Altstadt Spezial

«Fussgängerzonen sind für Einkaufsläden gut»

Das Warenhaus Loeb setzt trotz Online-Konkurrenz auf den stationären Handel. Besitzerin Nicole Loeb spricht im Interview über ihre Event-Strategie und das Nachhaltigkeitsproblem der Kleiderbranche.

Nicole Loeb fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Wir verrechnen uns selbst eine Marktmiete», erklärt Nicole Loeb. Ihr Warenhaus rentiert, trotz steigender Mieten und der Konkurrenz im Internet. (Bild: Simon Boschi)

Das Warenhaus Jelmoli in der Stadt Zürich schliesst Ende 2024. Das Einkaufszentrum Glatt in der Zürcher Agglo hingegen meldete kürzlich Besucherrekorde. Wie geht es Loeb?

Die Schliessung von Jelmoli hat uns erstaunt und betroffen gemacht. Das ist in Zürich ein Warenhaus wie Loeb in Bern. Aber man kann die beiden Unternehmen nicht wirklich vergleichen, weil Jelmoli einer börsenkotierten Immobilien-Firma gehört, die vielleicht andere Interessen hat als unsere Familienfirma. Wir hatten 2022 ein sehr gutes Jahr. Auf Stufe Gewinn vor Abzug von Steuern und Zinsen war das beste seit 2014.

Die Jelmoli-Besitzerin Swiss Prime Site will in Zürich wohl mehr Rendite aus dem Gebäude holen. Könnten Sie hier auch mehr verdienen, wenn Sie das Loeb-Gebäude vermieten würden?

So einfach kann man das nicht sagen. Wir verrechnen uns selbst für das Gebäude, das uns gehört, eine Marktmiete. Dies wird von unabhängigen Experten geprüft.

Ein Warenhaus zu betreiben, rechnet sich für Sie trotz Online-Konkurrenz und hoher Miete noch immer?

Das rechnet sich noch gut, ja. Man kann es mit früheren Renditen vergleichen, auch wenn sich viel verändert hat. Mit dem Internet haben wir Konkurrenz erhalten, die keine Ladenöffnungszeiten kennt. Heute können die Menschen auf dem Sofa einkaufen. Wir müssen uns mehr einfallen lassen, als einfach Produkte in den Laden zu stellen. 

Wie haben Sie das gute Resultat 2022 erzielt?

Die Menschen begegnen sich noch gerne. Darum wollen wir das persönlichste Warenhaus der Schweiz sein. Wir investieren in Begegnungen, organisieren Events wie Kochkurse oder Ladies-Nights. Und wir schauen, dass Kundinnen und Kunden Produkte auch anfassen können. 

Verdienen Sie mit diesen Anlässen Geld?

Sie stützen das Retailgeschäft. Wir wollen mit unseren Kundinnen und Kunden eine Bindung aufbauen und erreichen, dass sie oft und gerne in den Laden zurückkommen. 

Nicole Loeb fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Im Detailhandel sagt man: Der Standort ist alles», sagt Nicloe Loeb. Ihr Standort am Tor zu Innenstadt sei einmalig. (Bild: Simon Boschi)

Sie arbeiten im Onlinebereich mit dem Versandhändler Zalando. Warum?

Loeb ist ein kleiner Player. Wir haben 275 Vollzeitstellen, machen etwa 77 Millionen Franken Umsatz und sind ein stationäres Unternehmen. Darum wollten wir im Onlinebereich mit Partnern arbeiten. 

Ist es nicht schizophren, mit einem grossen Online-Konkurrenten zu arbeiten, der nicht den besten Ruf hat?

Uns ist wichtig, von einer Plattform mit grosser Reichweite zu profitieren, deren Arbeitsplätze sich aber in der Schweiz befinden. Wir können begrenzen, wie viele Pakete wir versenden, denn wir verpacken diese in unserem Laden. Somit ist die Sache für uns steuerbar.

Der Loeb steht am Tor zur Berner Innenstadt. Wie wichtig ist der Standort für Sie?

