Hauptstadt-Avatar ohne Kreis, Logo

Stadtrat, Kaufsucht, Modi-Träff

News vom Samstag – Hauptstadt-Brief #545

Hauptstadt-Brief Gipfeli weiss
(Bild: Marc Brunner)

Mago Flück ist der Ratsweibel des Berner Stadtparlaments. Also der Mensch, der etwa während der Debatten herbeieilt, wenn die Höhenverstellung des Redner*innenpults klemmt oder die elektronische Stimmenzählerei ausfällt. Am Donnerstagabend war er in alternativer Funktion zu sehen. Im Ausgehlokal Sous Soul an der Spitalgasse zupfte er den Bass seiner Band namens «Specknockerln», die österreichischen Pop aus den entrückten 1980er-Jahren spielt. Es war das Fest von Tom Berger (FDP), der den Abschluss seines Jahrs als Stadtratspräsident feierte.

Stadträt*innen aller Parteien und Altersklassen flippten friedlich zu unsterblichen Songs wie «Major Tom» oder «Rock me Amadeus» aus. Milizmusiker machten Milizpolitiker*innen glücklich. Linke und Bürgerliche tranken auf Stadtkosten Rotwein, Bier und Schampus. Es war ein entspanntes Bild gelebter Lokaldemokratie.

Auch wenn er sich kurz gehen liess: Der Stadtrat ist ein ernsthafter Ort. Hier werden Entscheide gefällt, die den Alltag in der Stadt mitbestimmen. Hier wird sichtbar, wie politische Mehrheiten mit Minderheiten umgehen – und umgekehrt. Hier werden Debattenkultur und Respekt vor Andersdenkenden vorgelebt. Und hier wird das Bild geprägt, das die städtischen Stimmberechtigten am letzten Wochenende mit ihrem knappen Ja zur sonst landesweit klar abgelehnten Erbschaftssteuerinitiative bestätigten: dasjenige von Bern als linkster Stadt der Schweiz.

Oft korrigiert das Parlament Entscheide der linken Stadtregierung sogar noch weiter nach links Richtung Wohlfühloase. Exemplarisch zeigt das meine Kollegin Marina Bolzli im neusten Stadtrat-Brief auf. Der Entscheid fiel in der Debatte vom Donnerstag, bevor der Ratspräsident zum Austria-Rock lud: Um die soziale Leistung des Jugendkulturzentrums Gaskessel für die Jahre 2026/2027 besser abzugelten, legte das Parlament zum bereits erhöhten Angebot der Regierung noch einmal 100’000 Franken drauf.

Es ist in einer Demokratie wichtig, dass Menschen verstehen, wie ihre politischen Behörden handeln – auch wenn ihnen Fachbegriffe wie Postulat, Motion und Abänderungsantrag nicht geläufig sind. Es ist ebenso wichtig, dass aktive Politiker*innen wissen, dass sie aufmerksam beobachtet werden, wenn sie abstimmen (und manchmal auch, wenn sie abrocken).

Zu beidem leistet die «Hauptstadt» einen konstruktiven Beitrag. Wir sind seit drei Jahren in jeder Stadtrats-Sitzung und dokumentieren das Geschehen laienverständlich im Stadtrat-Brief. Und wir testen jedes Jahr mit einem Crowdfunding, ob die Nachfrage dafür besteht. Erst, wenn wir 18’000 Franken gesammelt haben, ist der Stadtrat-Brief für das nächste Jahr gesichert. Hier kannst du unseren Effort für die lokale Demokratie 2026 mit deinem Beitrag unterstützen. Vielen Dank!

Unitobler-2
Bilderserie von Luisa Baumgarten (6/12): Unitobler. (Bild: Luisa Baumgarten)

Und das gebe ich dir mit ins Wochenende:

