Auf das Generationenhaus folgt das Generationenwohnen

Die Burgergemeinde plant im neuen Berner Stadtquartier beim Viererfeld ein grosses Haus für Generationenwohnen. Die Stadt begrüsst das Projekt und möchte die Burger*innen schon in der ersten Bauetappe einbinden – vorausgesetzt, das Volk sagt nochmals Ja zum Viererfeld-Projekt.

Burgergemeinde baut Generationen-Wohnhaus auf Mittelfeld
Auf dem Acker vor dem Hochhaus des Burgerspittels soll dessen Erweiterungsbau gebaut werden, auf Wiese links hinter dem Hochaus die erste Etappe der Viererfeldüberbauung. (Bild: Manuel Lopez)

Der Acker neben dem Burgerspittel in der Länggasse ist staubig. Was hier im Sommer wachsen soll, ist für den Laien noch nicht ersichtlich. Konkret sind hingegen die Pläne der Burgergemeinde für ein neues Generationenhaus an diesem Platz auf dem sogenannten Mittelfeld am Rand des Quartiers. In der ersten Viererfeld/Mittelfeld-Bauetappe wollen die Burger*innen auf dem Mittelfeld einen Erweiterungsbau des Burgerspittels erstellen. Dieser soll aber nicht einfach das bisherige Alters-und Pflegeheim vergrössern, sondern eine neue Art von Wohnen im Alter ermöglichen. In einem Generationenhaus sollen alte Menschen, Pflegebedürftige, Studierende und Familien unter einem Dach in modular gebauten und damit veränderbaren Wohnungen leben.

Für den Fototermin mit der «Hauptstadt» steht Ueli Grindat, der Domänenverwalter der Burgergemeinde, auf den trockenen Acker und sagt: «Da die Stadt im neuen Quartier auch Angebote für das Wohnen im Alter ermöglichen will, hat die Burgergemeinde vorgeschlagen, den Burgerspittel zu erweitern.» Das Bauvolumen würde laut Grindat rund 30 Millionen Franken betragen. Dazu komme der Baurechtszins der Stadt. Diesbezüglich sei man noch in einer Diskussion, so zum Beispiel über den Anteil der gemeinnützigen Wohnungen. «Grundsätzlich will die Burgergemeinde mit dem Haus ihren Beitrag zum neuen Quartier leisten», sagt Grindat.

Die Burgergemeinde plant auf dem Mittelfeld
Steht da, wo die Generationen-WG dereinst gebaut werden soll: Ueli Grindat, Domänenverwalter der Burgergemeinde.

Das neue Haus für Generationenwohnen soll verschiedene Wohnformen enthalten. «Die Zeit, als wir alte Menschen einfach in einem Heim aufs Abstellgleis stellten, ist vorbei», erklärt Burgerspittel-Direktor Eduard Haeni. Im neuen Haus will die Burgergemeinde den Übergang vom selbstständigen zum betreuten Wohnen ermöglichen und der Vereinsamung von alten Menschen entgegenwirken. «In den kommenden Jahren wird es zunehmend alleinstehende Frauen im Alter von 75 bis 90 Jahren geben, die bisher oft lange alleine in ihren Wohnungen blieben und dann direkt ins Pflegeheim mussten», sagt Haeni. Darunter seien auch viele Bezügerinnen von Ergänzungsleistungen (EL). «Künftig sollten wir auch EL-Bezüger*innen ein betreutes Wohnen ermöglichen», findet Haeni. Auf nationaler Ebene seien Bestrebungen zur entsprechenden Finanzierung im Gang.

Rund 60 Prozent der Wohnungen im Erweiterungsbau sind laut Haeni derzeit für diese EL-Bezüger*innen, ob alleinstehend oder als Paar, vorgesehen. Das werden Ein- und Zweizimmerwohnungen sein. Die Burgergemeinde wolle zudem modular bauen. So könne sie während des Betriebes die Grösse von Wohnungen je nach Bedürfnissen mit überschaubarem Aufwand verändern, sagt Haeni. Auch würden die Burger günstig und kleinräumig bauen. Dafür sähen sie mehr Gemeinschaftsfläche vor. Für jene Bewohner*innen, welche ab einem gewissen Zeitpunkt Betreuungsleistungen bräuchten, würde das neue Haus von der Nähe zum bisherigen Burgerspittel profitieren, erklärt Haeni.

