Kulissen verschenken fürs Klima
Das «auawirleben Theaterfestival Bern» hat ausgerechnet, wie viel CO2 Besucher*innen und Auftretende ausstossen. Damit der Wert sinkt, sollen Künstler*innen mit dem Zug anreisen.
Wer seine Ferien plant oder ein Menü kocht, kann mit wenigen Klicks im Internet herausfinden, wie viele Treibhausgase dadurch entstehen. Schwieriger ist dies für den Besuch eines Konzerts oder Theaterstücks zu eruieren. Erst wenige Veranstalter*innen weisen aus, wie sich Flüge, Gastronomie, Kulissen und Strom auf die Umwelt auswirken. Als Vorbild in der Schweiz gilt das «One of a Million»-Festival in Baden, das nach eigenen Angaben seit 2017 eines der ersten und einzigen CO2-neutralen Festivals in der Schweiz ist.
Nun wissen auch die Besucher*innen des «auawirleben Theaterfestival Bern» (aua), wie viele CO2-Äquivalente ihr Festivalbesuch verursacht: Zehn Kilogramm. Das entspricht etwa einer Autofahrt vom Breitsch nach Lyssach und zurück. Wer in der Schweiz lebt, stösst pro Jahr zirka zwölf Tonnen CO2-Äquivalente aus, also etwas mehr als 30 Kilogramm pro Tag. Für die Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2050 wären maximal 0.6 Tonnen pro Kopf und Jahr zulässig – deutlich weniger als zwei Kilogramm pro Tag.
«Die Bilanz zeigt, wo wir uns verbessern können»
Silja Gruner ist Dramaturgin und Mitorganisatorin des Festivals und Teil von «Vert le Futur», einem Verein, der sich für nachhaltige Kultur einsetzt. Gruner hat für das aua bei der Firma Carbotech eine Ökobilanz für das Festival erstellen lassen. «Wir sind auf einem guten Weg», findet sie. «Gleichzeitig zeigt die Bilanz, wo wir uns verbessern können. Aber auch, wo die Grenzen unseres Einflusses liegen.»
Potenzial sieht Gruner bei den Reisen der Künstler*innen. Diese verursachen mehr als ein Drittel der Emissionen. «Jeder Flug macht einen Riesenunterschied. Doch bei vielen Künstler*innen ist diese Sensibilität noch nicht vorhanden.» Einige wüssten zum Beispiel nicht, dass sie nur einmal umsteigen müssen, wenn sie mit dem Zug von Brüssel nach Bern fahren. Anderen sei nicht bewusst, dass die Reise mit dem Zug oft weniger auslaugend sei als mit dem Flugzeug, so Gruner. «Ich erzähle dann von meinen Erfahrungen: Flugreisen sind kleinteiliger mit Sicherheitskontrolle, Check-in und so weiter. Im Zug hingegen kann ich während einer langen Zeitdauer ohne Unterbrechung schlafen oder arbeiten.» Diese Argumente würden die meisten Künstler*innen dazu bringen, einer Anreise mit dem Zug zuzustimmen.
Die 41. Ausgabe des «auawirleben Theaterfestival Bern» findet vom 10. bis zum 21. Mai statt. «Bis heute prägt die Frage, was auf den Berner Theaterbühnen nicht stattfindet, die Programmierung des aua», sagte Nicolette Kretz, Leiterin des Festivals, letztes Jahr anlässlich der Jubiläumsausgabe gegenüber der «Hauptstadt». Dieser Ansage bleibt das aua treu: Unter dem Motto «Birth Right» spielen Gruppen und Einzelkünstler*innen aus der ganzen Welt Stücke, die den gewohnten Theaterrahmen sprengen und Fragen nach Herkunft und gesellschaftlichen Zuschreibungen verhandeln. Das aua-Team bietet Telefonberatungen an, um die Stückwahl zu erleichtern. Silja Gruner hat der «Hauptstadt»-Journalistin aufgrund der Stichworte «Feminismus» und «politische Themen» das Stück «The Making of Pinocchio» empfohlen. Es erzählt die Geschichte einer Geschlechtsangleichung und schafft Bezüge zu Pinocchio.