  • Jugendarbeit: Der Modi-Treff Punkt 12 an der Jurastrasse im Lorrainequartier ist eine Berner Institution. Als er 1997 eröffnet wurde, war er erst der zweite Mädchentreff in der Schweiz überhaupt. Nun wird der Treff für Mädchen, junge Frauen und genderqueere Personen jedoch per Anfang 2026 wegen rückläufiger Nachfrage geschlossen. Das hat der Vorstand des Trägervereins für offene Jugendarbeit (Toj) unlängst beschlossen. Laut dem Trägerverein besuchen die meisten Nutzer*innen mittlerweile andere Angebote des Toj oder sie würden unterstützt, Alternativen zu finden. Fest steht für den Toj jedoch, dass die bei Punkt 12 frei werdenden personellen Ressourcen «weiterhin in gendersensible Angebote investiert werden».
  • Kaufsucht: Der Shopping-Rausch ist in der Vorweihnachtszeit voll im Gang. Ob auf Weihnachtsmärkten, befeuert vom Rabattfieber, in den Läden der Innenstadt oder online. Der Versuchung zu widerstehen kann für Menschen, die zu Kaufsucht neigen, eine grosse Herausforderung sein. Meine Kollegin Andrea von Däniken hat mit Marion Thalmann, Expertin bei «Berner Gesundheit», darüber gesprochen, wie man Suchtanzeichen erkennt – und sie trotz aufkeimender Scham anpacken kann.
  • Schule: Die Gemeinde Belp erregt landesweit Aufsehen. Sie plant ab kommendem Sommer einen Versuch mit einer Jahresschule, wie Bund/BZ (Abo) als erste schrieben. An einer Basisstufenklasse soll probehalber die Viertagewoche eingeführt und im Gegenzug die Zahl der Ferienwochen von 13 auf 6 reduziert werden. Die Details hat die Gemeinde auf ihrer Website publiziert. Der Fokus des Versuchs liege auf der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie. Eltern, die Schwierigkeiten haben, bei 13 Ferienwochen die Betreuung sicherzustellen, sollen so entlastet werden. Die Teilnahme an der Jahresschule ist freiwillig, der Versuch von der kantonalen Bildungsdirektion bewilligt.
  • Fussball: Nach heftigen Ausschreitungen einiger Fans beim Europa-League-Auswärtsspiel letzte Woche gegen Aston Villa in Birmingham muss YB eine Busse von 50’000 Euro zahlen. Zudem darf YB für das nächste Europacup-Auswärtsspiel in Stuttgart keine Tickets an seine Fans verkaufen. Das hat der europäische Fussballverband Uefa entschieden. Grossrät*innen von Mitte, FDP und SVP fordern in einem Vorstoss, in Stadien Videoüberwachung samt Gesichtserkennungs-Software einzuführen, wie das Regionaljournal von Radio SRF berichtet. Beim YB-Fan, der in England für zwei Monate in Haft sitzt, handelt es sich laut dem TV-Sender Telebärn um einen Lehrer aus Fraubrunnen. Schüler*innen und Eltern setzen sich mit einer Petition für ihn ein. Und stimmt, Fussball spielt YB auch noch: Am Sonntag treten die Männer im Wallis gegen den FC Sion an, die Frauen schon am Samstag in Genf gegen Servette.
  • Viererfeld: Die Böden des Vierer- und Mittelfelds in der Länggasse, wo eine grosse Wohnüberbauung entstehen soll, sind mit sogenannten Ewigkeitschemikalien (PFAS) belastet. Grund dafür ist, dass auf diesen Landwirtschaftsflächen einst jahrzehntelang Klärschlamm ausgetragen wurde. Zwar gibt es derzeit keine verbindlichen Grenzwerte. Nach heutigen Stand der Wissenschaft stelle die gemessene Belastung aber keine Gefahr für die Bevölkerung dar, schreibt die Stadt Bern in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Umwelt (Bafu).
  • TV-Tipp: Der Film «Wir Erben» des Berner Regisseurs Simon Baumann wird diesen Sonntag auf SRF erstmals im TV ausgestrahlt (Sonntag, 7. Dezember, 22.35 Uhr, SRF 1, danach auch auf Play SRF). «Wir Erben» wurde unter anderem mit dem Berner Filmpreis ausgezeichnet. Hier findest du vorab das «Hauptstadt»-Interview mit Simon Baumann.

PS: Die Raison d’être des unabhängigen Berner Expert*innen-Kollektivs Askforce besteht darin, Fragen seiner Leser*innen zu beantworten. Und zwar seit exakt 25 Jahren. Einst tat sie das in der Tageszeitung «Der Bund», jetzt tut sie es selbstständig auf ihrer Website – und gelegentlich in der «Hauptstadt». Ihr Jubiläum feiert die Askforce heute Samstag bodenständig im Altstadt-Kulturlokal Ono (20 Uhr, Eintritt 25 Franken). Es gibt Torte und tolle Musik der Kultband Colibri. Noch Fragen?

Ohne Dich geht es nicht

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Das unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Das geht nur dank den Hauptstädter*innen. Sie wissen, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht und ermöglichen so leser*innenfinanzierten und unabhängigen Berner Journalismus. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 3’000 Menschen dabei. Damit wir auch in Zukunft noch professionellen Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3’500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die «Hauptstadt» und für die Zukunft des Berner Journalismus. Mit nur 10 Franken pro Monat bist du dabei!

Ohne Dich geht es nicht

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Das unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Das geht nur dank den Hauptstädter*innen. Sie wissen, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht und ermöglichen so leser*innenfinanzierten und unabhängigen Berner Journalismus. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 3’000 Menschen dabei. Damit wir auch in Zukunft noch professionellen Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3’500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die «Hauptstadt» und für die Zukunft des Berner Journalismus. Mit nur 10 Franken pro Monat bist du dabei!

tracking pixel