Stadt der Zukunft

Die Berner Stadtregierung will den verkehrsbelasteten Bubenbergplatz menschen- und klimafreundlicher machen. Zeithorizont: Irgendwann nach 2035.

Alec von Graffenried (Stadtpraesident) am Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Blick sehr weit in die Zukunft: Stadtpräsident Alec von Graffenried. (Bild: Simon Boschi)

Die Achse Bahnhofplatz-Bubenbergplatz ist wohl der krasseste Ort in der Stadt Bern. An keinem anderen Ort verkehren mehr Menschen. Nirgends sonst wollen mehr Parteien Einfluss nehmen. Ein Einzelentscheid hat hier einschneidendende Konsequenzen für die ganze Stadt – praktisch und emotional.

200’000 Personen steigen täglich am Bahnhof Bern um – deutlich mehr, als die Stadt Einwohner*innen hat. Wenn der neue Bahnhofausgang unter dem früheren Bubenbergzentrum ab 2028 in Betrieb geht, strömen noch mehr Menschen auf den Bubenbergplatz. Für Kanton und Agglomerationsgemeinden gehört die Achse über die beiden Plätze aber auch zum Basisstrassennetz des motorisierten Durchgangsverkehrs. Zudem braucht die Wirtschaft diese Zufahrt, um Geschäfte und Restaurants in der Altstadt zu beliefern. Bernmobil peitscht Busse und Trams über die beiden Plätze, es ist die Route, die aus Sicht des ÖV-Unternehmens den effizientesten Betrieb garantiert. Nebenbei bilden Bahnhof- und Bubenbergplatz einen zentralen urbanen Gewerbestandort mit Büros und Läden.

Das heutige Resultat dieser widersprüchlichen Nutzer*innenansprüche: ein komplett versiegelter, der hektischen Verkehrsabwicklung gewidmeter Platz, der schwer zu überqueren ist. Und auf dem man unter keinen Umständen bleiben will. Was, wenn man aus diesem höchstfrequentierten Areal der Stadt einen einladenden Platz machen möchte? Einen Platz, auf dem Menschen auch verweilen und flanieren – und der gleichzeitig dem sich erhitzenden Stadtklima entgegenwirkt?

Die «breite Mitte»

Das möchte die Stadtregierung versuchen. Sie möchte den Bubenbergplatz mit einer «breiten Mitte» ausstatten – einem verkehrsbefreiten Mittelstreifen, auf dem auch das Denkmal von Adrian von Bubenberg Platz fände und der beidseits mit einer schattenspendenden Baumreihe gesäumt wäre.

Symbolbild zum Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Künftig die «breite Mitte» mit Baumallee? Der superfrequentierte Bubenbergplatz. (Bild: Simon Boschi, Archiv)

Die «breite Mitte» ist ein zentraler Punkt in der gemeinderätlichen Auslegeordnung mit dem erklärungsbedürftigen Titel «Zielbild Stadtraum Bahnhof». Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) und Stadtplanerin Jeanette Beck stellten das Zielbild am Dienstag der Öffentlichkeit vor.

Vereinfacht erklärt: Darin hat die Stadtregierung, im Auftrag des Parlaments, Leitlinien erarbeiten lassen, mit denen sie die künftige Entwicklung im Gebiet zwischen Bollwerk und Hirschengraben steuern will. Ähnlich wie der Bubenbergplatz soll auch das Bollwerk – wie früher – wieder zum alleegesäumten Boulevard werden.

Die abenteuerlichen Visionen 

Die Erarbeitung des Zielbilds war ein Abenteuer für sich. Die Stadt liess drei Planer*innen-Teams in einem aufwändigen Prozess sogenannte Testplanungen durchführen. Konkret: Sie testeten aus, welche Veränderungsmöglichkeiten der Stadtraum zwischen Bollwerk und Hirschengraben hergäbe. Es entstanden, mindestens für Laien, teilweise an- und aufregende Visionen.

Sofort ins Auge sticht: Planer*innen würden den Glas-Baldachin über dem Bahnhofplatz abreissen, weil er sich ästhetisch seit jeher schlecht mit dem Unesco-Weltkulturerbe der Altstadt verträgt – und stadtklimatisch suboptimal ist. Aus planerischer Sicht wünschbar wäre, dass die SBB den Ersatz des heutigen Glaskubus durch ein neues Bahnhof-Hauptgebäude ins Auge fassen, ebenso wie die Begrünung der Plattform über den Geleisen, der heutigen Bahnhofvorfahrt mit dem Postautobahnhof. 

