Altstadt Spezial

Die Neue im Turm

Bergkind und Bernerin, Wanderleiterin und Sozialarbeiterin: Daniela Wäfler, die neue Turmwartin des Berner Münsters, trägt einen grossen Rucksack an Erfahrungen hoch an ihre Arbeitsstelle.

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Seit 1. April hat sie den wohl höchstgelegenen Arbeitsplatz Berns: Turmwartin Daniela Wäfler. (Bild: Danielle Liniger)

Es ist der 31. März 2023. Dunkle Wolken sind am Berner Himmel aufgezogen, ein Frühjahrssturm zerrt an der Stadt und lässt Storen klappern. Am Tag darauf wird Daniela Wäfler ihre neue Stelle als Turmwartin im Berner Münster antreten. Ihre Vorgängerin Marie-Therese Lauper hat sie zu ihrer Abschiedsfeier in den Turm eingeladen und anstatt die 254 Stufen anschliessend wieder hinabzusteigen, beschliesst Wäfler, an ihrem neuen Arbeitsort zu übernachten. Und zwar oben im schmucken Turmsaal, dem wahrscheinlich höchsten Schlafplatz der Innenstadt – gebettet auf eine Luftmatratze.

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Der Turmsaal bei Tag und schönem Wetter. (Bild: Danielle Liniger)

«Ich hatte sie während vier Jahren nicht benutzt», erzählt Daniela Wäfler. Nach und nach verlor die Matratze ihre Luft, der harte Boden rückte näher. Oben in rund 50 Metern Höhe spürte Wäfler die ganze Wucht des Sturms, ein wütendes Heulen, die Kraft der Natur. Viele Menschen würden in Anbetracht dieser Drohkulisse und schwindender Schlafunterlage nervös – nicht so Daniela Wäfler. Sie blieb an ihrem Ort, auch wenn sie in dieser Nacht kaum schlafen konnte.

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Der Weg zur Arbeit hält fit: Über 200 Stufen sind es hoch zum Turm. (Bild: Danielle Liniger)

«Daniela ist die Ruhe in Person», sagt Marie-Therese Lauper über ihre Nachfolgerin. Lauper war 16 Jahre lang Turmwartin und arbeitet Wäfler ein. 

Daniela Wäfler fühlt sich in der Höhe wohl: Sie arbeitete bereits auf der Lämmerenhütte des Schweizer Alpen Clubs (SAC) östlich des Wildstrubel-Massivs – 2500 Meter über Meer – und ist Wanderleiterin mit eidgenössischem Fachausweis. Diese Erfahrungen hätten ihr eine Robustheit verschafft, die ihr heute auch in der Rolle der Turmwartin helfe, so Wäfler.

«Ich bin ein Bergkind», sagt Wäfler, die im Oberland aufgewachsen ist. Und sie verbringt noch immer viel Zeit in den Bergen. In Frutigen und Adelboden hat sie Freund*innen und Familie. «Zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Bern und die Berge», sagt Wäfler auf der Aussichtsplattform des Münsterturms, während sie den Blick ins Oberland schweifen lässt. Da schwingt kein Pathos oder Kitsch mit, dafür blickt die Turmwartin zu nüchtern durch ihre kreisrunden Brillengläser auf die Welt.

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Kirchenfeld, Gurten, Oberland: Bei gutem Wetter hat man vom Turm einen fantastischen Ausblick. (Bild: Danielle Liniger)

Wäfler ist strukturiert, bedacht und geduldig. Das ist deutlich zu spüren, wenn sie über ihren ersten Monat als Turmwartin erzählt. Auch da geriet sie in einen Sturm – dieses Mal aus Anfragen, Anlässen und vielen Regeln, die es zu beachten galt.

Als Turmwartin kümmert sie sich um den Tagesbetrieb im Turm: Billette kontrollieren, Tourist*innen begrüssen und für Sicherheit sorgen. So darf zum Beispiel kein*e Besucher*in unbegleitet auf die Plattform.«Im Winter werde ich auch Schnee räumen.» 

Wenn die Räumlichkeiten im Turm für Events gemietet werden, kümmert sich Wäfler um Reservierungen und zum Beispiel darum, einen Apéro vorzubereiten. 

«Ich muss hier an extrem vieles gleichzeitig denken», sagt Wäfler. Das kann vom Nachschub mit Kaffeerahm reichen bis hin zur Frage, ob unten in der Kirche noch das Licht brennt. «Mir gefällt es, diese vielen kleinen Dinge zusammenzubringen, so dass ein grosses Ganzes daraus wird.»

Auch hier macht sich Wäflers Erfahrung bezahlt: Die reformierte Kirche in Bern kennt sie schon von ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin, in der sie auch grössere Anlässe organisierte. Im Münster und im Turm sei die Logistik aber aufwändiger. Allein die vielen Treppenstufen sorgten dafür, dass jeder Transport genau geplant werden müsse, so Wäfler. Und dann gebe es noch die vielen Ansprechpartner*innen, die es zu berücksichtigen gelte, wenn zum Beispiel eine grössere Gruppe den Turm besuche.

Doch in den Augen der neuen Turmwärtin lohnen sich diese Mühen allemal. Jeder Arbeitstag sei unterschiedlich und der Turm Begegnungsort für Menschen, die ansonsten so nicht zusammengefunden hätten: «Dann steht die japanische Touristin neben dem Arzt, und Schulkinder wuseln zwischen den Beinen eines amerikanischen Jet-Piloten», sagt Wäfler. «So verdichtet an einem Ort: Das finde ich einfach super.»

Wäfler hat insgesamt zehn Kolleg*innen, wovon die meisten während der Turmöffnungszeiten die Besucher*innen betreuen. Im Juni gibt es beinahe täglich Events, und das könnte nicht eine Person alleine machen. Wäfler vertritt ausserdem den Sigrist des Münsters, Felix Gerber, wenn dieser in den Ferien ist.

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Die Welt zu Gast bei Wäfler. (Bild: Danielle Liniger)

Wenn doch einmal eine freie Minute ist, blickt auch Wäfler vom Turm in die Weite, zum Kirchenfeld und den Museen, nach unten auf den Münsterplatz, wo am Samstag das Markttreiben in Miniatur erscheint, in Richtung Wankdorf und Jura. Die stille Turmwartin, angelehnt an den Turm, ein Moment der Kontemplation: Wäfler wirkt dann, als sei sie selbst Besucherin, fernab von Routine und Planung. Vielleicht ist das der glückliche Zustand, der den ersten Arbeitswochen in einer neuen Stelle zu eigen ist. Vielleicht liegt es aber auch am Wesen Wäflers. Die Ruhe zu bewahren, auch wenn es gerade noch stürmte.

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101 Meter unterhalb des Turms liegt die zum Unesco-Weltkulturerbe zählende Altstadt Berns. (Bild: Danielle Liniger)
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Diskussion

Unsere Etikette
Judith Pörksen Roder
13. Mai 2023 um 11:51

Ein tolles Porträt! Einen grossen Dank an Daniela Wäfler für ihr Engagement!