Folgende Angebote soll das neue Haus der Burger auf dem Mittelfeld enthalten:

  • Wohnungen mit Serviceleistungen

  • Wohnungen für Familien

  • Wohngemeinschaften (für Jung und Alt)

  • Gemeinschaftsräume

  • Student*innenwohnen

  • Medizin (Arztpraxen, Physiotherapie, Zahnarzt, Spitex)

  • Café (und allenfalls ein Servicecenter fürs Quartier)

  • Kindertagesstätte, Kindergarten

  • ev. Pflegeabteilung für EL-Bezüger*innen

Das Haus soll also auch von jungen Menschen belebt sein. Student*innen sollen durch Mitarbeit in der Altenbetreuung ihren Mietzins für Zimmer senken können. Ein Pilotversuch dazu läuft schon im Burgerspittel. «Zudem können wir uns auch vorstellen, dass eine Familie und ein Grosselternteil je in einer Wohnung nebeneinander im Haus einziehen», sagt Haeni. So soll es auf einem Stockwerk einen entsprechenden Mix von Familienwohnungen und Einzimmerwohnungen geben, welche den Austausch zwischen den Generationen zum Ziel hätten. Darunter werden auch Wohnungen zu Marktpreisen sein.

In einer Studie hat die Burgergemeinde für die neuen Wohnformen im Haus vier verschiedene Etagen konzipiert:

  • Generationenwohnen: 13 Wohnungen (zwischen 1 und 4 Zimmer)

  • Wohnen mit Services: 16 Wohnungen (zwischen 1 und 3 Zimmer)

  • Wohngemeinschaften: 1 Studierenden-WG (8 Zimmer), 1 Generationen-WG (10 Zimmer), Alters-WG (11 Zimmer)

  • Pflegezimmer: 24 Wohnungen (zwischen 1 und 3 Zimmer)

Einige dieser neuen Formen von Wohnen im Alter gibt es in einzelnen Pilotprojekten schon. Und die Burgergemeinde hat mit dem Generationenhaus am Bahnhofsplatz schon ein Ort der Begegnung geschaffen. Im Wohnhaus im Mittelfeld sollen nun aber die neuen Wohnformen und das Zusammenwohnen von Generationen zu einem neuen Standard werden.

Burgerspittel-Direktor Haeni ist überzeugt, ein solches Haus für Generationenwohnen wäre ein Leuchtturm-Projekt für eine neue Art des Wohnens im Alter. Die Studie, welche dem Projekt zugrunde liegt, hat auch Curaviva, der nationale Branchenverband der Dienstleister*innen für Menschen im Alter, unterstützt.

Ein Situationsplan auf dem Viererfeldweg
Orientiertungstafel auf dem Viererfeld: Bei Plannummer 2 soll das neuen Haus des Burgerspittels erstellt werden. (Bild: Manuel Lopez)

Die Stadt Bern begrüsst das Projekt und hat mit der Burgergemeinde auch eine erste Vereinbarung unterzeichnet. Dennoch galt die Burgergemeinde gemäss Kommunikation der Stadt bisher für die erste Bauetappe noch nicht als gesetzt. Im Gegensatz zur Hauptstadt-Genossenschaft, der Mobiliar Asset Management AG, der Pensionskasse der Berner Kantonalbank und der Personalvorsorgekasse der Stadt Bern, welche den ersten Teil des Viererfeldes bebauen sollen.  

Eine Zeit lang sei nicht klar gewesen, ob Teile des Mittelfelds schon in der ersten Etappe bebaut werden sollen, erklärt der städtische Finanzdirektor Michael Aebersold. Zudem seien die planungsrechtlichen Rahmenbedingungen beim Mittelfeld noch zu konkretisieren. 

Trotzdem soll der Erweiterungsbau zum Burgerspittel laut Aebersold ebenfalls in der ersten Bauetappe entstehen. «Wir wollen im neuen Quartier ein Leuchtturmprojekt zum Generationenwohnen», sagt auch Aebersold. Es sei naheliegend, mit dem Burgerspittel zusammenzuspannen. «Die Burgergemeinde ist in der Stadt und als Nachbarin im Viererfeld eine wichtige Akteurin.» Und ihr Projekt passe ins Gesamtkonzept. Die Planung sei «in einer Art Pingpong» mit der Stadt entstanden. «Wir wollen letztlich im ganzen Quartier altersmässig eine Durchmischung und betagten Menschen ermöglichen, so lange wie möglich in ihren Wohnungen zu bleiben», sagt Aebersold.

