Stadtlandwirtschaft

Zu Besuch im Stall

Nachhaltige Landwirtschaft sieht in der Praxis oft anders aus, als man sie sich als städtische*r Konsument*in vorstellt. Das zeigt der Besuch auf der Baustelle eines Laufstalls.

_DSC9126
Noch sind die Kühe im Anbindestall. (Bild: Danielle Liniger)

Auf dem Hof der Familie Biehler in Wislenboden bei Worb ist es an diesem Tag laut und heiss. Bauarbeiter sägen und motoren. Ein neuer Laufstall für die Milchkühe nimmt allmählich Form an. Noch fehlt die Überdachung. 40 Kühe sollen bald darunter Platz finden. Sie können frei herumlaufen. Fressen und liegen, wann sie wollen. Es ist ein sogenannter Kompoststall, eingestreut mit Sägemehl. Das Sägemehl verwandelt sich mit den Ausscheidungen der Kühe zu Kompost. Von diesen Ställen gibt es noch nicht sehr viele in der Schweiz.

_DSC8919
Die Arbeiten am neuen Stall gehen voran. Bauer Markus Biehler streicht den Melkstand. (Bild: Danielle Liniger)

Im Schweizer Mittelland kostet der Bau eines Kuhplatzes inklusive Liege- und Fressbereich sowie Gülle- und Futterlager zwischen 15’000 und 25’000 Franken. Das macht bei 40 Kühen insgesamt eine Investition von rund einer Million Franken. Viel Geld. Hofbesitzerin ist die Burgergemeinde Bern, sie tätigt die Investition, die Pächterfamilie hilft jedoch bei der Arbeit; das ist ihr Beitrag. Heute streichen Markus und Jolanda Biehler den Melkstand, Stefan Hadorn, Leiter Landwirtschaft bei der Burgergemeinde, schaut bei den Bauarbeiten vorbei.

_DSC8887
Der neue Stall bietet Platz für 40 Kühe. (Bild: Danielle Liniger)

Bisher hatte der Hof einen Anbindestall für maximal 28 Kühe. Anbinden ist auch für einen Bio-Betrieb zulässig. Als die neue Pächterfamilie vor drei Jahren aus dem Luzernischen nach Worb gezogen ist, war ein neuer Laufstall für sie trotzdem Bedingung. «Mir macht es keine Freude, wenn ein Tier angebunden ist», sagt Bauer Markus Biehler, der den Hof auf Bio umgestellt hat. Das Tierwohl ist ihm wichtig.

_DSC9145
Kühl und dunkel - aber auch weniger Ammoniak-Emmissionen. (Bild: Danielle Liniger)

Im Anbindestall, der noch genutzt wird, bis der neue in Betrieb ist, ist es an diesem heissen Tag kühl und dunkel. Die Kühe liegen auf ihren Plätzen im Stroh, die Schwänze sind hochgebunden. Ein solcher Stall wäre auch dann noch zulässig, wenn die Massentierhaltungsinitiative angenommen werden würde. «In diesem Stall ist es für Mensch und Tier streng», sagt Jolanda Biehler, die auch bei der Stallarbeit mithilft. Daneben verarbeitet sie bis zu 60 Liter Milch pro Tag zu Glacé. Es ist einer der wichtigsten Erwerbszweige des Hofs, weit herum bekannt – auch wenn nur ein kleiner Teil der Milch dort verarbeitet wird.

_DSC9271
Stefan Hadorn von der Burgergemeinde Bern. (Bild: Danielle Liniger)

«Je mehr Kühe gehalten werden, desto effizienter kann in einem Laufstall gewirtschaftet werden», sagt Stefan Hadorn von der Burgergemeinde, der auch als Unternehmensberater in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Familie Biehler stockt nun von 28 auf 40 Kühe auf, die Kühe haben im mächtigen Stall viel mehr Platz. «Wir haben die Halle grösser gemacht als die Tierschutznormen vorschreiben», sagt Hadorn, «in diesem Laufstall könnten wir sogar auf Demeter umstellen.»

Aber das Tierwohl und die Wirtschaftlichkeit sind nur die eine Seite der Medaille. Ein grosser Laufstall hat auch Nachteile.

Er sorgt für mehr Ammoniak-Ausstoss als ein kleiner, dunkler Anbindestall. Je mehr Platz einem Tier geboten wird, desto mehr verschmutzte Flächen gibt es, die mit der Sonne und dem Wind in Berührung kommen. Entsprechend steigen die Ammoniakemmissionen, die aus der Gülle in die Luft entweichen. Dort bilden sie zusammen mit anderen Luftschadstoffen Feinstaub. Es ist sogenannter sekundärer Feinstoff, primärer entsteht auf der Strasse nebenan, von den dortigen Lastwagen und Autos. Kühe und Rinder sind jedoch für 50 Prozent der Ammoniak-Emmissionen verantwortlich.

_DSC8956
Der grosse Laufstall ist von der Strasse aus gut sichtbar. (Bild: Danielle Liniger)

Von diesem Gesichtspunkt aus ist ein Anbindestall ökologischer. Und auch punkto Zersiedelung kann ein Laufstall, der oftmals aufs freie Feld gebaut wird, nicht punkten. Er ist häufig grösser als das ganze Bauernhaus inklusive Stall. So auch in Worb, wo der neue Stall von der Strasse her gut sichtbar ist.

Gut möglich, dass sich jemand an dem neuen grossen Bauwerk stören wird. Es sind die Konflikte, vor denen Bäuer*innen immer wieder stehen. Konflikte, die die Biehlers, die beide ursprünglich nicht aus der Landwirtschaft kommen und sich in der Stadt Zürich kennengelernt haben, gut kennen. Ein Spagat zwischen städtischer und ländlicher Sicht, zwischen Idealismus, Wirtschaftlichkeit und Tierwohl.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren