Zmittag in der Innenstadt
Die «Hauptstadt» verlegte ihre Redaktion für eine Woche ins Polit-Forum Bern. Sie berichtete täglich aus der Mittagspause über die Gastronomie in der Altstadt.
8.8: Poulet Kungpo, Poulet Chop Suey und gebratener Reis
Der Waisenhausplatz ist im Sommerhalbjahr ein beliebter Ort, um an der frischen Luft ein Take-Away-Zmittag zu verspeisen. In der Nähe des Meret-Oppenheim-Brunnens, beim Eingang zur Nägeligasse, liegt das von Schüler*innen oft frequentierte asiatische Take-Away-Lokal 8.8. Wir steigen hinab ins Souterrain und stellen uns vor dem Buffet hinter eine Gruppe Gymnasiast*innen.
Man schöpft hier selbst und bezahlt pro gefüllten Teller oder Take-Away-Geschirr. Ich nehme mir eine Recircle-Box und staune erstmal über die Jugendlichen vor mir in der Reihe. Kunstvoll füllen sie ihre Teller bis an den Rand und türmen die Speisen gekonnt zu einer veritablen Nahrungspyramide. «Wir kommen einmal die Woche zum Keller-Chinesen», sagt Thibaut Schwab, der mit seinen Kollegen im Gymnasium Kirchenfeld zur Schule geht. «Man kann hier viel schöpfen, und es ist günstig und lecker.»
Die Kassierin verzieht keine Miene, als sie das Entgelt für die Teller einkassiert. All-you-can-schöpfen gehört bei «8.8» offenbar zum Businesskonzept. Ich fülle meine Box mit gebratenem Reis, den zwei Poulet-Gerichten, Bohnen, frittierten Fisch- und Poulet-Stücken und einigen Frühlingsrollen.
Die Kassierin verrechnet mir 12.80 Franken statt der angeschriebenen 13.80 Franken. «Die Box ist ja nicht ganz gefüllt», sagt sie. Mir wäre beim Anblick meiner Box dieser Satz zwar nicht in den Sinn gekommen. Aber ich bin ein All-you-can-schöpfen-Konzept auch nicht gewohnt.
Kulinarisch ist der Inhalt meiner Zmittags-Box keine Offenbarung. Wie das Pouletfleisch produziert wird, will ich angesichts der Preise lieber nicht wissen, und das «Poulet Chop Suey» ist fad. Etwas schmackhafter ist das würzige «Poulet Kungpo», und der gebratene Reis ist von anständiger Qualität. Abraten würde ich von den frittierten Speisen. Viel Fisch kann ich nicht entdecken in den in Öl getränkten Bällchen. Und die Frühlingsrollen bestehen mehr aus Teig als aus Frühlingsgemüse. Ein Aufsteller sind da die knackigen Bohnen in Sojasauce.
Für Jugendliche, die mit wenig Geld einen grossen Hunger stillen müssen, ist das «8.8» die richtige Wahl. Ich kehre wohl nicht zurück. Der Name ist übrigens seit der Gründung 2014 Programm. Bis vor zwei Jahren erhielt man für 8.80 Franken einen Teller mit Zutaten vom ganzen Buffet. Heute kann man seinen Teller für diesen Betrag immerhin noch mit ausgewählten vegetarischen Zutaten füllen. (Joël Widmer)
GusTaco – Mexikanische Tortas und Quesadillas
Gutes mexikanisches Essen gibt es in Bern selten. Das bestätigt mir auch meine Kollegin, die mich beim heutigen Zmittag begleitet. Sie fahre deshalb auch mal nach Thun oder Zürich, um richtig gute Tacos zu essen, sagt sie. Dass ihr Partner Mexikaner ist, dürfte bei dieser Strenge mexikanischem Essen gegenüber nicht unerheblich sein.
Nichtsdestotrotz probieren wir uns durch das Angebot des mexikanischen Foodtrucks auf dem Bärenplatz, vor dem auffallend viele Spanischsprechende anstehen. Ein klein wenig Mexiko inmitten von Bern. Wir bestellen Torta de Carne (CHF 14) und Quesadillas (CHF 10). Dazu gibt es eine mexikanische Cola der Marke Jarritos (CHF 4.50).
Die Torta de Carne ist ein warmes Sandwich mit Weissbrot, geschmolzenem Käse und viel Hackfleisch – eine Kombi, die wohl jede Weight-Watchers-Skala sprengen würde. Die fettige Torta schmeckt jedoch gut, die Avocado im Innern sorgt für einen angenehmen Kontrast. Das Fleisch stammt aus der Schweiz und ist ordentlich gewürzt.
