Schutzstatus S - wie läuft es in Bern?

Über 5000 Geflüchtete aus der Ukraine leben im Kanton Bern, die meisten von ihnen privat bei Gastfamilien. Dort stellen sich viele Fragen – besonders zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten sowie zur Sozialhilfe.

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Bei der Jobsuche stellen sich für Ukrainer*innen viele Fragen. (Bild: Manuel Lopez)

«Die Berner*innen sind grossartig», sagte Franziska Teuscher (Grünes Bündnis), Sozialdirektorin der Stadt Bern, vor den Medien. Sie meinte damit Gastfamilien, die geflüchtete Ukrainer*innen aufgenommen haben, sowie die vielen engagierten Freiwilligen. Über 5000 geflüchtete Ukrainer*innen sind im Kanton Bern registriert, 3500 von ihnen leben in einer privaten Unterkunft, meist bei einer Gastfamilie. Ganz genaue Zahlen sind schwierig zu erheben, da Ukrainer*innen sich grundsätzlich drei Monate visumsfrei in der Schweiz aufhalten dürfen. Unter Umständen nutzen sie den Aufenthalt in der Schweiz, um sich zu organisieren und dann weiterzureisen, in die USA zum Beispiel.

In vielen Gastfamilien tauchen, je länger der Aufenthalt der Geflüchteten dauert, immer neue, teilweise schwierige Alltagsfragen auf. Zu Beginn kamen viele Geflüchtete zu Gastfamilien mit der Idee, nach wenigen Wochen wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Je unwahrscheinlicher das wird, desto intensiver beschäftigt die Menschen, wie sie für sich in Bern ein selbständiges Leben einrichten können, mit Job, Einkommen, Wohnmöglichkeiten.

Hier ein kurzer Überblick über die praktische Umsetzung des Schutzstatus S im Kanton Bern.

Jobsuche: Leichter gesagt als getan

Geflüchtete mit ukrainischem Pass erhalten den Schutzstatus S. Auch wenn es Wochen dauert, bis dieser tatsächlich ausgestellt wird, können Ukrainer*innen mit dem Registrierungsnachweis sofort in der Schweiz arbeiten. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) im Kanton Bern stehen grundsätzlich bereit, Ukrainer*innen in Jobs zu vermitteln und sie zu beraten, hält das Berner Amt für Arbeitslosenversicherung auf Anfrage fest.

Ein zentrales Kriterium beim RAV sind Sprachkenntnisse. Salopp gesagt: Wer nicht wenigstens ein bisschen Deutsch oder Französisch spricht, gilt als nicht vermittlungsfähig. Das trifft für viele Ukrainer*innen zu, was sie von diesem Weg, zu einem Job zu kommen, de facto ausschliesst. Zudem: Weil es sich beim Schutzstatus S um einen rückkehrorientierten Status handelt, sind staatliche Integrations-Unterstützungsmassnahmen wie Sprachkurse zumindest noch nicht vorgesehen. 

Arbeitgebende, die Geflüchtete anstellen wollen, müssen ein Gesuch einreichen. Die kantonalen Behörden prüfen dann, ob die orts- und branchenüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen eingehalten werden, ehe sie eine geflüchtete Person zur unselbständigen Erwerbstätigkeit zulassen. Laut dem Amt für Arbeitslosenversicherung wurden im Kanton Bern bis jetzt 15 Gesuche für Ukrainer*innen bewilligt. Einige wenige seien noch in Bearbeitung. Abgelehnt wurde keines. Da sich erst wenige Ukrainer*innen bei den RAV gemeldet haben, sei es für eine Einschätzung der Lage noch zu früh, heisst es.

Grundsätzlich empfehlen die kantonalen Behörden auch stellensuchenden Ukrainer*innen, «sich proaktiv bei Betrieben zu melden und nach offenen Stellen zu fragen». Die Online-Jobplattform Jobcloud hat Anregungen erarbeitet, wie Arbeitgebende Jobs für Ukrainer*innen speziell kennzeichnen könnten. Dazu gehört etwa, im Stelleninserat festzuhalten, ob wirklich Deutschkenntnisse nötig sind oder nicht auch Englisch ausreichend sein könnte.    