Einmalig. Im Detailhandel sagt man: Der Standort ist alles. Wir sind abhängig von Frequenzen. Und da bin ich meinen Vorfahren sehr dankbar, haben sie in diese Häuser über die 140 Jahre investiert. Bei der Gründung 1881 war Loeb ja noch gegenüber in der Spitalgasse. 

Sie haben in die Spielwarenabteilung investiert. Warum?

Wir sind ein Familienwarenhaus. Die Spielwaren haben Tradition bei uns - und in Warenhäusern generell. Auch dort setzen wir heute auf Entertainment. Es gibt beispielsweise ein Schiff, auf welchem man eine abenteuerliche Fahrt mit einer 3-D-Brille machen kann. Und neu betreiben wir einen Kinderhort. 

Als Vater nervt es mich sehr, dass Kinder mit aufwändiger Werbung direkt angesprochen und damit zum Konsum animiert werden. Das finde ich aus ethischer Sicht problematisch. 

Wir bieten das an, was der Markt will. Natürlich sind auch viele nachhaltige und regionale Lieferanten vertreten. Ich habe auch zwei Kinder, die heute erwachsen sind und habe mir diese Gedanken damals so nie gross gemacht. Ich sehe ethisch nicht wirklich ein Problem, solange wir keine Spielzeugwaffen verkaufen. Dies tun wir bereits seit Jahren nicht mehr.

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Sitzung im Politforum Bern
© Danielle Liniger
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Vom 8. bis 12. Mai 2023 gastierte die Redaktion der «Hauptstadt» im Demokratie-Turm des Polit-Forums Bern. Wir waren quasi lebender und arbeitender Teil der Wanderausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit». Vom Käfigturm aus erkundeten wir die Innenstadt und stellten dazu unseren «Hauptstadt»-Tisch in die Gassen und ins Warenhaus Loeb und führten daran Interviews. Den «Hauptstadt»-Tisch liess die Redaktion anfertigen, damit er künftig als mobiles Büro immer wieder zum Einsatz kommen kann.

Angesichts der Klimakrise ist Nachhaltigkeit gefragt. Ich bin durch Ihren Laden geschlendert und habe festgestellt: Sie haben wenige nachhaltige Kleiderlabels im Sortiment. Warum schenken Sie diesem Thema nicht mehr Beachtung?

Wir schenken dem Thema Nachhaltigkeit sehr wohl Beachtung. Wir arbeiten beispielsweise mit vielen regionalen Marken. Seit vielen Jahren haben wir keine Plastiksäcke mehr und haben alle Lampen auf LED gewechselt. Wir heizen mit Fernwärme und arbeiten mit dem Label Reawake, einem Secondhand-Shop, der getragene Sachen wieder aufbereitet. Gerade die Energiekrise hat unser Unternehmen, wie sicher viele andere auch, etwas wachgerüttelt. Davor waren wir vielleicht etwas zu unachtsam beim Stromverbrauch.

Die Kleiderindustrie hat ein grosses Nachhaltigkeitsproblem. Sie wollen natürlich viele neue Kleider verkaufen, was der Umwelt schadet. Ein Dilemma.

Wir prüfen die Lieferanten, so gut es geht. So wollen wir etwa Kinderarbeit ausschliessen. Aber hundertprozentig rückverfolgen können wir das als KMU natürlich nicht.

Die Kreislaufwirtschaft ist in der Politik ein grosses Thema. Sie bieten schon verschiedene Reparaturen an. Sollten Sie nicht besser diese Sparte ausbauen?

Reparaturen sind für Loeb bereits heute wichtige Dienstleistungen, die uns Kundinnen und Kunden in den Laden bringen, mit denen wir auch Geld verdienen und die gleichzeitig der Kreislaufwirtschaft dienen. Die Reparaturangebote werden von Kunden sehr geschätzt. 

