Erde von einem schwarzen Loch verschluckt wird? Was für eine Frage! (Bild: Simon Boschi)

Was verspricht sich die Askforce vom Gastspiel bei der «Hauptstadt»? 

Zuerst zu den Emotionen: Gefühlsausbrüche sind nicht Sache der Askforce. Aber im vorliegenden Fall haben mehrere Expert*innen unabhängig voneinander bestätigt, dass angesichts des «Hauptstadt»-Gastspiels bei ihnen eine Ausschüttung des Glückshormons Dopamin ziemlich deutlich oder sogar extrem deutlich feststellbar ist.

Was sagen die Zahlen?

Wir sind bereits heute in der Lage, 100 Prozent derjenigen Leser*innen zu erreichen, die wir schon haben. Das ist sensationell. Dank dieser neuen Kooperation kommen wir unserem Ziel, alle 130 Millionen Deutschsprachigen ansprechen zu können, einen entscheidenden Schritt näher. Ganz klar: Es ist eine grosse Sache. 

Die Askforce hat bis heute knapp 1040 Fragen beantwortet. Wann gehen die Fragen aus? 

Zum Beispiel dann, wenn die Erde von J1144 verschluckt wird, dem kürzlich entdeckten grössten schwarzen Loch, das jede Sekunde Materie im Umfang einer Erde verschluckt. Womöglich endet dann auch die Existenz der Askforce. Womöglich. Denn wir leisten auch einen Beitrag dafür, dass das nicht passiert, wie wir kürzlich in einer Antwort dargelegt haben. Mit dieser Antwort eröffnen wir heute unser Askforce-Gastspiel bei der «Hauptstadt».

Warum genau mit dieser Antwort?

Auch «Hauptstadt»-Leser*innen haben ein Anrecht auf Hoffnung.

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Diskussion

Unsere Etikette
Christine Reichenbach
12. September 2022 um 17:05

Super, dass es die "Askforce" in der "Hauptstadt" gibt.

Tomaso Semadeni
12. September 2022 um 13:16

Da ich trotz Tamedia-Fusion immer noch seit Jahrzehnten treuer „Der BUND“ Leser bin, freue ich mich sehr über das Auftauchen der „Askforce“ in der „Haupstadt“ und würde mich freuen, wenn dieser Auftritt über das Jahr 2022 dauern könnte 👍 Danke 🌹🙏