Flugstunde mit Engeln – Askforce-Selection #39
Die Askforce übt sich in geflügeltem Denken: Sie wagt sich zu Weihnachten an die Frage, was Engel ornithologisch betrachtet eigentlich sind.
Jessica K. ist beim Drapieren ihrer Weihnachtsdekoration aufgefallen, dass Engel ganz unterschiedliche Flügel haben. Die Porzellanengel mit barocker Körperfülle und Stummelflügeln sähen «gar nicht besonders flugtauglich» aus. Sie verfüge aber auch über Engelsfiguren mit «weit ausladenden, adlerhaften Schwingen». Jessicas Frage ist deshalb naheliegend: «Was sind Engel ornithologisch betrachtet eigentlich?»
Die Askforce nennt sich selber «Berns bewährte Fachinstanz für alles, die Antworten auf Fragen liefert, die viele nicht zu stellen wagen». Mit anderen Worten: Keine Frage ist zu abwegig. Das ist eine Aufforderung an alle Hauptstädter*innen: Deckt die Askforce mit euren lebenswichtigen Fragen ein – an diese Adresse: [email protected].
Über 20 Jahre lang erschien die Askforce wöchentlich im Bund und erarbeitete sich den Ruf, die schrägste Kolumne der Schweiz zu sein. Als Bund und BZ im Herbst 2021 fusionierten, verschwand die Askforce aus dem Traditionsblatt, verewigte sich in einem Buch und tauchte als Startup Anfang 2022 wieder auf.
Alle das Himmlische betreffenden Fragen sind natürlich immer äusserst heikel und brisant. Die Askforce wird sich deshalb vorsichtigerweise damit begnügen, die möglichen Einordnungen ganz wertfrei darzulegen: Wird einzig von den gefiederten Extremitäten der Engel ausgegangen, so könnte – wie Jessica selber andeutete – in gewissen Fällen eine Verwandtschaft mit Greifvögeln in Betracht gezogen werden. Möglicherweise ist es sogar zulässig, eine Unterart der Eingreifvögel zu vermuten: die Schutzengel.
Die stummelflügeligen und an juveniler Adipositas leidenden Barockengel machen aber deutlich, wie unbefriedigend diese Antwort bleibt. Als gesichert gilt eigentlich nur, dass keine Verwandtschaft zwischen Engeln und Fledermäusen besteht.
Das räumt aber die Zweifel nicht aus, ob Jessicas Frage überhaupt zulässig ist. Denn egal ob pausbäckig, eingreifend oder strafend: Es gibt schier zwingende Indizien, dass sich Engel gar nicht ornithologisch klassifizieren lassen! So lässt sich nämlich nicht ausblenden, dass Engel über mehr Gliedmassen verfügen als Vögel: Flügel (2), Arme (2), Fänge oder Beine (2). Als Hexapoda, also Sechsfüssler, wäre aber eher eine Verwandtschaft mit – beispielsweise – den Bienen anzunehmen.
Nur ist die Angelegenheit leider noch komplexer: In einer Nation, in der die politische Mehrheit ihr christliches Erbgut hervorhebt, wissen ja höchstens die ganz Trotteligen nicht, dass es nebst den zweiflügligen auch sechsflüglige Engel gibt. Sicher wird in manch frommer Stube Jesaja 6, Vers 1 bis 7, zitiert: «Seraphim standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel: Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zwei bedeckten sie ihre Füsse und mit zwei flogen sie. Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere.» 2 Beine, 2 Arme, 6 Flügel: Mit Blick auf die Zehngliedrigen – die Decapoden – gewinnen wir immer abgründigere Erkenntnisse: Die Decapoden, die wir am besten kennen, sind die komplett flügellosen Delikatessen namens Languste.
Die Askforce zieht es vor, die zoologische Engelskunde an diesem Punkt zu unterbrechen, verbunden mit der dringenden Bitte an Jessica K., mit Engelsgeduld zu überprüfen, warum sie überhaupt eine Antwort auf die Frage nach der ornithologischen Einordnung von Engeln braucht.
Askforce-Selection #39, 18. Dezember 2023