1,7 Tage Bern
Für den Berner Tourismus ist derzeit Hochsaison. Doch wer kommt eigentlich für Ferien in die Bundesstadt – und was tut diese, damit die Menschen möglichst lange bleiben?
Tourist*innen stehen dicht gedrängt vor dem Berner Zytglogge und richten ihre Smartphones auf die Turmuhr – sie scheinen von Ehrfurcht erfüllt, ganz so, als werde hier im nächsten Augenblick der Papst auf einer Sänfte durch die Altstadt getragen. Gereckte Hälse. Doch statt Kirchenoberhaupt ein Glockenspiel. Die Kamera löst aus. Das Bild ist im Kasten und reist im Speicher weiter nach Deutschland, Portugal oder Marokko.
Am Rande der Menschenmenge hat Manuela Spring ihr Cargovelo parkiert. Sie arbeitet seit zwei Jahren für die städtische Tourismusorganisation Bern Welcome im Bereich der «Guest Relations». Das «Infovelo», wie sie es nennt, ist das mobile Pendant zur Touristeninfo im Bahnhof. In den Sommermonaten, meist von Mai bis Oktober, sind Spring oder ihre Kolleg*innen mit dem Velo in der Innenstadt unterwegs.
Kaum eine Bernerin weiss so gut, was Tourist*innen wollen. Im Inneren der Transportbox schlummern Stadtkarten und Infobroschüren zu Museen und Velorouten. Spring hat ausserdem ein Tablet bei sich, über das Tourist*innen direkt bei ihr Stadtführungen buchen können.
Mit ihrem Velo folgt Spring «dem Fluss». Und damit meint sie nicht die Aare, sondern den Touristenstrom, der seine Quelle meist am Bahnhof hat und sich von dort über Bundesplatz in Richtung Zytglogge ergiesst. «Ich fahre in diesen Bereichen oft Schritttempo, weil ich so häufig angesprochen werde», sagt Spring.
Bern nicht links liegen lassen
Die Fragen sind so vielfältig wie die Herkunftsländer der Besuchenden. Italiener*innen und Spanier*innen wollen beispielsweise wissen, wo man nach 14 Uhr in Bern noch zu Mittag essen könne. Spring recherchiert dann jeweils kurz in ihrem Tablett und schlägt Orte mit «durchgehend warmer Küche» vor.
Sonntags ein passendes Restaurant für die Besucher*innen zu finden, sei gar nicht so leicht, weil viele geschlossen sind. Ein Klagelied, in das auch die ständigen Bewohner*innen Berns einstimmen möchten, ist man geneigt hinzuzufügen.
Am Zytglogge tummeln sich an diesem Donnerstagmorgen viele Tagestouristen. Sie sind zum Beispiel aus Luzern oder Zürich angereist. Man habe Bern «nicht links liegen lassen wollen», sagt ein Besucher aus Bayern fast entschuldigend. Letztes Jahr war er mit der Frau in Schaffhausen, diesen Sommer verbringt er 13 Tage in Luzern. «Wir arbeiten uns langsam in der Schweiz vor», erläutert er seine Strategie.
Familie Dias aus Lissabon hat sich drei Tage Zeit genommen für Bern und einigen Orten einen Besuch abgestattet: Münster, Bärenpark, Historisches Museum, Einsteinhaus und Zentrum Paul Klee. An einem Tag zog es Vater, Mutter und Tochter dann allerdings schon weiter an den Genfersee, wo sie Lausanne und Montreux besuchten.
«Viele Menschen sind überrascht, wie klein die Berner Alt- und Innenstadt ist», sagt Manuela Spring. Bleiben sie zwei oder drei Nächte in der Stadt, stelle sich rasch die Frage: «Was kann ich noch machen?». Spring hat darauf natürlich einige Antworten parat. Guetzli bei Kambly kosten, in den Schoggi-Zug steigen, den Gäggersteg im Gantrisch erklimmen oder den Wohlensee erkunden.
Wer bleibt länger?
Im Schnitt bleiben Besucher*innen in Bern nur 1,7 Nächte (zum Vergleich: In Luzern sind es 1,9 Nächte). Über diese Zahlen verfügt Bern Welcome, die mit ihren 55 Angestellten an der Amthausgasse daheim ist – und damit nur einen Steinwurf entfernt von der Touristenmeile zwischen Bundeshaus und Zytglogge.
