«Ich will ein Asylzentrum im Tiefenauspital»

In der Stadt Bern sind bald drei unterirdische Asylzentren in Betrieb. Sozialdirektorin Franziska Teuscher fordert darum Bund und Kanton auf, jetzt schnell oberirdische Lösungen zu ermöglichen.

Spital Tiefenau fotografiert am Freitag, 25. August 2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Das Tiefenauspital wird geschlossen. Bald sollen hier Asylsuchende wohnen. (Bild: Manuel Lopez)

Unter der Turnhalle des Berner Brunnmattschulhauses werden in einer unterirdischen Zivilschutzanlage ab Mitte September Asylsuchende einziehen, wie der Kanton kürzlich mitgeteilt hat. Die Notunterkunft bietet Platz für 100 Personen.

Unter der Postfinance-Arena an der Mingerstrasse im Wankdorf könnten ab September bis zu 280 Asylsuchende untergebracht werden. Der Kanton Bern hat diese städtische Anlage laut dem Regionaljournal von SRF dem Staatssekretariat für Migration als Notunterkunft für die vom Bund betreuten Geflüchteten gemeldet. 

Diese Zivilschutzanlagen werden wegen der vielen Asylgesuche geöffnet. Im ersten Halbjahr haben schweizweit über 14’000 Personen ein Asylgesuch gestellt. Mit ein Grund für Eröffnung der Notunterkünfte ist auch der Widerstand in einigen Berner Gemeinden gegen Asylunterkünfte auf ihrem Gebiet.

Zusammen mit dem Rückkehrzentrum in Bern-Brünnen, das seit Anfang Jahr in Betrieb ist, sind in der Stadt Bern wohl bald drei unterirdische Asylunterkünfte in Betrieb. Das wäre ein Zustand, den sowohl Stadtrat als auch Gemeinderat eigentlich nicht tolerieren wollen. Unterkünfte unter Tag seien nicht das, was man kriegstraumatisierten Flüchtlingen zumuten wolle, sagte Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) in den vergangenen Jahren immer wieder. 

Spital Tiefenau fotografiert am Freitag, 25. August 2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Nach der Schliessung geht das Tiefenauspital Ende Jahr von Insel-Gruppe in den Besitz der Stadt über. (Bild: Manuel Lopez)

Dennoch zeigt sich die Stadt in der aktuellen Situation bei der Suche nach Notlösungen kooperativ. Die Stadt stellt im Gegenzug aber auch Forderungen an Bund und Kanton, wie Gemeinderätin Teuscher nun im schriftlichen Interview mit der «Hauptstadt» ausführt:

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Frau Teuscher, warum toleriert und ermöglicht die Stadt in den kommenden Monaten weitere unterirdische Asyl-Unterkünfte? Bisher haben Sie das doch immer abgelehnt.

Franziska Teuscher: Es ist in der alleinigen Kompetenz des Kantons, die Unterkünfte für die Aufnahme von Geflüchteten zu bestimmen. Damit besteht für die Stadt eigentlich keine Wahlfreiheit. Für den Gemeinderat der Stadt Bern ist die Eröffnung einer unterirdischen Anlage für Asylsuchende keine gute Lösung. Wir wollen aber verhindern, dass Geflüchtete plötzlich auf der Strasse übernachten, weil alle Schlafplätze besetzt sind. Daher dulden wir notgedrungen die Eröffnung der Zivilschutzanlagen auf dem Boden der Stadt Bern. Ich kann nicht verstehen, dass andere Gemeinden im Kanton Bern angesichts der starken Migration die Realisierung von oberirdischen Anlagen bekämpfen. Es ist unmenschlich, Geflüchtete unterirdisch unterzubringen. Das gilt für alle – auch für junge Männer, die nun in den Zivilschutzanlagen untergebracht werden müssen. Der Gemeinderat toleriert diese Notlösungen nur für Wochen oder wenige Monate. Die Suche nach zusätzlichen oberirdischen Unterkünften muss mit Hochdruck weitergehen.

Welche Begleitmassnahmen sind aus Ihrer Sicht nötig, wenn Geflüchtete unter Tag wohnen müssen? 

Unter dem Boden bei Kunstlicht wohnen, kaum Privatsphäre haben, gefilterte Luft atmen und auf knappem Raum leben: Das alles ist für Menschen sehr belastend. Sie werden physisch und psychisch strapaziert und ihre Gesundheit leidet enorm. Diese Leute kann man nicht einfach sich selbst überlassen. Sie brauchen eine professionelle, interdisziplinäre und enge Begleitung und Betreuung. Wir werden alles daransetzen, dass die Geflüchteten Zugang zu Aktivitäten und Aufenthaltsräumen ausserhalb der Anlage an der Effingerstrasse haben. Ich zähle auch dieses Mal auf die Solidarität der Berner*innen und auf ihr grosses Engagement, den Geflüchteten etwas Lebensqualität zu schenken. Die geflüchteten Menschen sollen sich bei uns willkommen fühlen. Wichtig ist, dass sie auch wissen, dass wir alles daransetzen, dass der Aufenthalt in einer unterirdischen Zivilschutzanlage nicht dauerhaft sein wird.

