Base4Selbstkritik

Zum Debakel bei der Einführung der IT-Plattform «Base4kids» in den Stadtberner Schulen liegt schon der dritte Untersuchungsbericht vor. Die wichtigste Frage bleibt offen: Besteht Gewähr, dass die Stadt beim nächsten grossen Informatikprojekt nicht wieder in den teuren Hammer läuft?

Alec von Graffenried, Ueli Friederich, Franziska Teuscher MK Base4kids, März 2022
Gelernte Lektionen: Stadtpräsident Alec von Graffenried, Expertisenautor Ueli Friederich, Gemeinderätin Franziska Teuscher. (Bild: Sandro Arnet)

«Base4kids» war ein Debakel. Wäre das Schul-Informatik-Grossvorhaben bei seiner Einführung ab 2018 so minutiös begleitet worden wie jetzt die Vergangenheit in Untersuchungsberichten aufgearbeitet wird, wäre es vielleicht gut gekommen. So aber geht «Base4kids» als Projekt in die Geschichte ein, das Schwächen der Regierungsroutine der rot-grünen Mehrheit in der Stadt Bern offenlegt wie kaum eines zuvor. Und das in ebenso ungewohntem Mass die Lernbereitschaft der Stadtregierung herausfordert.

Eine Schulinformatikplattform ist per se kein Luxusprojekt, sondern eine Infrastruktur, ohne die heute weder gelernt noch gelehrt werden kann. Gut 10’000 Kinder besuchen Stadtberner Schulen, sie werden von rund 2000 Lehrer*innen unterrichtet. Ein Informatikprojekt für diese Klientel ist rein quantitativ ein Monster.

Innovativ, aber unbrauchbar

Doch die rot-grüne Mehrheit in der Stadt Bern versah es zusätzlich mit Leuchtturmambitionen: Es sollte auf einer frei zugänglichen Open-Source-Technologie basieren und nicht am Gängelband von US-Riesen wie Microsoft oder Google hängen. Über 24 Millionen Franken bewilligten die Stimmberechtigten 2018 dafür, doch die Schüler*innen und Lehrer*innen erhielten dafür Geräte und Software, die zwar innovativ waren, aber sich für den Unterricht als kaum oder gar nicht brauchbar erwiesen.

Als die zuständige Schuldirektorin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis) und mit ihr der Gesamtgemeinderat 2019 auf das sich anbahnende Desaster aufmerksam wurden, war es bereits zu spät. Sie reagierten zwar rasch, doch der Ausweg führte über Mehrkosten. 2021 bewilligte der Stadtrat einen Zusatzkredit von 2,7 Millionen Franken – unter anderem, um «Base4kids» doch noch mit Microsoft-Programmen fitzumachen. Inzwischen arbeiten die Schulen mehr oder weniger anstandslos mit «Base4kids».

Franziska Teuscher MK Base4Kids, März 2022
Zu wenig Führung? Franziska Teuscher, Vorsteherin der Direktion für Bildung, Soziales und Sport. (Bild: Sandro Arnet)

Gar nicht anstandslos läuft die politische Nachbearbeitung. Nachdem bereits 2020 ein externer Expert*innenbericht kaum ein gutes Haar an der Begleitung von «Base4kids» durch die städtische Schuldirektion gelassen hatte, doppelte ein Untersuchungsausschuss der stadträtlichen Aufsichtskommission unter dem Vorsitz von Claudine Esseiva (FDP) im Dezember 2021 in seltener Heftigkeit nach. Sie sah eklatante Führungsschwächen bei Franziska Teuscher, weil die «Schlüsselaufgaben einer Direktionsleitung vernachlässigt» worden seien.

Heute nun legte die Stadtregierung den nächsten Untersuchungsbericht auf den stattlichen Stapel. Diesen hatte sie für ein Kostendach von 54’000 Franken selber in Auftrag gegeben, bei Rechtsanwalt Ueli Friederich aus der Kanzlei «Recht und Governance», die unter anderem auch im Fusionsdossier Bern-Ostermundigen involviert ist.

Man könnte angesichts dieser Konstellation ein Gefälligkeitsgutachten erwarten, doch Friederich schliesst sich auf sage und schreibe 160 Seiten dem kritischen Fazit der Aufsichtskommission praktisch vollumfänglich an: «Base4kids» sei aus dem Ruder gelaufen, weil man es unterschätzt, mit zu wenigen Personalressourcen begleitet und die Projektorganisation mangelhaft aufgegleist habe.

«Ein absolutes No-go.»

