Altstadt Spezial

«Schön, dass es sauber ist»

Berns Innenstadt ist vieles: Politisches Zentrum, Weltkulturerbe, Wohnort, Ausgehmeile – aber auch ein riesiger Müll-Umschlagsplatz: 15 Tonnen Abfall sammelt die Stadtreinigung pro Woche ein. Unterwegs mit der Reinigungsequipe im Morgengrauen.

Stadtreinigung Bern fotografiert am 13.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die Reinigung rund um das Bahnhofsgebäude bedeutet Schwerstarbeit. (Bild: Simon Boschi)

Samstagmorgen, 4 Uhr 45, zehn Grad und Wolkenschleier.

Ein Tag hat 24 Stunden, aber in kaum einem Moment treffen unterschiedliche Lebensentwürfe so direkt aufeinander wie zwischen vier und fünf Uhr in der Früh. Feiernde trotten berauscht nach Hause oder zum nächsten Imbiss. Menschen mit schläfrigem Blick brechen auf zu ihrer Samstagsschicht. Tag und Nacht berühren sich, um danach auseinanderzudriften.

Stadtreinigung Bern fotografiert am 13.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
4 Uhr 45: Aufbruch in den neuen Tag oder Ende der Feierlaune. (Bild: Simon Boschi)

4 Uhr 52: Die Kaffeetasse ist schon halb leer. Sie gehört Valerio Mascio, Reinigungspolier bei der Strassenreinigung des Stadtberner Tiefbauamts. Er sitzt vor dem Bildschirm und geht den Arbeitsplan durch. Acht Reinigungskräfte sollen um 5 Uhr vom Betriebszentrum vis-à-vis des Waisenhausplatzes ausrücken. «Wir sind knapp besetzt», sagt er. Er zeigt auf den Plan von Innen- und Altstadt, auf dem rote und blaue Routen eingezeichnet sind, die sich als Idealweg für die Reinigung herausgestellt haben.

Stadtreinigung Bern fotografiert am 13.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Muss kurz vor Schichtbeginn noch umdisponieren: Valerio Mascio. (Bild: Simon Boschi)

4 Uhr 54: Das Telefon klingelt. Einer der Kollegen Valerios sagt krankheitsbedingt ab. Die Morgenschicht muss mit nur sieben Leuten losgehen, sechs Männer und eine Frau.

Valerio geht in die Garage der Stadtreinigung. Insgesamt zwei Reinigungsmaschinen und ein Camion warten darauf, ins Morgengrau gefahren zu werden.

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Auf diesen farbig markierten Routen bewegen sich die Strassenreiniger durch die Stadt. (Bild: Simon Boschi)

5 Uhr 03: Für Valerios Crew beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. Die in orangefarbene Schutzkleidung gehüllte Equipe schlängelt sich durch einen engen Gang hinaus nach oben und erreicht über einen Kiespfad den Waisenhausplatz. Sie tragen grosse Akku betriebene Bläser, mit denen sie Flaschen, leere Zigarettenschachteln und Papierfetzen zur Mitte des Platzes blasen. Kurze Zeit später verschwindet dieser Müll zwischen den drei grossen Bürsten der Kehrmaschine. Die Kehrmaschinen wiederum werden von zwei anderen Teammitgliedern gesteuert.

«Unser Ziel ist jeweils, dass wir bis um 6 Uhr den gesamten Bereich bis zum Bahnhofsplatz gereinigt haben», sagt Valerio. Dann komme man den zur Arbeit eilenden Menschen bei der Reinigung möglichst wenig in die Quere.

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Rückt mit schwerem Gerät aus: Die Strassenreinigung. (Bild: Simon Boschi)

5 Uhr 21: Die Bläser surren vor dem Käfigturm. Valerio Mascio schaut die Marktgasse auf und ab: «Heute ist hier eher wenig Müll», sagt er.

Er hat vor 14 Jahren bei der Stadtreinigung angefangen. «Damals hatte ich neben dem Besen keine anderen Hilfsmittel». Heute machten immerhin die Akku betriebenen Bläser die Arbeit ein wenig leichter. 

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Vor dem Käfigturm ist um diese Uhrzeit nur das Fahrzeug der Strassenreinigung unterwegs. (Bild: Simon Boschi)

5 Uhr 28: Langsam dämmert es. Das Storchengässchen ist noch verlassen, nur der Stadtreiniger Usman Gakkhar schreitet in Zickzack-Bewegungen durch sie und pustet den Müll in Richtung Kehrfahrzeug. Usman ist erst seit zwei Monaten bei der Stadtreinigung. Vorher reinigte er zehn Jahre lang bei den SBB. «Mir gefällt es, immer in Bewegung zu sein», sagt er. «Ich kann mir keinen Job vorstellen, bei dem man immer nur sitzen muss.»

Sein Chef Valerio Mascio rechnet vor: «Bei einer Morgenschicht, die von 5 Uhr bis 13 Uhr dauert, legen die Strassenkehrer*innen rund zehn bis fünfzehn Kilometer zurück.»

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Usman Gakkhar sorgt dafür, dass kein Müll mehr unter den Lauben liegt. (Bild: Simon Boschi)

5 Uhr 33: Bahnhofvorplatz: Heute warten am Tramperron keine Pendler*innen. Dafür sind die Gleise gesäumt mit Müll. Wieder blasen zwei Strassenkehrer*innen den Müll zu einem Haufen zusammen, bevor er vom Fahrzeug aufgesaugt wird. 

