Kälber machen
Wie toll ist es wirklich, Besamungstechniker*in zu sein? Und haben Kühe eigentlich Spass beim Sex? Zu Besuch bei «Swissgenetics».
Der Beruf Besamungstechniker*in wird auf der Website von «Swissgenetics» unbescheiden als Traumjob angepriesen. Kann das sein? Und was machen die genau mit Schweizer Genen?
Der Hauptsitz der Firma steht in Zollikofen. Anlass für die «Hauptstadt», um Genaueres zu erfahren.
Die erwähnte Website gibt bildreich erste Anhaltspunkte: Es geht offensichtlich um Kühe. Beziehungsweise um deren künstliche Befruchtung. Und damit, so will es die Natur, um die Spermien von Stieren. Womit wir beim Firmenzweck angelangt sind: «Swissgenetics» produziert und verkauft Samendosen von Zuchtstieren.
Und sorgt dafür, dass diese in den richtigen Kühen landen – mithilfe von Besamungstechniker*innen. Daraus entstehen im besten Fall genau die Kälber, die die Schweizer Landwirtschaft sich wünscht.
Die Katalog-Munis von Mülligen
Zu Besuch in Zollikofen. Stefan Buri nimmt sich Zeit. Er ist Teamleiter des Bereichs «Reproduktion» und bildet für «Swissgenetics» auch Besamungstechniker*innen aus. Ganz früher war er Zimmermann, dann Landwirt und schliesslich Ingenieur-Agronom. Die Zucht von Kühen ist sein Fachgebiet.
«85 Prozent aller Kühe in der Schweiz werden heute künstlich besamt», sagt er. Die allermeisten von ihnen von «Swissgenetics». Die Firma ist Marktführerin in der Schweiz.
Wie funktioniert das Business mit den guten Genen?
«In Zollikofen geschieht vor allem die Logistik», erklärt Stefan Buri. Stiere sucht man hier also vergeblich. Die leben im aargauischen Mülligen. Rund 200 firmeneigene Zuchtstiere werden dort «in tierfreundlichen Stallungen» gehalten. Ihr einziger Job: Das Absamen. Je gefragter ihre Gene sind, desto länger dürfen die Stiere in Mülligen residieren, bevor sie im Schlachthof landen. «Die besten Stiere leben bis zu fünfzehn Jahre in Mülligen», sagt Stefan Buri. Weniger potente nur zwei bis drei Jahre.
Die Samen werden gewonnen, indem man die Stiere auf höhenverstellbare Kunststoffphantome springen lässt. Reicht ihnen das, um in Stimmung zu kommen?
Ja, erklärt Stefan Buri, das reiche. Grund dafür ist der sogenannte Torbogenreflex. Das bedeutet: Stiere springen auf alles, was die Form eines Kuhhinterteils, in der Fachsprache Hinterhand, hat – egal ob weiblich, männlich oder aus Kunststoff.
Einmal dem Stier entnommen, werden die Spermien im Labor auf ihre Qualität untersucht, verdünnt und in dünne Röhrchen, genannt Pailletten, abgefüllt. Dann werden sie in flüssigen Stickstoff gegeben. Bei minus 196 Grad Celsius gekühlt, sind sie theoretisch jahrelang haltbar. Aus einem Stier-Ejakulat werden rund 200 Samendosen hergestellt, die schliesslich in Zollikofen landen. Wer sich von diesem Prozedere ein Bild machen will, schaue das firmeneigene Video «Unsere Samendosen halten, was sie versprechen».
Im Logistikzentrum in Zollikofen erinnern silberne Behälter, aus denen der sublimierende Stickstoff gespenstig dampft, an überdimensionierte Hexenkessel. Darin lagert das Erbgut von Tausenden von Stieren. Das Angebot von potenziellen Vätern, die Landwirt*innen für ihre zukünftigen Kälber auswählen können, ist schier endlos.
Ein Katalog listet sämtliche Zuchtstiere auf. Jeder Stier ist umfangreich beschrieben, die Darstellung ähnelt einem Quartett-Spiel aus den 90er Jahren.