Silja Gruner stellt aber klar, dass die Bereitschaft zur Anreise mit dem Zug keine Bedingung sei, Künstler*innen ans Festival einzuladen. «Wir nehmen uns die Freiheit, das Programm nach künstlerischen Kriterien zu gestalten.» Ihr sei wichtig, dass auch Künstler*innen aus dem globalen Süden am aua auftreten. Aber mit Augenmass: «Eher weniger laden wir eine grosse Theatergruppe aus Mexiko ein. Eine Einzelperson, die einen Monolog hält, hingegen schon.»
Das Essen fällt kaum ins Gewicht
Überrascht hat Gruner, dass Essen und Getränke nur einen kleinen Teil der Emissionen ausmachen – rund zwei Prozent. Mittlerweile dürfte der Wert sogar noch gesunken sein. Denn die Ökobilanz beruht auf Zahlen aus den Jahren 2019 und 2021. Damals hat das Festival vegetarische und vegane Gerichte angeboten. Seit der Austragung 2022 ist das Essen komplett vegan. «Unser Publikum kommt vor allem wegen des Theaters und nicht wegen des Essens. Entsprechend klein ist die Menge der verkauften Gerichte. «Da unterscheiden wir uns zum Beispiel von einem Buskers», so Gruner.
Die Bemühungen des aua puncto ökologischer Nachhaltigkeit strahlen aus. «Immer wieder fragen uns Kulturinstitutionen nach Empfehlungen», erzählt Gruner. Nachhaltigkeit und Wissensaustausch stehen dieses Jahr sogar auf dem Festivalprogramm. Gemeinsam mit dem ISC Club Bern und «Vert le Futur» organisiert das aua eine Diskussionsrunde unter dem Titel «Nachhaltig unterwegs – neue Wege der Mobilität in der Kultur». Veranstalter*innen aus verschiedenen Szenen sollen dort voneinander lernen.
In der Musikszene etwa sei es üblich, dass eine ausländische Band mehrere Konzerte in der Schweiz innerhalb weniger Tage spiele, statt mehrere Male über längere Zeit immer wieder in die Schweiz zu kommen. «In der Theaterszene sind solche Schweiz-Touren noch weniger üblich», bedauert Gruner. «Vielmehr ist es so, dass jedes Haus ein Programm haben will, das sich von demjenigen der anderen abhebt. Darum buchen manche Häuser gerne Produktionen, die nicht in der Nähe zu sehen sind.»
Die Grenzen des aua
Zwölf Prozent macht der Energieverbrauch in der aua-Ökobilanz aus. Aus eigener Kraft könne das Festival diese Emissionen nicht senken, sagt Silja Gruner. Das liegt am Konzept: «Wir sind in allen Spielstätten zu Gast. Darauf, ob eine Institution Ökostrom bezieht oder welche Art Heizung sie installiert hat, haben wir keinen Einfluss.»
In den Händen der Festivaloraganisator*innen liegt hingegen die Szenografie des Festivalzentrums in der Grossen Halle der Reitschule. «Wir achten darauf, dass die Materialien weiter verwendet werden können», sagt Gruner. Für die Kulisse des Festivalzentrums der letzten Austragung waren zig Duschvorhänge im Einsatz. «Die haben wir dann verschenkt, jetzt hängen sie hoffentlich in vielen Haushalten.» Und das verwendete Holz hat das Festival dem «Tripity Kollektiv», das eine Schreinerei an der Weissensteinstrasse besetzt, zukommen lassen.
Ob es in ein paar Jahren eine weitere Ökobilanz des aua geben wird – um allfällige Fort- oder Rückschritte zu bestimmen – weiss Silja Gruner noch nicht. «All die Zahlen zusammenzutragen war ein sehr grosser Aufwand», sagt sie. Schliesslich sind die Ressourcen des aua-Teams begrenzt. Und neben der ökologischen Nachhaltigkeit hat sich das Festival auch Werten wie Inklusion und Diversität verschrieben. Die Dilemmata hören nicht auf.