Nicole Loeb fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Am Samstag besteht ein Bedürfnis, bis 19 Uhr einkaufen zu können», erklärt Nicole Loeb «Den Sonntag hingegen erachte ich nicht als sehr wichtig.» (Bild: Simon Boschi)

Das Einkaufsverhalten verändert sich. Am Donnerstagabend ist in der Stadt wenig los. Dafür sind am Samstag um 17 Uhr die Läden zum Bersten voll. Was bedeutet das für Sie? 

Wir testen nun in Rücksprache mit allen Betroffenen eine Verlängerung der Samstags-Öffnungszeit von 17 auf 18 Uhr. Ich selber bin noch ein Kind des Abendverkaufs. Aber mit dem Onlinehandel ist die Zahl der Kunden zurückgegangen, die ausschliesslich wegen des Einkaufens Abends in die Stadt kommen. 

Dafür ist der Samstag wichtiger.

Die Leute gehen auf den Märit, essen Mittags in der Stadt etwas und kommen dann zu uns. Wir müssen am Samstag um 17 Uhr regelmässig viele Kundinnen und Kunden aus dem Laden komplimentieren. 

Bis wann möchten Sie die Öffnungszeit am Samstag gerne verlängern? 

Es ist nicht die Frage, was wir wollen, sondern was Kundinnen und Kunden wünschen. Ich denke, es besteht ein Bedürfnis, bis 19 Uhr einkaufen zu können. Den Sonntag hingegen erachte ich nicht als sehr wichtig, ausser in der Weihnachtszeit. 

Für die Belegschaft ist die Wochenendarbeit sozial eine Belastung. Wie fangen Sie das auf?

Die Wochenarbeitszeit nimmt nicht zu. Und es gibt viele Mitarbeiterinnen, die gerne am Samstag arbeiten, weil zum Beispiel dann der Mann zu den Kindern schauen kann. Ich denke nicht, dass die Stunde am Samstag einen grossen Unterschied macht. Die Gesellschaft verändert sich. Wir sollten generell über neue Arbeitszeitmodelle diskutieren. 

Sie haben kürzlich im Unternehmen die Du-Kultur eingeführt. Was hat sich verändert? 

Wir wollen das persönlichste Warenhaus der Schweiz sein, waren aber intern per Sie. Das ist historisch gewachsen, denn wir sind in einer formellen Branche. Nun wollten wir die Distanz in der Belegschaft abbauen. Durch das Du kommt man sich ein wenig näher, spricht öfter über Persönliches. Ich erlebe das als positiven Ruck durch das Unternehmen.

Nicole Loeb fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Jede Ladenschliessung ist bedauerlich», sagt Nicole Loeb zur Schliessung von zwei Olmo-Filialen. Eine lebendige Innenstadt helfe allen. (Bild: Simon Boschi)

Sie bauen ein Restaurant auf das Loeb-Dach. Warum bezeichnen Sie das als alten Traum?

Die Aussicht ist traumhaft und wir wollten dort oben etwas kreieren, das für alle zugänglich ist. 

Führen werden das Restaurant die Pächter*innen der Restaurants Fédéral und Obstberg.

Es ist ein Berner Unternehmerpaar, das die Stadt kennt. Und es wird ein italienisches Konzept, dass nicht auf Gourmet getrimmt ist, sondern auch Pizza anbietet. Uns ist wichtig, dass das Restaurant für alle zugänglich ist. 

Die Pandemie war für Sie ein Schock. Ist der überwunden?

Ja. – Das Schlimmste war, etwas zu erleben, das wir nicht kannten. Ich konnte nicht zum Vater gehen und fragen, was man macht, wenn man den Laden schliessen muss. Diese Erfahrung gab es gar nicht. Wir hatten ein Berufsverbot, aber die Kosten liefen. Im Laden hingen Waren für drei Monate, und wir konnten sie nicht verkaufen. Ich hatte grosse Sorgen.

Haben Sie noch Covid-Kredite in den Büchern?

Wir haben keine Kredite aufgenommen.

Wie viel Ihrer Pandemie-Kosten übernahm der Bund, wie viel haben Sie selbst eingeschossen?