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Die Asylsozialhilfe ist tief. Zu tief, finden viele. (Bild: Manuel Lopez)

Asylsozialhilfe: Deutlich unter der Sozialhilfe

Der Schutzstatus S berechtigt zum Bezug von Sozialhilfe – genauer gesagt von Asylsozialhilfe, deren ausbezahlte Beträge um rund 30 Prozent unter der regulären Sozialhilfe liegen. Die Stadt Bern ist für die Asylregion zuständig, die auch die Gemeinden Muri, Köniz, Bremgarten, Zollikofen und Ostermundigen umfasst. Die städtische Sozialamtsleiterin Claudia Hänzi präsentierte an der Medienkonferenz erstmals Zahlen. Aktuell werden in Stadt und den fünf umliegenden Gemeinden in knapp 500 Dossiers rund 900 Personen mit Asylsozialhilfe unterstützt. 340 Dossiers betreffen die Stadt Bern, 88 die Gemeinde Köniz.

Der im Kanton Bern als Asylsozialhilfe pro Person ausgerichtete Betrag liegt zwischen 600 und 700 Franken pro Monat. Die Behörden orientieren sich bei der Bemessung am sogenannten Grundbedarf für den Lebensunterhalt, der Verpflegung, Hygiene, Bekleidung und persönliche Ausgaben umfasst und sich auch nach der Haushaltgrösse richtet. Für einen Ein-Personen-Haushalt beträgt der definierte Grundbedarf 647 Franken, für zwei Personen 990 Franken.

Geflüchtete mit dem Schutzstatus S sind im Kanton Bern bei der Visana kollektiv gegen die Folgen von Unfall und Krankheit versichert, zudem übernimmt die Asylsozialhilfe «einfache und notwendige» Zahnbehandlungen. Die Benutzung des ÖV ist für Menschen mit Schutzstatus S vorderhand bis Ende Mai gratis.

Voraussetzung für den Erhalt von Asylsozialhilfe ist ganze oder teilweise Mittellosigkeit. Gemäss Claudia Hänzi könne das bei den geflüchteten Ukrainer*innen angesichts der hohen Zahl allerdings nicht vertieft geprüft werden. Klar ist aber, dass man bei der Aufnahme einer bezahlten Erwerbstätigkeit das Anrecht auf die Asylsozialhilfe verliert.

Politisch wird der tiefe Ansatz der Asylsozialhilfe von links kritisiert – von Franziska Teuscher wie von ihrem Amtskollegen Raphael Golta (SP) in Zürich. Teuscher hofft, dass die Situation der geflüchteten Ukrainer*innen das Problem deutlich vor Augen führe und politischer Druck entstehe, damit sich das ändere. 

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Gastfamilien-Unterkünfte sind Übergangslösungen. Geflüchtete sollten in eigenen Wohnungen leben können. (Bild: Manuel Lopez)

Eigene Wohnung: Erreichbares Ziel?

Gastfamilien haben sich vorerst für die Dauer von drei Monaten verpflichtet, Geflüchtete zu beherbergen. Was passiert danach? Ist ein selbständiges Leben für Geflüchtete angesichts der tiefen Asylsozialhilfe realistisch?

Sozialamtsleiterin Claudia Hänzi stellte klar, dass das Gastfamilien-Modell eine Übergangslösung sei. Geflüchtete Ukrainer*innen sollten, sofern sie länger hier bleiben, in eigenen Wohnungen leben können. Hausbesitzer*innen seien bereit, soweit sie es beurteilen könne, Ukrainer*innen in Mietverträge aufzunehmen. Claudia Hänzi macht darauf aufmerksam, dass die Unterstützung im Rahmen der Asylsozialhilfe auch die Übernahme von Mietkosten beinhalte.

Bekannt ist, dass Gastfamilien, die Geflüchtete während mindestens drei Monaten beherbergen, beim Kanton pro Person nachträglich 195 Franken pro Monat einfordern können. Wenn Geflüchtete in eine eigene Wohnung ziehen und einen Mietvertrag unterzeichnen, werden die Wohnkosten übernommen – je nach Abmachungen wird die Miete direkt von den Behörden an die Vermietenden überwiesen. Von der Asylsozialhilfe übernommen werden Wohnkosten gemäss definierten Mietzinsrichtlinien: Für einen Zweipersonenhaushalt in der Stadt Bern 1350 Franken, in den umliegenden Gemeinden 1200 Franken.

Gastfamilien könnten Geflüchtete durchaus ermutigen, eine eigene Wohnung zu suchen, sagt Claudia Hänzi.  

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Diskussion

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Thomas Bollinger
25. April 2022 um 07:48

Nachdem es am Anfang zwar noch langsam, aber immerhin funktioniert hat, erleben wir seit 2 Wochen die totale Stagnation. Nichts geht mehr vorwärts. Nicht einmal mehr E-Mails werden vom Asylsozialdienst beantwortet.