Bern Welcome hat ein jährliches Budget von acht Millionen Franken. Das Geld stammt aus Leistungsverträgen mit der Stadt und dem Kanton. Ausserdem erzielt die Tourismusförderungs-Gesellschaft Einnahmen durch Stadtführungen und über den Verkauf von Werbung. Zum Beispiel in Form von Inseraten in faltbaren Stadtkarten. Ein Teil der Einnahmen fliesst in Angebote wie das Infovelo.
Bern konnte letztes Jahr einen Rekord bei den Logiernächten verzeichnen: Erstmals sei die Grenze von einer Millionen geknackt worden, sagt Bern-Welcome-Geschäftsführerin Manuela Angst. Im Städtevergleich liege man damit hinter Zürich, Genf, Luzern und Basel auf Platz fünf. Zwei Drittel der Übernachtungen in Bern gehen auf das Konto von Businessgästen, welche einen Kongress oder eine Messe besuchen – nur ein Drittel entfällt auf den Ferientourismus. Für mehr als 100’000 Logiernächte sorgten 2023 Gäste aus Deutschland, dahinter folgen die USA mit knapp 80’000 Übernachtungen.
Für die kommenden Jahre gibt Angst statt eines neuen Logiernächterekords andere Ziele aus: Bern solle ganzjährig für Tourist*innen attraktiv sein – und die Besucher*innen sollen länger verweilen. Beide Ziele hängen zusammen, wie sich noch zeigen wird.
Aktuell ist es so, dass Bern vor allem in den Sommermonaten und in der Weihnachtszeit Besuchende anlockt. Die einen kommen, um zum Beispiel die «lebendige Tradition» des Aareschwimmens für sich zu entdecken, andere wollen die Weihnachtsmärkte Berns erleben – und profitieren von vergünstigter Übernachtung und Zugfahrt. Ein Angebot, das vor allem Norditaliener*innen in Anspruch nehmen.
Zugpferde Velo und Museum?
Bei der Verweildauer verhält es sich so: Es gibt wohl keine Touristendestination, die sie nicht steigern möchte. Bleiben Besuchende länger, geben sie in der Regel mehr Geld aus, während sich der Aufwand mit ihnen vergleichsweise gering hält.
Bern Welcome möchte die Menschen zu längeren Bern-Ferien motivieren, indem es mehr kombinierte Angebotspakete schnürt. Zwei davon sind erst im Entstehen. Ab September können Besuchende zum Beispiel geführte E-Bike-Touren machen und so in zweieinhalb Stunden auch die erweiterte Region Bern entdecken. Partner ist dafür der Anbieter Eurotrek.
Ein weiteres Paket schwebt Angst bei den Museen vor. Kunstinteressierte Gäste sollen zur bestehenden Museumscard noch andere Angebote aus dem Kulturbereich in einem Paket buchen können. Auch hier ist das Projekt allerdings noch in der Reifephase.
Ferien mit Einstein
Egal wie gut die Kombi-Angebote einst angenommen werden – so lange wie Lonnie Elder dürften wohl nur die wenigsten Bern-Besuchenden bleiben. Der US-Amerikaner aus dem Bundesstaat Tennessee hat sich gleich zehn Wochen Zeit genommen.
Zwar informiert er sich an diesem Donnerstag am Stand von Manuela Spring auch über Konzerte, gekommen ist er jedoch hauptsächlich für jemand anderen: Albert Einstein. Der Ingenieur Elder ist seit kurzem in Pension und möchte sich nun noch einmal intensiv mit dem Werk des weltberühmten Physikers auseinandersetzen.
Elder hat sich dafür pro Tag fünf Stunden zum Selbststudium reserviert – «ich bin durch meine frühere Tätigkeit, unter anderem bei ABB, eigenständiges Arbeiten gewohnt». Neben dem reinen Selbststudium will er auch dem Geist Einsteins nachspüren: «Ich habe bewusst eine Wohnung in der Altstadt gewählt und gehe häufig zu seinem alten Wohnhaus in der Kramgasse», so Elder. «Vielleicht kann ich die Stadt sogar ein wenig mit Einsteins Augen sehen», hofft er.