«Hey, ich bin auch lustig»
Die Thunerin Moët Liechti, amtierende Schweizermeisterin im Poetry Slam, ist eine von drei Frauen, die bisher den Titel geholt hat. Sie tritt diesen Mittwoch, 23. August, am «Hauptstadt»-Event in Wabern auf.
Moët Liechti steht gerne im Mittelpunkt. Das wird sofort klar, als die Fotos für diesen Artikel gemacht werden. Sie beisst in die Wassermelone, spielt mit den Haaren, schaut schelmisch über den Rand der Sonnenbrille – den Blick munter auf die Kamera gerichtet. Sie hat offensichtlich viel Spass dabei, sich zu inszenieren. Kein Wunder, fühlt sie sich auch auf Bühnen pudelwohl.
Dabei macht sie noch nicht lange Poetry Slam, streng genommen erst seit eineinhalb Jahren. Trotzdem holte die 23-Jährige am 1. April 2023 den Titel an der Schweizermeister*innenschaft. Sie sei «DIE Slam Poetin der Stunde», schreibt Marco «Güsche» Gurtner – ebenfalls Slam Poet und Schweizermeister 2019 – im Podcast «Herrgöttli Panaschiert» und lobt sie dort in den Himmel.
Poetry Slam ist ein literarischer Wettbewerb, bei dem Dichter*innen mit selbst verfassten Texten gegeneinander antreten. Das Publikum entscheidet, wer gewinnt. Der Preis ist meist ein symbolischer Whisky, der am selben Abend mit den Mitstreiter*innen gemeinsam getrunken wird.
Die Texte haben keine inhaltlichen Vorgaben. Comedy, Politik oder einfach nur eine Geräuschkulisse nachahmen, alles ist erlaubt. Das Publikum weiss nie, was es erwartet.
Ein paar Vorgaben gibt es trotzdem: Die Slam-Texte dürfen in der Schweiz nicht länger als sechs Minuten sein, müssen aus der eigenen Feder stammen und weder Requisiten noch Verkleidungen sind erlaubt. Das gesprochene Wort steht im Vordergrund – Singen ist zwar gestattet, soll aber Nebensache bleiben. Die Slams leben von der Selbstinszenierung der vortragenden Poet*innen und die Themen sind so divers wie die Menschen – die «Slamily» – selbst.
Luft schnuppern
Ihre Karriere ist nicht lang, aber steil. Nachdem sie sich an verschiedenen kleinen Slams ausprobiert hat, wurde sie für die Meister*innenschaft 2022 angefragt. Liechti war zuerst unsicher, ob sie nach nur vier Monaten Slam-Erfahrung schon bereit wäre für die Meister*innenschaft. «Andere sind seit mehreren Jahren in der Slam-Szene, aber nehmen erst seit Kurzem daran teil», sagt sie. Diese Chance wollte sie sich jedoch nicht entgehen lassen. «Ich dachte, ich kann ja mal Wettkampfluft schnuppern.»
Unerwartet qualifizierte sie sich in der Vorrunde für das Finale und stand mit elf Männern im Berner Stadttheater auf der Bühne. Ab da ging es los mit den Anfragen, erzählt Liechti. «Ich dachte, das sei jetzt der Höhepunkt.»
Ein Jahr später stand sie wieder auf der Bühne – mit kaputtem Knie, auf Krücken und unter Schmerzmitteln. Der Unfall passierte am Abend zuvor. Sie wollte die Vorrunde bloss hinter sich bringen und ihrer Kollegin eine Freude machen, die sie noch nie gesehen hatte. Doch dann erneut: Sie stand im Finale. «Ich war wie im Film», sagt Moët Liechti.
Als feststand, dass sie gewonnen hatte, sei die ganze Slam-Szene gerührt gewesen. Viele hätten geweint, weil sie nach Hazel Brugger, die den Titel 2013 holte, die erste Frau war.
Es gibt nur drei Frauen, die bisher den Titel geholt haben: Lara Stoll (2010), Hazel Brugger und nun Moët Liechti.
«Dann findet mich das Publikum halt nicht lustig»
Die Titelverteidigerinnen seien aber bei weitem nicht die einzigen Frauen in der Szene. «Es machen nicht mehr Männer als Frauen Poetry Slam», sagt Moët Liechti. Es sei vielmehr ein gesellschaftliches Problem, das sich in der Slam-Szene widerspiegle. «Viele talentierte Frauen werden nicht eingeladen, weil die Veranstalter*innen lieber einen lauten, lustigen Mann möchten als eine Frau, die etwas zu sagen hat», sagt sie.