In der Reinigungsequipe für die Innenstadt arbeiten insgesamt 27 Personen, die, in zwei Gruppen aufgeteilt, jeweils die Morgen- und Nachmittagschicht für eine Dauer von drei Wochen übernehmen. So haben alle Angestellten zumindest zwei freie Wochenenden pro Monat.

Die relativ sicheren Jobs bei der Stadt sind beliebt: Valerio Mascio erzählt von 150 Bewerbungen, die zuletzt auf fünf ausgeschriebene Stellen eingingen.

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Rund um den Bahnhof werden alle reinigenden Hände benötigt. (Bild: Simon Boschi)

5 Uhr 49: 15 bis 18 Tonnen Müll pro Woche sammelt die Stadtreinigung der Innenstadt ein. Ein Blick auf den Bereich vorm Bahnhof verrät, wie solche Mengen zusammenkommen: Der Boden ist übersät mit Zigi-Stummeln, Glasscherben liegen herum. Obschon ungefähr 300 Müllkübel in der Innenstadt stehen, 20 von ihnen allein um den Bahnhof. «Im Grunde steht in der Innenstadt alle zehn bis fünfzehn Meter ein Kübel.» Dass so viel Abfall dennoch daneben landet, quittiert Mascio mit einem Schulterzucken.

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Die Strassenreinigung tauscht auch die Säcke der Müllkübel aus. (Bild: Simon Boschi)

6 Uhr 09: Am Hirschengraben:

Die Bläser singen weiter ihr hochfrequentes Lied. Staub wirbelt auf.

Mojca Ribic ist die einzige Frau im Team der Strassenreinigung für die Innenstadt. Seit November 2020 ist sie an Bord und hat sich mittlerweile zur stellvertretenden Polierin hochgearbeitet. 

Ihr Arbeitsgerät zeigt einen Akkustand von 67 Prozent an – genug Strom also, um bis zur Pause um 8 Uhr weiterarbeiten zu können. Es kommt langsam Leben in die Stadt. Ein Camion hält vor einer Migrosfiliale, lädt Ladung ab, daily business also.

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Ohne sie kein «subers Bärn»: Mojca Ribic (Bild: Simon Boschi)

6 Uhr 16: Vor der «Welle 7»: Eine Frau sitzt auf der Bank an der Bushaltestelle. Mojca Ribic versucht, so diskret es mit einem grossen Reinigungsbläser nun einmal geht, den Platz neben der Frau zu säubern. Die Strassenreinigerin mag gerade diese frühen Morgenstunden. Wenn andere mitten in ihrem Arbeitstag sind, hat sie schon wieder frei.

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Ist die Strassenreinigung durchgefahren, sieht es im Rückspiegel meistens sauber aus. (Bild: Simon Boschi)

6 Uhr 37: Bei Valerio im Auto, der kontrolliert, ob in der Zwischenzeit nicht neuer Müll an den neuralgischen Punkten angefallen ist: «Schön, dass die Leute jetzt aufstehen, rausgehen, und es ist sauber», sagt er, und es klingt wie ein Zwischenfazit, denn in der Speichergasse, vor Bars und dem Progr gibt es noch viele Spuren einer durchfeierten Nacht.

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Valerio Mascio ist schon seit 14 Jahren bei der Strassenreinigung. (Bild: Simon Boschi)

7 Uhr 20: Ein Reinigungsfahrzeug erreicht die Schützenmatte: Bunte Reitschule, grauer Beton, Tauben unten, rauschender Zug oben. Und Müll, sehr viel Müll. Leere Wodkaflaschen stehen vor vollen Kübeln. Es geht weiter im Takt der Putzbürsten.

Stadtreinigung Bern fotografiert am 13.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Fegen, schrubben, bürsten – alles mit einem Gerät. (Bild: Simon Boschi)

7 Uhr 40: Auch Usman ist jetzt auf der Schützenmatte. Er entfernt ein paar Plakate, die unrechtmässig aufgehängt worden seien, wie er sagt. Auch das gehört zu seinem Job.

Auf der Schützenmatte sind unterdessen schon fast alle Flaschen und Zigistummel im Reinigungsfahrzeug verschwunden. In 20 Minuten ist Pause. Die machten alle zusammen, erklärt Usman, das sei so Tradition bei der Stadtreinigung. Egal ob eine Route kürzer oder länger gedauert habe. «Ich esse ein kleines Brötchen mit Käse», sagt Usman. Mehr könne er um die Uhrzeit nicht zu sich nehmen.

Stadtreinigung Bern fotografiert am 13.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Auch der Wassereinsatz ist möglich. (Bild: Simon Boschi)

7 Uhr 52: Valerio ist auf dem Weg zurück zum Stützpunkt der Strassenreinigung. Es erfüllt ihn mit Genugtuung, dass der Waisenhausplatz nicht nur sauber ist, sondern auch die Stühle und Tische akkurat aufgestellt wurden. Seine Crew liegt mit ihrer Arbeit im Soll. Auch wenn bereits Mitte Mai ist, hat Bern noch keinen wirklichen Sommerabend erlebt, an dem viele Leute unterwegs sind und Müll erzeugen. Der Reinigungspolier weiss: «Ein warmer Sommer bedeutet viel Arbeit». Viel Arbeit, die sich lohnt: «Wir sind eine der saubersten Städte der Schweiz.»

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