Jeannette Beck (Stadtplanerin) am Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Weniger Verkehr, mehr Aufenthaltsqualität: Stadtplanerin Jeanette Beck. (Bild: Simon Boschi)

Ob dies alles in den nächsten Jahrzehnten je passiert, ist völlig offen – und hängt bei weitem nicht nur von der Stadt Bern ab. Sondern etwa auch von den SBB, die Immobilien besitzen. Das neue städtische Zielbild ist kein Massnahmenkatalog, sondern eher Beurteilungsraster, das zeigt, mit welchen Einzelschritten die Stadt dem grossen Ziel – eine menschen- und klimafreundlichere Zentralachse zu schaffen – näher kommt.

Anwendungsfall Tramachsen

Von sehr greifbarer Bedeutung ist das Zielbild für einen gewichtigen verkehrspolitischen Grundsatzentscheid. Anlass dafür ist der Bau der neuen Tramlinie nach Ostermundigen. Diese wird ab ungefähr 2030 logischerweise zu mehr Tramverkehr führen und damit die Tramachse durch die Innenstadt über die Kapazitätsgrenze befördern. Deshalb läuft eine Debatte über die mögliche Linienführung einer entlastenden, zweiten Tramachse. Bernmobil favorisiert die Linie vom Hirschengrabenen über Bubenberg- und Bahnhofplatz zum Bollwerk und via Speichergasse zur Kornhausbrücke.

Die Testplanungen haben aber laut Stadtplanerin Beck eines klar gezeigt: Diese Tramlinien-Variante verträgt sich nicht mit der Idee eines grüneren, menschenfreundlicheren Bubenbergplatzes: «Dafür reicht der Platz schlicht nicht.» Weil der Gemeinderat der Aufwertung des Bubenbergplatzes Priorität einräumt, spricht er sich klar für eine zweite Tramachse durch die Bundesgasse aus – auch wenn dort wegen Demos und Staatsbesuchen oft Betriebsunterbrüche drohen.

Botschaft in die Gegenwart

Was nach den Testplanungen ebenso offensichtlich ist: Auch der motorisierte Durchgangsverkehr über den Bahnhofplatz müsste in zäher politischer Auseinandersetzung weiter reduziert und auf die Autobahn gelenkt werden, damit in der Mitte des Bubenbergplatzes überhaupt eine Fussgänger*innenzone entstehen kann.

Realisiert würde die «breite Mitte» ohnehin frühestens 2035 – je nachdem, wie engagiert sie die Stadt vorantreibt. Das «Zielbild Stadtraum Bahnhof» reicht zwar weit in die unvorhersehbare Zukunft, schickt aber eine klare Botschaft in die Gegenwart: Der Weg zu einer menschen- und klimagerechten zentralen Berner Stadtachse ist lang. Und diese Stadt der Zukunft ist ohne weitere Verkehrsreduktion nicht zu haben.

Hinweis: Wer sich genauer mit dem Thema Stadtraum Bahnhof auseinandersetzen will, hat diese Möglichkeiten: Hier kann der 78-seitige Bericht zu den Testplanungen heruntergeladen werden. Bis am Montag, 4. März, sind die Ergebnisse der Testplanungen im Generationenhaus öffentlich ausgestellt. Empfehlenswert ist der Besuch der Website der Arbeitsgruppe Planung Städtebau Mobilität, einer Gruppe kritischer Planer*innen, die die Stadtplanung aufmerksam begleitet.

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Diskussion

Unsere Etikette
Arpad Boa
23. März 2024 um 12:30

Die Untersuchungen zum Stadtraum Bahnhof zeigen, welche Voraussetzungen nötig wären, um die Stadt fussgängerfreundlicher und zukunftsfähiger zu machen: Eine zweite Tramachse Bundesgasse-Kochergasse und der Bau der Viererfeldbrücke gehören dazu. Sie würden den nötigen Planungspielraum im Raum um den Bahnhof und in der Spital- und Marktgasse schaffen.

Ruedi Muggli
29. Februar 2024 um 10:06

das ist - im Gegensatz zum gestrigen Bund-Artikel - ein sehr sachlicher und damit informativer Beitrag. So vernimmt man etwa, dass das Ganze ein Auftrag des Parlaments ist und nicht etwa auf die Kritik des Stadtpräsidenten am (doch eigentlich sehr beliebten) Baldachin zurückgeht.

Christoph Staub
28. Februar 2024 um 22:43

"Ein aufwändiger Prozess" - und die Resultate sind zum Teil sehr ernüchternd, ich habe sie mir heute im Generationenhaus angesehen. Sogar die diagonale Querung des Bahnofplatzes durch den MIV, wie er jahrzehntelang üblich war, wird in einem Vorschlag wieder zum Leben erweckt, womit der Platz fast ganz verschwinden und vom MIV dominiert würde. Der einzige halbwegs attraktive Vorschlag lässt den Baldachin übrigens stehen - umringt vom Bäumen.