Sie heissen DEFENDER ET, SINABOY, ROEBI, POWER-ET oder BOMBASTIC ET-P. Erfasst sind Qualitäten wie Nutzungsdauer, Milchfluss, Charakter oder Fettgehalt der Milch. Hinzu kommen Informationen zur Abstammung und, ganz wichtig, Fotos.
Bei Milchrassen aber nicht vom Stier, sondern von einer seiner Töchter. «D Bure wei Chüeh gseh», so die Erklärung von Stefan Buri. Die Bilder zeigen perfekt gestylte Kühe mit strammen Eutern und, bei den Fleischrassen, angsteinflössende Muskelpakete. «Der Katalog ist die Bibel der Schweizer Viehzüchter», sagt Buri.
Der Preis einer Samendosis variiert ungefähr zwischen 12 und 75 Franken.
Stiere, deren Töchter und Söhne besonders gute Eigenschaften aufweisen, sind beliebt, ihre Samendosen teurer, die Nachfrage gross – und entsprechend gross auch die Zahl ihrer Nachkommen. Ein prächtiger Red-Holstein-Stier namens «Pickel», der vor einigen Jahren der regelrechte Star der Szene war, soll fast 44'000 Töchter – langlebige und tüchtige Milchkühe – gezeugt haben. Auch über seinen Tod hinaus, denn die Samendosen sind im Stickstoff über Jahrzehnte haltbar.
Designte Kühe und Muni-Scouts
Zwei neuartige Verfahren haben das Geschäft in den letzten Jahren noch berechenbarer gemacht. Sie nennen sich «Genomische Selektion» und «Sexing».
Mit der Genomischen Selektion wird das erbliche Potential von Tieren geschätzt. Indem ihre DNA auf bestimmte Merkmale hin ausgewertet wird, kann ziemlich genau vorhergesagt werden, wie ihre Eigenschaften und jene ihrer Nachkommen sein werden. «Früher musste man abwarten, wie die Kälber eines jungen Stiers herausgekommen sind, um ihn für die Zucht einzuschätzen», sagt Stefan Buri.
Auch die Arbeit einer ebenfalls bei «Swissgenetics» vertretenen Berufsgattung hat sich damit verändert: die der «Sire Analyst*innen». «Sire» ist die englische Bezeichnung für ein männliches Zuchttier. Man könnte auch sagen: Muni-Scouts.
«Das sind Personen, die sich extrem gut mit Kühen auskennen und die auf verschiedensten Höfen nach besonders schönen Exemplaren Ausschau halten», sagt Buri. Haben sie eine besondere Kuh entdeckt, bieten sie dem Besitzer an, diese mit einem passenden Stier zu decken. Der daraus entstandene Sohn soll dann zum neuen Zuchtstier werden, den «Swissgenetics» dem Besitzer abkauft und, sobald er alt genug ist, nach Mülligen überführt.
«Mit der Genomischen Selektion ist heute nicht mehr allein das geschulte Auge der Sire Analysten ausschlaggebend», erklärt Stefan Buri den Effekt der fortschreitenden Technologisierung.
Mit der zweiten Methode, dem «Sexing», werden Spermien nach Geschlecht getrennt. Mit dem Kauf von «gesexten» Samendosen kann mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 90 Prozent das Geschlecht des Kalbes antizipiert werden. «Das kann enorm hilfreich sein, weil man bei Milchrassen in der Regel Kühe will und bei Fleischrassen Stiere», erklärt Buri. Gesexte Samendosen sind gegen einen Aufpreis von rund 40 Franken pro Dosis erhältlich.
Stierig
Zurück nach Zollikofen, zu den dampfenden Kesseln. Von da werden die Samendosen, die die Landwirt*innen bestellen, ausgeliefert und an die Besamungstechniker*innen weitergegeben, die schliesslich die gewünschte Kuh damit besamen.