Die Kurzarbeitsentschädigung war eine grosse Hilfe. Und dank unserer patronalen Stiftung konnten wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 100 Prozent Lohn auszahlen. Zudem erhielten wir die Härtefallentschädigung vom Bund. Aber die Staatshilfen haben nicht alle Verluste abgedeckt. 

Die fünfte Generation

Nicole Loeb (56) führt das Familienunternehmen Loeb in 5. Generation. Sie hatte die Leitung 2005 von ihrem Vater François Loeb übernommen. Loeb lebt in Muri, ist verheiratet und Mutter zweier erwachsener Töchter. Ihre Firma steigerte laut Geschäftsbericht im vergangenen Jahr den Umsatz um 11 Prozent auf 76,7 Millionen Franken. Das Betriebsergebnis vor Steuern und Abgaben lag mit knapp 13 Millionen Franken 15,6 Prozent über Vorjahr. Die Gesamtentschädigung, welche das Unternehmen der dreiköpfigen Geschäftsleitung – zu der Nicole Loeb gehört – im letzten Jahr auszahlte betrug 1,56 Millionen Franken. 

Der Kleiderladen Olmo schliesst in der Innenstadt zwei Filialen. Was dachten Sie, als Sie das hörten?

Jede Ladenschliessung ist bedauerlich. Eine lebendige Innenstadt hilft allen. Bis jetzt stelle ich aber nicht viele Leerstände fest. Die Läden füllen sich wieder. Es gibt derzeit auch viele junge Unternehmer, die etwas wagen.

Wie wird sich der Ladenmix in der Innenstadt verändern?

Der stationäre Handel wird wichtig bleiben, aber er wird sich in Richtung Kombination von Einkaufen und Verweilen in Gastroangeboten bewegen. Das reine Ausstellen von Produkten ist dem Internet überlassen. 

Nicole Loeb fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Fühlt sich «nicht unwohl» im linksregierten Bern: Nicole Loeb in der Damenabteilung ihres Warenhauses. (Bild: Simon Boschi)

Von KMU Bern gibt es die Klage, dass das Auto aus der Innenstadt verdrängt werde und dies dem Gewerbe schade. Hat die Reduktion von Parkplätzen und Tempo bei  Loeb zu Umsatzeinbussen geführt? 

Unsere Frequenzen sind weiterhin gut, aber ich erhalte E-Mails von Kunden, die gerne mit dem Auto etwas Schweres abholen wollen. Doch die Parkhäuser seien teuer und zu weit entfernt. Das Problem lösen wir mit einem Lieferdienst. Das Velo ist als Verkehrsmittel nun mal die Zukunft in der Stadt. 

Auch der Lieferverkehr ist ein Dauerthema in der Stadtpolitik. Fühlen Sie sich da unterstützt oder benachteiligt?

Das läuft bei uns derzeit reibungslos. Es laufen momentan verschiedene Workshops zu diesem Thema. Aber die geplante City-Logistik mit Hubs und Feinverteilung ist für uns nicht realistisch, weil wir von den Mengen her die direkte Anfahrt von Lastwagen brauchen. 

Wir haben vor einem halben Jahr mal einen Artikel über die Vision eines autofreien Bahnhofplatzes publiziert. Wäre das gut für den Loeb?

Grundsätzlich sind Fussgängerzonen für Einkaufsläden gut. Man muss einfach schauen, dass zum Beispiel Taxis weiterhin in die Innenstadt kommen, denn sie sind gerade für ältere Leute wichtig. Und die Parkhäuser dürfen nicht zu teuer sein. Ich bin aber skeptisch, ob ein autofreier Bahnhofplatz verkehrstechnisch sinnvoll ist.

Fühlen Sie sich wohl im links regierten Bern?

Ich fühle mich nicht unwohl und habe gute Kontakte in die Politik. Es gibt zwar Themen, da bin ich anderer Meinung. Aber wir leben ja in einer Demokratie. 

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Diskussion

Unsere Etikette
Ruedi Muggli
16. Mai 2023 um 12:35

Alle sind glücklich, dass Loeb keine Immobilienfirma ist - sonst wäre das Warenhaus längst weg. Hoffentlich bleibt das so!