«Mit Worten versteht man sich so schnell falsch»

Der Performance-Künstler Bheki Ndlovu hat ein weltweites Renommée. Nun lebt der Südafrikaner in der Schweiz – und muss sich hier von Neuem beweisen. In Bern widmet er sich tänzerisch der kolonialen Geschichte der Schweiz.

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Ein Bewegungskünstler: Bheki Ndlovu in Aktion vor der Reitschule. (Bild: Simon Boschi)

Bheki Ndlovu, im Stück «Bittersweet», das Sie im Rahmen der Soliparty für die Tour de Lorraine in Bern erstmals zeigen, geht es um Völkerschauen, also das Ausstellen exotisierter Menschen in Zoos oder Zirkussen – warum?

Weil es diese «human zoos» bis vor nicht so langer Zeit auch noch in der Schweiz gab. Einige der damaligen Besucher*innen und Aussteller*innen leben noch heute. Mir scheint, dass die Leute das lieber totschweigen, anstatt sich damit auseinanderzusetzen. Für mich ist das ein über Generationen weitergereichtes Trauma, das definitiv angesprochen werden muss.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Ich habe zum Beispiel mit einer befreundeten Schweizerin über meine Performance gesprochen. Sie erinnerte sich erst während des Gesprächs daran, dass sie mal an so einer Schau war. Ich merkte ihr an, dass sie sich unwohl fühlt, dass es sie schmerzt, dass sie nicht weiss, wie sie sich mir gegenüber verhalten soll. Das zeigte mir, dass das ein Thema ist, das hierzulande verdrängt wird.

Was macht es mit Ihnen, wenn Sie Bilder von Völkerschauen sehen?

Es wühlt mich emotional sehr auf. Ich schaffe es bis heute nicht, Strassenmusik zu machen. Wenn ich mir das schon nur vorstelle, fühle ich mich zurückversetzt in die Zeit der Völkerschauen: Als wildes Tier angesehen und nicht als Mensch; da zum Bespassen und um auf den Applaus und die Almosen der Zuschauer zu warten. Es ist immer noch wie im Zoo oder im Zirkus, nur ohne Zäune.

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Bheki Ndlovu kann sich nicht vorstellen, Strassenmusik zu machen. (Bild: Simon Boschi)

Und auf der Bühne passiert Ihnen das nicht?

Nein, ich spiele mein Programm, für das ich fair bezahlt werde. Die Laune des Publikums ist da irrelevant. Ich will einfach als Künstler wegen meiner Arbeit wahrgenommen und respektiert werden, unabhängig von meiner Hautfarbe. Dafür kämpfe ich.

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Zur Person

Der Tänzer und Performer Bheki Ndlovu stammt aus Durban in Südafrika. Er hat in vielen Musik- und Tanzproduktionen mitgemacht, arbeitete mit Filmemacher*innen, Choreograf*innen (unter anderem Michael Peters, der Choreograf von Michael Jackson) und Schauspieler*innen. Seit fünf Jahren lebt er mit seiner Familie in der Schweiz, arbeitet als freier Performer und hat in Zürich eine Tanzschule eröffnet.

Sie könnten ja darüber schreiben oder sprechen – warum ist Tanz Ihre Ausdrucksform?

Durch Worte entstehen oft Missverständnisse und man ignoriert negative Dinge, die man nicht hören will. Deshalb spreche ich lieber durch Musik und Bewegung. Ich möchte wissen: Sieht das Publikum, was ich sehe? Hört das Publikum, was ich höre? Ich nehme die Zuschauer*innen mit Musik und Bewegung auf eine Reise mit.

Was für eine Reise?

Eine, die verdrängte Geschichten auspackt, die gewissermassen eine Bildungsreise ist. Ich tue das ja nicht nur für mich. Ich tue es auch für meine Kinder. Für die nächste Generation, damit vielleicht ein besseres Verständnis füreinander entsteht. Viele Probleme dieser Welt kommen daher, dass man sich nicht richtig versteht.

Warum denken Sie das?

Missverständnisse gibt es überall. Aber seit ich in der Schweiz lebe, nehme ich sie besser wahr. Ich spreche Englisch und nur schlecht deutsch. Ich komme aus einer anderen Kultur, ich weiss oft nicht, wie ich die Menschen verstehen soll.

Geben Sie ein Beispiel.

In Südafrika gehen Freunde aufeinander zu und sagen: «You guys look good, you guys look fed» (Ihr seht gut und gefüttert aus). Ich weiss, wie ich das nehmen muss, als Kompliment. Aber wenn mir hier in der Schweiz jemand etwas sagt, weiss ich nicht genau, wie ich es nehmen soll. Ob das jetzt wirklich ein Kompliment ist – oder vielleicht sogar eine Beleidigung.

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Bheki Ndlovu lebt seit fünf Jahren in der Schweiz. (Bild: Simon Boschi)

Wie ist es für Sie, in der Schweiz zu leben?