Für die Schärfe sorgt eine selbstgemachte Sauce aus Chili, Zwiebeln und diversen Gewürzen, die eigenständig zwischen die warmen Sandwichhälften gestrichen werden kann. Auch Koriander und Limettenschnitze stehen für all jene bereit, die ihr Menü aufpeppen möchten.
Noch besser als die Torta munden die Quesadillas. «Die Tortilla hat einen angenehmen Maisgeschmack, das Bohnenmus verleiht dem Ganzen eine schön cremige Konsistenz und besitzt – in Kombination mit dem Käse – eine feine Umami-Note», bilanziert meine Kollegin. Ich staune ob der fachkundigen Einschätzung. Aber ja: Die Quesadillas schmecken tatsächlich gut.
Einzige Minuspunkte: Sowohl die Torta als auch die Quesadillas werden rasch pampig, was dem fettigen Inhalt geschuldet ist. Zudem ist die Grösse der Portionen zwar angesichts der Preise in Ordnung, Leute mit grossem Hunger werden aber wohl eine Extraportion bestellen müssen. (Mathias Streit)
Lesbar: Asiatische Gemüsesuppe, Salat mit Ei, Spargelrisotto und Pastel de Nata
Ein Café und eine Bibliothek im gleichen Gebäude: Ein verlockender Ort, um eine Pause einzulegen, besonders, wenn das Café wie die «Lesbar» an der Münstergasse 61-63 auch noch Kuchen im Angebot hat.
Die Café Lounge befindet sich im Erdgeschoss des ältesten Gebäudes der Universitätsbibliothek. Im 18. Jahrhundert diente der Gebäudeteil als Kornhaus, Weinkeller und Markthalle für Milchprodukte, heute ist die «Lesbar» besonders an Samstagen als Ort für einen Schwatz und ein Märitkafi beliebt. Auf der Webseite ist zu lesen, hier werde «perfekte Patisserie» serviert. Das weckt Erwartungen.
Doch zuerst das Herzhafte: Das Mittagsangebot ist klein, auf der Karte stehen jeweils eine Suppe, ein oder zwei warme Gerichte und der «Lesbar-Salat», wahlweise pur, mit Ei oder Limetten-Hummus-Bruschette.
Die Autorin entscheidet sich für die vegane asiatische Gemüsesuppe (11 Franken), denn an diesem Mittwoch soll unbedingt noch etwas Hunger fürs Dessert übrig bleiben. Zwei Kollegen wählen Spargelrisotto mit Prosecco und Salat im Weckglas (18.80 Franken), einer den Salat mit Ei (14.80 Franken). Risotto mit Spargel scheint im Moment beliebt zu sein bei Berns Restaurant-Köch*innen: Schon am Vortag in der «Vierten Wand» war der Frühlingsklassiker ein Tagesgericht. Ein Direktvergleich drängt sich auf.
Bis das Essen serviert wird, lässt es sich auf den tiefen Zweiersofas in den Fensternischen wunderbar verweilen. Zusammen mit Loungesesseln sind sie um kleine Bistrotische angeordnet, die grosszügigen Abstände zwischen den einzelnen Sitzgruppen gestatten ungestörte Gespräche. Die hohen Fenster sorgen für Helligkeit, spitz zulaufende Bögen wölben sich altehrwürdig über den langen, schmalen Raum. Die Atmosphäre selbst ist einen Besuch wert.
Wäre es etwas wärmer, könnten wir das Mittagessen im Innenhof geniessen. Mit seinen blühenden Glyzinienbäumen ist er ein Ruheort inmitten der Altstadt. Just als das Essen kommt, scheint ein Sonnenstrahl auf den Tisch: Ein Versprechen, dass draussen Sitzen nicht nur ein schöner Gedanke, sondern bald auch wieder Realität ist. Vielleicht bei einer der drei hausgemachten Eisteesorten (5.60 Franken für drei Deziliter).
Das Risotto ist hübsch angerichtet, mit Rosmarinzweig und Parmesan-Chip. Der Spargel ist etwas zu gar. Das Risotto – im Gegensatz zur Version vom Dienstag, die zu bissfest war – ebenso. Die Frage, ob wir diese Woche noch in den Genuss eines perfekt gekochten Risottos kommen, bleibt offen. Der Geschmack überzeugt jedoch auch den Kollegen, der sich selbst als «eher kritisch» bezeichnet.
Bei der asiatischen Gemüsesuppe ist das leider nicht der Fall. Die Sojasauce ist zu dominant, die Nudeleinlage nicht mehr al dente. Das Gemüse – grüne und rote Peperoni, Spargeln, Erbsen, Frühlingszwiebeln – und die Champignons verleihen der Suppe etwas Farbe und Biss.