Noch ticke die Gesellschaft so, dass nur Männern zugetraut werde, gute Comedy zu machen, findet sie. «Immer wieder sagen mir Frauen, dass sie es toll finden, dass ich mich mit Comedy-Texten auf die Bühne wage. Sie selbst hätten Angst, dass ihr Humor nicht ankomme oder sie nicht ernst genommen würden», sagt Liechti.
Moët Liechti hat auch schon überlegt, lyrische Texte zu schreiben und zu performen statt lustige. Denn eine Frau, die mit humorvollen Texten auf der Bühne stehe, brauche ein dickes Fell. «Ich riskiere neben einem Mann unterzugehen, der von der Komik her genau dasselbe macht wie ich. Wer das nicht wegstecken kann, hört schnell wieder auf», sagt sie.
Bei ihr habe es das Gegenteil ausgelöst, erzählt sie. «Es hat mein Ego gepusht. Ich bin auf die Bühne gestanden und habe gesagt ‹Hey, ich bin auch lustig!›»
Wenn das Publikum sie dann trotzdem nicht lustig finde, brauche das auch eine gewisse Arroganz, sagt Liechti. Die habe sie.
Eigenes Programm
Liechti nimmt die Inspiration für ihre Slam Texte aus dem Alltag. Die Lehrerin erlebt mit ihren Kolleg*innen und mit den Kindern viele Momente, die sie in die Texte einfliessen lässt. Besonders fasziniert ist sie von Menschen und ihren Eigenschaften und Orten im Alltag, die man immer wieder streift wie der Bahnhof oder Cafés. Ihre Ideen sammelt sie auf dem Handy oder im Notizbuch. Irgendwann formt sich aus den einzelnen Teilen ein Text. «Ich bin immer am Denken und Schreiben. Es ist nicht so, dass ich aus dem Nichts von der Muse geküsst werde und einen Slam-Text schreibe», sagt sie.
Es sei auch schwierig, neue Themen und Pointen zu finden. Viele Themen seien schon in Slams vorgekommen. «Da musst du aufpassen oder sehr kreativ sein, dass du nicht Dinge sagst, die schon mal gesagt wurden», sagt Liechti. Auch ihr sei es passiert, dass jemand sie nach einem Auftritt darauf hingewiesen habe, dass ihre Pointe – auf die sie so stolz war – schon woanders gesagt wurde.
Liechti überlegt an einem eigenen Programm herum. Einige Slam-Texte würden sich dafür schon sehr gut eignen, sagt sie. Sie will darin Begegungen mit Menschen an unterschiedlichen Orten festhalten und thematisieren. Mehr will sie noch nicht verraten.
Show-Modus
«Texte müssen gelebt werden», findet Moët Liechti. Dafür eigne sich Poetry Slam sehr. Moët Liechti hat früher Theater gespielt und da die Freude an der Performance auf der Bühne gefunden. Sie liebt es, wenn sie das Publikum spürt und den Text der Situation anpassen kann. Dann läuft sie zu Hochtouren auf: «Wenn ich im Show-Modus bin, habe ich auf der Bühne auch schon Pointen spontan ergänzt.»
Doch ihre satirische und ironische Art sei auch heikel. Man könne falsch verstanden werden oder jemandem zu fest auf die Füsse treten. Denn die Themen oder Menschen, die sie in den Slams verarbeitet, kämen oft nicht so gut weg.
So möchte sie auch über das Velofahren einen Text machen. Denn: «Ich hasse Velofahren, aber damit mache ich mir in der Berner Velostadt wohl keine Freund*innen», sagt sie und lacht.
Vom 21. bis zum 25.8. arbeitet die «Hauptstadt»-Redaktion in den Räumen der Villa Bernau in Wabern. Journalistisch legen wir in dieser Woche einen Schwerpunkt auf Menschen und Entwicklungen in Wabern. Die Villa Bernau ist öffentlich zugänglich, wir freuen uns über Besuch. Wir veranstalten zudem einen Kulturevent für «Hauptstädter*innen» und solche, die es werden wollen: Am Mittwoch, 23.8., ab 18 Uhr, tritt Moët Liechti, die amtierende Schweizermeisterin in Slam Poetry, in der Villa Bernau auf. Und: Einen Apéro gibt es auch.
Wie schlecht Wabern wegkommen wird, werden wir morgen Mittwoch, 23. August, am «Hauptstadt»-Event erfahren. Denn Moët Liechti hat für den Event einen neuen Text über die urbane Vorstadt vorbereitet. Ihr Auftritt ist um 18.30 Uhr.