Grundsätzlich gefällt es mir gut. Meine Frau ist Schweizerin, wir haben uns in Südafrika kennengelernt und auch dort gelebt, bevor wir uns entschieden, mit den Kindern in die Schweiz zu ziehen. Die Schweiz ist also nicht völlig fremd für mich. Und trotzdem fühle ich mich oft allein. Als Mensch mit Schwarzer Hautfarbe fällst du auf. Natürlich, Rassismus gibt es auch in Südafrika, gibt es sogar mehr in Südafrika, aber dort sind wir viele mit Schwarzer Haut. Hier ist das anders.

Weil Sie hier zu einer kleinen Minderheit gehören?

Vor allem, weil ich vieles nicht verstehe. Ich werde oft kontrolliert von der Polizei. Vielleicht ist das manchmal auch gerechtfertigt, aber wenn ich nachfrage, damit ich es das nächste Mal besser machen kann, erklärt mir niemand, was ich falsch gemacht habe.

Was heisst das, Sie werden von der Polizei kontrolliert?

Ich muss halt häufig meinen Ausweis zeigen, ob im Zug, im Auto, auf der Strasse. Das ist Racial Profiling* ich glaube, es passiert fast allen People of Color in der Schweiz. Aber wir sprechen nicht gerne darüber. Ich möchte auch gar nicht mehr dazu sagen.

«Was wir sagen, macht nichts besser, solange wir es nicht spüren.»

Bheki Ndlovu

Warum nicht?

Ich lebe noch nicht lange in der Schweiz, ich möchte mich integrieren, möchte wieder als Tänzer Fuss fassen. Schliesslich habe ich schon für Nelson Mandela getanzt, habe mit dem Choreografen von Michael Jackson zusammengearbeitet und auf der ganzen Welt getanzt. Ich habe ein Renommée. Aber das wird hier nicht anerkannt, und das nur, weil ich es mir nicht in Europa erarbeitete. Wir müssen zehn Mal härter arbeiten, um uns zu beweisen als Leute von hier.

Dafür sprechen wir über Dreadlocks bei weissen Sängern…

…dazu möchte ich lieber nichts sagen. Das Thema ist zu neu, die Diskussion zu aufgeheizt. Und es gibt so viele Missverständnisse.

Ihre Meinung wäre aber sehr interessant.

Ich finde einfach, dass es wichtigere Probleme auf der Welt gibt. Man sollte andere Menschen nicht bewerten, man kennt ihre Geschichte nicht. Und man sollte im Dialog bleiben. Ich kenne auch eine Schweizerin, die ist ein halbes Jahr nach Ghana gereist, um Tanzkurse zu nehmen. Zurück in der Schweiz hat sie eine Tanzschule eröffnet. Was soll ich dazu sagen? Ich stamme aus Südafrika, ich komme aus dieser Kultur, habe mein Leben lang getanzt, und sie eröffnet diese Tanzschule? Ich könnte mit dem Finger auf sie zeigen. Oder ich könnte stolz sein, dass wir ihr in Afrika das Tanzen so gut beigebracht haben. Wir müssen im Dialog bleiben und verschiedene Perspektiven zulassen, ohne zu verbittern. Und wir dürfen dieses Feuer, das nun durch die Dreadlock-Debatte entfacht ist, nicht immer weiter lodern lassen. Mit solchen Debatten laufen wir vor den richtigen Problemen weg.

Aber kulturelle Aneignung ist ja schon ein Thema.

Ja, aber ich finde, man darf andere Menschen nicht bewerten, ohne ihre Geschichte zu kennen. Ich möchte meine Kraft lieber auf die Zukunft richten.

Womit wir wieder beim gegenseitigen Verständnis wären.

Genau, das ist das Thema meines Stücks. Mit Worten versteht man sich so schnell falsch. Und was wir sagen, macht nichts besser, solange wir es nicht spüren. Deshalb tanze ich lieber. Auch das ist Bildung – und alle nehmen das daraus, was sie weiterbringt.

*ein Ausdruck der ursprünglich aus den USA kommt und das Phänomen bezeichnet, dass People of Color häufiger von Polizeikontrollen betroffen sind

Das Interview wurde auf Englisch geführt.

Tour de Lorraine – Soliabend

Im Januar 2020 fand die letzte Tour de Lorraine statt. Dann kam die Pandemie. Die Soliparty wurde mehrmals verschoben. Nun gibt es sie zum ersten Mal als Sommerparty. Am Samstag, 10. September ab 19 Uhr (kein Vorverkauf) gibt es ein wuchtiges Abendprogramm in 18 Lokalen mit einem Eintrittsticket. Neben 40 Bands, Musiker*innen und DJs gibt es Filme im Kino der Reitschule und eine Performance im Tojo-Theater – alles an einem einzigen Abend. Zum Auftakt findet am Donnerstag, 8. September im Kino der Reitschule das PixMix als Veranstaltung der «Tour décolonial» statt: Fünfzehn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen präsentieren ihre persönliche Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe und den rassistischen Realitäten in der Schweiz, indem sie jeweils 20 Bilder à 20 Sekunden zeigen und dazu ihre Geschichten erzählen.

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