Die Salate wurden vor dem Servieren angemacht. «Das erspart das Rühren und minimiert das Risiko von Sossenspritzern», stellt ein Kollege fest – ein Pluspunkt bei Date oder Businesslunch.
Nach der durchwachsenen Bilanz beim Hauptgang steigt die Spannung, ob die Patisserie hält, was die Webseite verspricht. Auf den Tisch kommen drei Pastéis de Nata, kleine portugiesische Blätterteigküchlein mit Crèmefüllung (3.90 Franken pro Stück), und ein Stück Rüeblitorte (4.90 Franken), dekoriert mit einem Marzipanrüebli. Über das saisonale Dessert freut sich der Kollege besonders, den im Salat Tomaten und Gurken gestört haben.
Die Pastéis de Nata sind der Höhepunkt des Mittagessens: Frisch, der Teig am Rand blättrig und auch am Boden durchgebacken, die Eigelb-Rahm-Creme perfekt zu Pudding gestockt, samtig und mit goldbraunem Häubchen. Sie wecken Sehnsucht nach Ferien in Portugal – oder, etwas klimafreundlicher, nach dem nächsten freien Samstagmorgen mit Märitbesuch und Kaffeeklatsch in Bern. (Edith Krähenbühl)
Vierte Wand: Kerbel-Zitronen Risotto, Frühlingssalat und selbstgebackenes Sauerteigbrot
An diesem Dienstag verschlägt es die Redaktion der «Hauptstadt» an die Nägeligasse 1a – mitten in die Höhle der Theaterschaffenden. Wirklich! Die «Vierte Wand» ist ein Gastronomie-Angebot von Bühnen Bern, und gegessen wird hier auf dem ursprünglichen Bühnenboden des Stadttheaters von 1903. Die Disco-Kugel, die auch an einem gewöhnlichen Dienstag um 11.30 Uhr fröhlich zwirbelt, und die jazzige Musik im Hintergrund (oder sollen wir sagen englische Chansons?) lassen die einstige Bühnenstimmung vermuten.
Zur Auswahl stehen zwei Tagesmenüs: einmal ein Kerbel-Zitronen Risotto (vegetarisch) und einmal Brasato al Barbera (nicht vegetarisch). Dazu kommt entweder ein Salat oder eine Suppe. Kostenpunkt: 24,50 Franken. Wasser: Zur Überraschung aller (mit Erinnerung an den Preisschock des gestrigen Mittags) gibts für vier Franken pro Person. Aus einem Krug, der immer wieder aufgefüllt wird. Das ist schon einmal ein guter Start in den Mittag.
Kurz darauf werden die Vorspeisen aufgetischt. Auf den ersten Blick sieht der Salat aus wie ein normaler Blattsalat – frisch und knackig – auf den zweiten Blick entdeckt man klein geschnittene Radieschen, ein Häufchen Kartoffelsalat und unidentifizierbare weisse Scheiben. «Steckrübe», meint eine Kollegin. Die andere ist überzeugt, dass es sich um Rettich handelt. Dario, der überaus freundliche und immer lächelnde Kellner, klärt auf: Es handelt sich um Bierrettich. Nun ja, besonders schmackhaft ist das neu entdeckte Gemüse nicht. Aber stören tut es im Salatbouquet auch nicht.
Erfreuen tut die Autorin dieses Artikels etwas ganz anderes: Dass es sich bei dem Kartoffelsalat um Resten vom Sonntag handelt. Und dass die Suppe, die die Kolleg*innen loben, ebenfalls aus Restgemüse gekocht wurde. Dario erklärt: Essen wegzuwerfen wird bei der «Vierten Wand» so gut es geht vermieden.
Die Vorspeise hat überzeugt. Punkten konnte auch das selbstgebackene Sauerteigbrot, welches bei der Autorin Erinnerungen an die Kindheit weckte und einen Kollegen dazu motivierte, eine Geschichte von einem Koch mit Sauerteig-Obsession zu erzählen. Ein Sauerteig mit dem Namen «Bianca». Kein Witz.
Die Stimmung ist ausgelassen und die Erwartungen an den Hauptgang sind hoch. Ein lautes «Ohhh» ist zu hören, als das Kerbel-Zitronen Risotto serviert wird. Die Spargeln haben ein saftiges Grün, die frischen Kräuter und das rote Gewürz auf dem Risotto lassen den Teller farbig und lebendig erscheinen. Im Geschmack überzeugen die Spargeln mit einer leichten Bitterkeit. Das Risotto ist bissfest, was auf etwas weniger Freude stösst, und der versprochene Zitronengeschmack bleibt aus. Dafür ergänzt das pochierte Ei die beiden Geschmäcker. Wobei sich unser Pochier-Experte im Team, der jeden Sonntag zum Frühstück ein pochiertes Ei kocht und isst, nicht sicher ist, ob «pochiert» im vorliegenden Fall hundertprozentig stimmt. In einem sind wir uns einig: Eggs Florentine sind es garantiert nicht.
