«Bühnen Bern sind auf der Bühne sehr woke»
Alec von Graffenried findet, Bühnen Bern haben bei der Kommunikation einen Fehler gemacht, lobt die Kulturinstitution aber ausführlich. – Teil 2 des Interviews mit Berns Stadtpräsident.
Alec von Graffenried, gehen Sie häufig ins Stadttheater?
Ich besuche eigentlich jede Vorstellung der Tanzsparte, fast jede des Schauspiels. Ich finde das Schauspiel von Bühnen Bern unglaublich spannend.
Warum?
Weil es relevant ist. Aktuell wird in Bern relevantes Theater gemacht.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Bühnen Bern charakterisieren?
Bühnen Bern ist die mit Abstand grösste Kulturinstitution. Es ist wichtig, dass sie gut läuft. Wir können uns das nur leisten, solange sie relevant ist und das Richtige macht. Kultur ist wie eine Pyramide. Sie braucht eine breite Basis. Aber sie braucht auch eine Spitze. Und das sind Bühnen Bern. Das Orchester ist exzellent und eines der besten der Schweiz, wodurch es auch internationale Ausstrahlung hat. Der Tanz ist seit 10 Jahren eine Erfolgssparte. Und wenn man von diesen sehr autoritären Ballettcompagnien spricht, muss man sagen, dass der Tanz in Bern schon lange eine ganz andere Entwicklung genommen hat. Vom Schauspiel war ich lange eher mässig begeistert, ich fand, auf anderen Bühnen werde Interessanteres geboten. Aber im Moment spielt die Musik auf Bühnen Bern. Ich bin ziemlich begeistert.
Bühnen Bern sind aber auch in den Schlagzeilen wegen dem, was hinter der Bühne passiert. Wir sprechen vom Missbrauchsfall in der Tanzsparte. Wie sehen Sie da Ihre Rolle?
Wir müssen hinschauen, wir müssen aufmerksam sein. Das ist sehr wichtig für uns.
Schauen Sie genug gut hin?
Ja, wir haben das gut angeschaut, und wir sind immer noch dran. Wir arbeiten jetzt die letzte Phase auf. Aber insgesamt muss ich schon sagen, Bühnen Bern sind auf der Bühne sehr «woke», sie begleiten den gesellschaftlichen Diskurs. Ich würde sogar sagen, sie prägen ihn mit. Und sie haben selbstverständlich auch den Anspruch, das nach innen umzusetzen. Ich glaube, sie sind gut unterwegs. Wir hatten direkt mit Stiftungsrat und Leitung Kontakt, ich habe alle Verlautbarungen gehört und gehe mit ihnen weniger hart ins Gericht als zum Beispiel die «Hauptstadt».
Wie meinen Sie das?
Ich bin dort immer ein bisschen selbstkritisch und überlege mir, wie ich reagiert hätte in einer solchen Situation. Ich habe Respekt, denn die Leitung hat rasch reagiert, sie haben gut reagiert. Und nun wird gesagt, dass sie uns von der Stadt nicht informiert hätten. Ja, das ist ein Fehler. Wir haben das thematisiert. Sie haben sich entschuldigt. Sie können sich im Nachhinein auch nicht genau erklären, warum sie uns nicht informiert haben. Fehler können passieren. Wichtig ist, was man daraus lernt und wie man sie danach korrigiert.
Kulturamtsleiterin Franziska Burkhardt machte schnell klar, dass es ihr missfiel, nicht informiert worden zu sein. Für Sie hingegen ist es ein verzeihbarer Fehler?
Er ist einfach passiert. Bei Fehlern ist es immer wichtig, wie man damit umgeht. Es war rasch klar: Das geht nicht so, das liegt nicht drin, das muss korrigiert werden. Ich gehe davon aus, dass so etwas ein nächstes Mal nicht mehr passieren wird. Die Leute, die daran beteiligt waren, sind jetzt sensibilisiert. Das Einvernehmen zwischen uns ist gut und das Klima offen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sich dieser Fehler wiederholen könnte.
Sie haben ja Nadine Borter als Stiftungsratspräsidentin geholt, weil sie «jung und kommunikativ» sei. War das eine gute Wahl?
Ja.
Auch jetzt nach diesem Fehler?
Ja.
Warum?
Weil sie gut ist, weil sie engagiert ist, weil sie sich richtig reinkniet. Sie macht viel für Bühnen Bern. Und das finde ich gut. Ich finde übrigens den ganzen Stiftungsrat gut. Ich finde, er ist sehr gut zusammengesetzt. Und das wäre ja die erste Reaktion, dass wir uns fragen müssten, ob wir den richtigen Stiftungsrat haben.
Gibt es irgendwelche Konsequenzen aus diesem Fehler?