Ueli Friederich, Autor des Untersuchungsberichts

Friederich gab sogar noch einige Müsterchen zum Besten. Sie illustrierten, dass es sich bei der Bearbeitung von «Base4kids» durch die Stadtverwaltung nicht nur um Fehlannahmen handelte, wie sie bei grossen Informatikprojekten quasi standardmässig vorkommen. Sondern um teilweise absolut realitätsferne Einschätzungen. So habe ihm ein «Base4kids»-Projektleiter erzählt, sagte Friederich, er habe in einer bestimmten Projektphase gerade mal fünf Prozent seines Arbeitspensum für das Informatikprojekt aufwenden können. Das sind mickrige zwei Stunden pro Woche – für ein Vorhaben dieser Grösse.

Was noch besorgniserregender ist: Friederich fielen mehrere Auftragsvergaben auf, die auf Stufe Schulamt getätigt wurden, bevor die entsprechenden Kredite politisch bewilligt waren. «Ein absolutes No-go», hielt Friederich fest. Man könnte auch sagen: ein politischer Schlendrian, den wohl nur zulässt, wer sich der Mehrheiten absolut sicher sein kann.

«Das Projekt muss jetzt Chefsache sein.»

Claudine Esseiva, FDP-Stadträtin

FDP-Stadträtin Claudine Esseiva ärgert sich darüber, dass der Gemeinderat nun noch einen eigenen Untersuchungsbericht publiziere, der für viel Geld kaum mehr aussage als die weitgehend in ehrenamtlicher Arbeit erstellte Untersuchung der stadträtlichen Aufsichtskommission. Was sie aber vor allem verlangt: Mehr Führung für «Base4kids». «Das Projekt muss jetzt Chefsache sein», fordert sie, es solle sogar vom Schulamt losgelöst werden.

Zudem: «Base4kids» sei nicht die einzige Grossbaustelle in der Direktion von Franziska Teuscher, die viel zu gross, deshalb nicht führbar und dringend zu verkleinern sei. In der Kritik an Teuscher trifft sie sich mit Sibyl Eigenmann (die Mitte), die verlauten lässt, dass «Base4kids» «ein Fiasko mit Ansage sei», dessen Ursprung «im Dogmatismus» der Direktionsspitze liege.

Nächster Release steht bevor

Wie immer man zu dieser Kritik steht: Aus Sicht der Öffentlichkeit ist für die Zukunft entscheidend, ob Stadtregierung und Direktionsspitzen bereit sind, die Lektionen aus «Base4kids» zu lernen. Immerhin steht bereits für 2023/24 der Release für die nächste Version der Informatikplattform an.

Stadtpräsident Alec von Graffenried (Grüne Freie Liste) und Franziska Teuscher gestanden heute vor den Medien Fehler ein und entschuldigten sich bei Schüler*innen und Lehrer*innen dafür. Sie beteuerten, Verbesserungen aufgegleist zu haben. Beispielsweise soll es nicht mehr möglich sein, dass Direktionen quasi im Alleingang komplexe Informatikprojekte durchziehen, eine Unterstützung und Beaufsichtigung durch die Fachabteilung «Digital Stadt Bern» gehöre inzwischen zum Standard.

Andere «lessons learnt» werfen auch neue Fragen auf. Selbstverständlich will der Gemeinderat künftig komplexe Projekte nachhaltig managen und  genügend Personalressourcen ausstatten. Aber: Wie ist das möglich in einer Stadt, die in den roten Zahlen steckt und sparen müsste an allen Ecken und Enden?

Eine Frage der Zeit?

Zwei neue, leitende IT-Fachkräfte bei «Base4kids» haben kürzlich bereits in der Probezeit gekündigt. Nicht, weil sie «Base4kids» nicht spannend gefunden hätten, sondern aus anderen Gründen. Die Vakanz wird derzeit mit einer externen Lösung überbrückt, die zusätzliche Kosten generiert. Es sei schwierig, angesichts des Fachkräftemangels im IT-Bereich geeignetes Personal zu finden. Zudem dürfte die städtische Schuldirektion im Wettbewerb um die raren, guten Informatiker*innen nicht die besten Karten haben. Trotzdem wolle man sich die nötige Zeit lassen, eine gute Lösung zu finden, sagt Franziska Teuscher.

Wenn es denn eine Frage der Zeit ist.

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Diskussion

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Hannes Ummel
09. August 2022 um 09:18

Ein interessanter Beitrag, danke! Die These, dass das Fiasko rot-grüner Machtgewöhnung geschuldet ist, scheint mir plausibel, aber mit dem einzigen Indiz, dass das Schulamt Aufträge vor der Kreditvergabe vergeben hat, noch etwas wenig gestützt. Ob Base4Kids heute funktioniert? Von meinen Kindern höre ich eher Gegenteiliges.