Obwohl die meisten satt sind und auf Nachschlag, der grosszügigerweise angeboten wird, verzichten, müssen in einzelnen Fällen ein Espresso (5 Franken) und ein Schokokuchen mit Rhabarberkompott (ebenfalls 5 Franken) sein. «Klein und geil» sei das Dessert gewesen, meint ein Kollege und trifft es so auf den Punkt.
Und bevor mans merkt, sind alle Redaktions-Kolleg*innen abgedüst. Zu einem Interview in die Altstadt oder einem Fototermin an den Eigerplatz. Satt und zufrieden. Zurückgelassen haben sie nur die Rechnung. (Lena Madonna)
Piazza Italia: Panzerotti, Pizza Rucola, Calzone Vesuvio
Die Personen, die das Restaurant tauften, müssen ähnlich überlegt haben wie ich, als ich das Lokal für den kulinarischen Auftakt dieser Woche auswählen sollte: nicht so weit. Sie eröffneten ein italienisches Restaurant und nannten es «Piazza Italia». Ich ging auf Google Maps und wählte das Restaurant aus, das am nächsten beim Käfigturm liegt. Hier ist die «Hauptstadt» diese Woche im Demokratie-Turm zu Gast. Es traf sich, dass das «Piazza Italia» in nur drei Schritten zu erreichen ist.
Zur Vorbereitung gehe ich wieder auf Google Maps und schaue mir Gastrokritiken in ihrer reinsten Form an: Google Reviews. Ich lese über das «Piazza Italia», dass es das «Beste der Stadt Bern» sei und dass man sich da «direkt wie in den Ferien in Italien» fühle. Einer war ein «richtiger Pizza-Muffel», bis ihn seine Frau ins «Piazza Italia» schleppte. Er hatte dort ein Schlüsselerlebnis: «Meiner Frau zuliebe versuchte ich eines Tages eine Pizza, eine Kleine; aber so etwas habe ich noch nie gegessen! Diese Pizzen sind einfach nur ein GEDICHT!!»
Verlässt man den Käfigturm, füllt sofort «Piazza Italias» Fenster einen grossen Teil des Blickfelds aus. Das Fenster ist riesig und direkt an der Fussgängerpassage. Diskret essen gehen ist im «Piazza Italia» unmöglich, diskret Passant*innen beobachten dafür fast schon obligatorisch. Und die Passant*innen können im Vorbeigehen tun, was zu tun sich so offensichtlich anbietet. Es ist eines meiner Lieblings-Mundartwörter: Inegränne.
Drinnen ist die Speisekarte golden, der Bilderrahmen auch und ebenso der Himmel über dem eingerahmten Venedig in Acryl. Die Bodenplatten sind fast weiss. Die Tischkerzen brennen wahrscheinlich erst am Abend. Nur drei ältere Frauen sind mit Mittagessen gleich früh dran wie wir. Sie sprechen am Nebentisch über Regenjacken, aber ich höre sie fast nicht wegen der italienischen Chansons, die hinter mir aus einem Lautsprecher schallen. Als der Kellner meine Kollegin mit «Signora» anspricht, merke ich, dass ich nicht weiss, ob man für italienische Lieder auch Chansons sagt.
Ich esse Menu I: grüner Salat und «Panzerotti porcini», Teigtaschen mit Steinpilzfüllung an Tomatensauce, verfeinert mit Büffelmozzarella. Die Portion ist gross. Eine gedämpfte Cherrytomate thront einsam auf den Teigwaren. Menu I ist kein Schlüsselerlebnis, aber es schmeckt. Und ich bin satt für 21.90 Franken. Die «Pizza Rucola» meines Kollegen sei super, sagt er, und verweist auf seine genügsame Art, wenn er Hunger hat. Nur um meinen Sitznachbarn sorgen wir uns. Seine «Calzone Vesuvio» macht ihm zu schaffen. «Massiv» sei die Mahlzeit, die Kombination von Gorgonzola und scharfer Salami zu salzig, und eine gegrillte Zucchetti sei ihm auch noch untergejubelt worden. Er blickt ernst, kaut angestrengt und bestellt ein zweites Getränk. Das will etwas heissen: Ein Mineralwasser kostet satte 6.50 Franken.
Vor dem Fenster hasten Berufstätige vorbei, die woanders essen gehen oder über den Mittag schnell einkaufen. Auf einer Piazza in Italien würden sie langsamer gehen. Sie zu beobachten, ist trotzdem lustig. (Jana Schmid)