Ja, da ging etwas. Wir sagten: Es muss auch über Vorfälle, die politisch relevant sind oder die Reputation der Institution in Frage stellen können, informiert werden.
Bühnen Bern bekommen mehr als die Hälfte des städtischen Kulturbudgets, weiteres Geld von Kanton und Regionalkonferenz. Die Steuerzahler*innen finanzieren die Kulturinstitution also. Sind Bühnen Bern genug transparent?
Ja.
Als die «Hauptstadt» Alec von Graffenried darauf anspricht, dass der Lohn des Intendanten der grössten Kulturinstitution im Kanton nach wie vor nicht bekannt gegeben werde, weist der Stadtpräsident darauf hin, dass er in einem Dokument öffentlich einsehbar sei. Tatsächlich hat der Kanton Bern Mitte September dieses Jahres in seinem Reporting über die Beteiligungen des Kantons für das Geschäftsjahr 2021 den Lohn erstmals öffentlich gemacht. Zuvor war während Jahren ein Geheimnis um diese Zahl gemacht worden, noch im Sommer hatte die «Hauptstadt» auch auf offizielle Anfrage bei der Stadt Bern keine Auskunft erhalten mit der Begründung des «Geschäftsgeheimnisses» und dass die Angaben «Rückschlüsse auf die Lohnverhältnisse einzelner Mitarbeitenden zulassen».
Florian Scholz verdient im Jahr 220’000 Franken. Zum Vergleich: Stadtpräsident Alec von Graffenried, dessen Lohn gedeckelt wurde, bekommt ebenfalls 220’000 Franken für seine Arbeit.
Bühnen Bern machen gute Kunst, sind aber so riesig, dass die Institution schwierig zu navigieren ist. Sie ist ein Koloss – oder was finden Sie?
Das mag stimmen. Bühnen Bern ist ein grosses Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden. Oft wird das Führungsmodell kritisiert. Es wird gesagt, es gebe starke Hierarchien, einen Intendanten, der alles bestimme. Ich erlebe das nicht so. Jede Sparte ist recht eigendynamisch und frei in der Entwicklung. Dadurch wird die ganze Organisation doch recht breit.
Braucht es denn überhaupt einen Intendanten? Man könnte ja sagen, es reicht, nur Spartenleiter*innen zu haben.
Vielleicht, aber damit jemand die Gesamtverantwortung hat und koordiniert, braucht es einen Intendanten. Das finde ich richtig.
Warum?
Ich finde es gut, dass es da eine Ansprechperson gibt, die verantwortlich ist. Für uns ist zwar der Stiftungsrat die erste Ansprechperson, aber dahinter kommt gleich die Geschäftsleitung.
Ist es denn die richtige Geschäftsleitung? Sie hat ja nach den ersten Missbrauchsfällen auf eine Supervision verzichtet.
Aber sie hat Massnahmen getroffen. Sie ist zu einer externen Stelle gegangen, sie hat die gemachten Vorschläge übernommen. Eine Supervision wurde nicht vorgeschlagen. Im Nachhinein fand die Geschäftsleitung dann auch, das wäre eine gute Idee gewesen. Aber dieser Vorschlag lag halt nicht auf dem Tisch und kam niemanden in den Sinn. Das kann passieren.
Finden Sie, bei Bühnen Bern sollte etwas ändern?
Die sollen sich weiterentwickeln. Ich war sehr gespannt auf die neue Leitung, ich finde, sie hat ihre Versprechungen bis jetzt eingelöst – und ich lasse mich sehr gerne überraschen. Mein Anliegen ist ein anderes.
Welches?
Ich staune über die Medienberichterstattung. Gleichzeitig zum Bekanntwerden der Missbrauchsfälle gewann Kim de l’Horizon den Deutschen Buchpreis. Der Missbrauchsfall wurde gross abgefeiert, der Erfolg von Kim de l’Horizon wurde sehr diskret abgehandelt. Dabei gewinnt Kim de l’Horizon vermutlich auch den Schweizer Buchpreis. Und wie kam Kim de l’Horizon an den Punkt, wo er*sie jetzt ist? Durch Bühnen Bern. Bühnen Bern spielen eine entscheidende Rolle für diesen Erfolg. Und diese Verknüpfung, dass Bühnen Bern eine*n Artist in Residence engagiert haben, der*die jetzt gerade im deutschsprachigen Raum Karriere macht, das wurde nirgends erwähnt. Da bin ich sehr irritiert. Mehr als irritiert.
Warum?
Ich habe Kim de l’Horizon dank Bühnen Bern entdeckt. Und diese Verknüpfung hat niemand gemacht. De l’Horizons Stück «Sommernachtstraum» in der letzten Spielzeit hatte mich begeistert, und jetzt freue ich mich auf Hänsel & Greta & the Big bad witch, das ich im Dezember besuche.