Die Logistik muss kurzfristig funktionieren. Jeden Morgen und jeden Mittag können Landwirt*innen bei «Swissgenetics» anrufen und eine*n Besamungstechniker*in zu sich auf den Hof bestellen. Das tun sie, wenn die Kuh, die ein Kalb austragen soll, «stierig» ist – also, wenn sie ihren Eisprung hat. «Um diesen Moment nicht zu verpassen, muss man die Kuh genau beobachten», sagt Buri. Unruhig sei sie dann etwa, oder sie bleibe stehen, wenn eine andere Kuh sie bespringt.
Vielseitiger Job, unbekanntes Lustempfinden
Ein Bauernhof in Ortschwaben, zehn Minuten Autofahrt von Zollikofen. Eine Kuh steht alleine im Stall, während ihre Artgenossinnen draussen auf der Weide grasen.
Daniel Steffen zückt das Besamungsgerät. «Das muss alles ziemlich schnell gehen, weil die Spermien – einmal aufgetaut – Körpertemperatur haben müssen», erklärt der 29-jährige Besamungstechniker.
Mit geübten Handgriffen steckt er das Röhrchen mit der Samendosis ins längere Röhrchen des Gerätes, stülpt sich einen langen Handschuh über, ertastet rektal den Gebärmuttereingang der Kuh und führt ihr die Samendosis vaginal ein. «Das wars», sagt er. Kurz und schmerzlos. Die Kuh lässt alles zu, reagiert kaum. Neun Monate später kommt, wenn alles geklappt hat, das gewünschte Kalb zur Welt. An einem normalen Arbeitstag besamt Daniel Steffen rund 20 Kühe.
Ist das ein Traumjob?
Er habe eine grosse Leidenschaft für die Viehzucht, sagt Daniel Steffen. Vorher war er Landwirt auf dem Hof seines Vaters. «Jetzt arbeite ich 100 Prozent als Besamer und bin daneben Bauer», sagt er und lächelt. «Es ist spannend, dass in der Viehzucht eins und eins nicht immer zwei gibt.»
Die Zuchtergebnisse seien immer wieder Überraschungen – positive wie etwa ein Sieg der eigenen Kuh bei einer «Miss-Wahl», aber auch negative wie Totgeburten oder Unfruchtbarkeit.
«Und der Job ist sehr vielseitig. Wir sind unterwegs, sehen viele verschiedene Tiere und Höfe, haben oft langjährige Beziehungen zu den Bauern, bei denen wir besamen.» Und eine schöne, gesunde Kuh mache einfach Freude. Daniel Steffen sagt, das Wohlbefinden der Tiere sei ihm sehr wichtig.
Wie ist das denn – hätten die Tiere nicht lieber richtigen Sex?
«Über ein Lustempfinden der Kuh weiss man relativ wenig», sagt Stefan Buri. Es sei bisher nicht messbar, was im Gehirn der Kuh vorgehe. Beim «Natursprung», der natürlichen Fortpflanzung von Vieh, spielten Hormone eine grosse Rolle. Das sei bekannt. Doch man vermute, dass diese die Kuh bloss dazu bringen, sich vom Stier überhaupt bespringen zu lassen, wenn sie ihren Eisprung hat. Der Akt dauert auch in der Natur nicht länger als ein paar Sekunden. «Es ist unwahrscheinlich, dass Kühe ein sexuelles Empfinden haben, das dem menschlichen ähnelt», sagt Buri.
Die künstliche Besamung ist sowohl in der konventionellen als auch in der Bio- und Demeter-Landwirtschaft verbreitet. Einzig gesexte Samendosen oder solche von Stieren, die mittels Embryotransfertechnik gezeugt wurden, sind bei Bio nicht zugelassen.
Auch Stefan Buri, der zahlreiche Besamungstechniker*innen ausgebildet hat, äussert sich zur Traumjob-Frage. «Die Vielseitigkeit macht den Job so interessant», sagt er. «Aber zugegeben: Ohne Bezug zur Landwirtschaft springt der Funke für die Faszination Viehzucht selten über», räumt er ein. Die meisten Besamungstechniker*innen hätten einen landwirtschaftlichen oder tiermedizinischen Hintergrund. Oder seien früher, im Ausnahmefall, zumindest Metzger gewesen. «Dass sich je eine Journalistin zur Besamerin hat umschulen lassen, wäre mir nicht bekannt.»