«Das Haus für das Generationenwohnen muss gemäss den Vorgaben aber mindestens zur Hälfte gemeinnütziges oder genossenschaftliches Wohnen enthalten» sagt Aebersold. Das könnten zum Beispiel Wohnungen für EL-Bezüger*innen sein. «Die Details dazu müssen wir nun aber noch mit der Burgergemeinde aushandeln und konkretisieren.» Auch die Qualitätssicherung müsse man noch aufgleisen. 

Die Hauptstadt-Genossenschaft, ein Zusammenschluss verschiedener ansässiger Genossenschaften, wird etwa die Hälfte der rund 400 Wohnungen der ersten Etappe bauen. Laut Präsidentin Ursula Marti sind dabei 60 Prozent des Volumens für einzelne Genossenschafts-Wohnungen vorgesehen. Die Ein- bis Fünfzmmerwohnungen sollen unterschiedliche Bedürfnisse abdecken und viel gemeinschaftlichen Raum bieten. 25 Prozent sind reserviert für innovative Wohnprojekte und 15 Prozent für unterstütztes Wohnen und Arbeiten. Die Mobiliar und die Pensionskassen von Stadt und BEKB werden marktorientierte Wohnungen bauen.

Die Vorauswahl der Investor*innen der ersten Bauetappe vom Viererfeld/Mittelfeld sorgt immer wieder für Kritik. Finanzdirektor Aebersold ist aber von diesem Vorgehen überzeugt: «Das sind alles wichtige Akteure in Stadt und Kanton, die Arbeitsplätze sichern, Steuern zahlen oder Renten sichern» Es sei letztlich ein Geben und Nehmen. «Wir entschieden uns für Investor*innen, die für die Stadt wichtig sind.»

Ueli Grindat auf dem Viererfeldweg
Diskutiert mit der Stadt noch über Nutzungskonflikte beim abschüssigen Viererfeldweg: Ueli Grindat, Domänenverwalter der Burgergemeinde. (Bild: Manuel Lopez)

Eigentlich hätte das Stimmvolk am 15. Mai über dieses Vorgehen und die Infrastrukturkredite für das neue Quartier abstimmen sollen. Doch aufgrund einer Stimmrechtsbeschwerde wurde die Abstimmung verschoben. Die beiden Einsprecher*innen kritisieren, dass die Stadt dem Stimmvolk nicht zwei Fragen (Baurechtsabgabe und Infrastrukturkredite) in einem Beschluss vorlegen dürfe, das verletze die sogenannte Einheit der Materie. Zudem würden durch die Ermächtigung des Gemeinderats, die Baurechte zu vergeben, diese Geschäfte dem Beschluss der Stimmberechtigten entzogen. Eine klare Abstimmungsaussage sei so nicht möglich.

Die Stadt will laut Aebersold den erstinstanzlichen Entscheid der Regierungsstatthalterin abwarten. Aebersold hofft, dass dieser Entscheid noch vor dem Sommer kommt. «Danach werden wir eine neue Abstimmung aufgleisen, mit einer oder mit mehreren Abstimmungsfragen.» Die Stadt wolle die Abstimmung spätestens im März 2023 durchführen, lieber aber schon im November 2022, sagt Aebersold.

Bis dahin sind vielleicht auch die letzten Fragen mit der Burgergemeinde geklärt. Diese ist im Projekt Viererfeld/Mittelfeld nicht nur Investorin, sondern auch Nachbarin des neuen Stadtteils. So gehört ihr neben dem Burgerspittel auch der Wald im Norden und die Enge-Promenade auf der Südseite der Enge-Strasse. «Wir wurden von der Stadt in die Planung einbezogen», sagt Domänenverwalter Ueli Grindat. Derzeit diskutiere man zum Beispiel noch über den Viererfeldweg, der etwas steil sei, so dass es zu Nutzungskonflikten zwischen Fussgänger*innen und Velofahrer*innen kommen könne. Grindat resümiert aber schon jetzt trocken: «Für die Burgergemeinde stimmt das Projekt der Stadt auf dem Viererfeld/Mittelfeld.»

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