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Sozialvorsteherin

Die grüne Politikerin Franzisika Teuscher ist seit 2013 Gemeinderätin und Vorsteherin der Direktion für Bildung, Soziales und Sport. Davor war die Biologin 18 Jahre im Nationalrat.

Mit der Anlage an der Mingerstrasse helfen Sie dem Bund aus der Patsche, da der Ständerat Container-Dörfer verhindert hat. Was sind nun Ihre Forderungen an das dafür zuständige Justizdepartement?

Nach dem Entscheid des Ständerats bleibt dem Bund im Moment keine andere Möglichkeit, als kurzfristig auf unterirdische Anlagen auszuweichen. In der aktuellen Notsituation erwarte ich aber, dass er auch bei seinen Immobilien flexibler und kreativer wird und beispielweise oberirdische Unterkünfte in Kasernen zur Verfügung stellt. Im Raum Bern denke ich an die Kaserne im Berner Breitenrainquartier oder an den Waffenplatz Sand Schönbühl. Es sollte doch in der aktuellen Situation möglich sein, in diesen grossen Armeeanlagen mit einer geschickten Organisation Unterkünfte für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. So könnte die unterirdische Zivilschutzanlage an der Mingerstrasse zeitlich auf ein absolutes Minimum beschränkt werden.

Auch die Unterkunft an der Effingerstrasse bezeichnen Sie als Notlösung. Was erwarten Sie vom Kanton?

Der Gemeinderat toleriert in der aktuellen Notsituation auch die Zivilschutzanlage unter dem Brunnmatt-Schulhaus. Parallel dazu erwarte ich, dass der Kanton die Gemeinden in die Pflicht nimmt. Es darf nicht sein, dass eine geeignete Unterkunft wie das Kurhaus Haltenegg in Heiligenschwendi am Widerstand der Gemeinde scheitert. Auch das unterirdische Rückkehrzentrum Brünnen darf nicht zu einer Dauerlösung werden. Kanton, Gemeinden und Private müssen gemeinsam die Herausforderung angehen, oberirdisch genügend Plätze zu organisieren. Auch über neue Containersiedlungen im Kanton sollte nachgedacht werden. 

Alle politischen Ebenen sprechen bei Notunterkünften von Übergangslösungen. Welche oberirdischen Anlagen kann denn die Stadt anbieten?

Die Stadt hat leider bis anhin dem Kanton kein Gebäude zur Verfügung stellen können, weil wir schlicht kein geeignetes hatten. Das hat sich mit dem Entscheid zur Schliessung des Tiefenauspitals Ende Jahr geändert. Da das Spital danach mit dem sogenannten Heimfall in städtischen Besitz kommt, hat die Stadt umgehend mit dem Kanton Gespräche aufgenommen. Wir bieten dort Hand für eine weitere grosse Flüchtlingsunterkunft in Bern. Stadt und Kanton arbeiten derzeit gemeinsam daran, diese Liegenschaft für die Aufnahme von Geflüchteten so rasch wie möglich zur Verfügung stellen zu können. Es hängt bei der Stadt wie beim Kanton vom politischen Willen ab, ob wir das Tiefenauspital 2024 als Flüchtlingsunterkunft eröffnen können und im Gegenzug dazu die unterirdischen Anlagen schliessen. Für mich ist klar: Ich will ein zusätzliches Asylzentrum im Tiefenauspital. 

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Diskussion

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Esther Brunner
28. August 2023 um 19:45

Auch ich will ein Asylzentrum im Tiefenauspital, umso mehr weil ich die Verhältnisse in einer Zivilschutzanlage von Innen kenne. ich habe 1992/93 in der Zivilschutzanlage an der Effingerstrasse gearbeitet. Ich konnte in der Nacht nach Hause, die Asylsuchenden mussten bleiben. Die Verhältnisse waren schrecklich. Es war eng, stickig, es gab absolut keine Privatsphäre, es gab auch keine Duschen. Einige Menschen hatten Platzangst. Die Fragen was die Menschen erlebt haben, woher sie kommen, was sie nötig hätten, die stellte man sich nicht. Die Zivilschutzanlagen dürfte man nicht einmal als absolute Notlösung brauchen, denn es lassen sich Plätze über der Erde finden. Das liegt an uns.