Berner Klimanotstand

Die Stadt Bern ist klimapolitisch nicht auf Kurs. Doch statt die Alarmglocken zu läuten, versteckt sie sich in passiver Verwaltungssprache. – Ein Kommentar.

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(Bild: Silja Elsener)

Zahlen ersetzen vage Gefühle durch belegte Fakten. Ein am Freitag von der Stadt Bern publizierter 150-seitiger Report spricht unangenehmen Klartext: Das Klima in der Stadt erhitzt sich ohne grosse Gegenwehr aus Politik und Verwaltung. Die CO2-Emissionen konnten zum ersten Mal seit 2016 «nicht merklich gesenkt» werden. Das steht im Controllingbericht zur Energie- und Klimastrategie 2025 der Stadt Bern. Mit anderen Worten: Die Stadt ist klimapolitisch nicht auf Kurs.

Eine gemeinsame Recherche von «Hauptstadt» und «Tsüri» im Juni dieses Jahres hat ergeben, dass die Stadt Bern weniger ambitiöse Klimaziele hat als die Stadt Zürich. Nun zeigt der Rechenschaftsbericht, dass Bern erst noch weit davon entfernt liegt, diese Ziele zu erreichen.

Besonders eine Zahl bringt auf den Punkt, wie weit die Stadt ihren Zielen hinterher hinkt: 4,46 Tonnen CO2-Äquivalente betragen die Emissionen pro Kopf 2021. Laut Klimareglement muss dieser Wert bis 2035 auf eine Tonne pro Person sinken.

Ziele zu setzen ist edel, doch ohne Umsetzung verwelkt ihre Schönheit. 52 Massnahmen in acht Kategorien hat sich die Stadt vorgenommen, um die Emissionen zu reduzieren. Viele von ihnen hat sie bis 2021 nur knapp oder gar nicht erreicht.

Appell an die Bevölkerung

Zum Beispiel ist der Wärmeverbrauch 2021 gestiegen und befindet sich auf dem Niveau von 2017. Die Stadt erklärt sich diese Zunahme mit der Pandemie – die Bevölkerung habe mehr Zeit zu Hause verbracht. Etwa die Hälfte der städtischen Emissionen fällt auf die Wärmeversorgung. Diesen Posten zu reduzieren, würde also einen grossen Beitrag leisten.

Doch gerade bei der Wärmeversorgung zeigt sich, dass die Stadt wegen kantonalen und nationalen Vorgaben nicht alle Regeln aufstellen darf, die wünschenswert wären. Öl- und Gasheizungen etwa darf sie nicht verbieten. Die Teilrevision des kantonalen Energiegesetzes hätte ein Verbot erlaubt, sie wurde aber vor drei Jahren vom Stimmvolk abgelehnt.

Es ist kein Wunder, dass die Stadt ihre Ziele verfehlt. Wer keine Dringlichkeit spürt, ändert seine Gewohnheiten nicht.

Im Controllingbericht appelliert die Stadt darum an den freiwilligen Einsatz von Bürger*innen und Unternehmer*innen. Für den Wärmebereich bedeutet das konkret: Hauseigentümer*innen sind aufgefordert, Fassaden zu dämmen, alte Fenster und Ölheizungen zu ersetzen. Denn: «Der Absenkpfad aus dem Klimareglement kann nur erreicht werden, wenn weitere Gebäude energetisch saniert werden», heisst es im Bericht.

Ob diese Botschaft bei den Adressat*innen ankommt?

«Die Dringlichkeit des Handelns muss aufgezeigt werden», schreibt Adrian Stiefel, Leiter des Amts für Umweltschutz der Stadt Bern, im Editorial. Dieser Satz schreit danach, aus der Verwaltungsluft befreit zu werden. Dringlichkeit lässt sich nicht in Passiv-Konstruktionen vermitteln. Doch der Satz passt zur sanften Vermittlungsstrategie der Stadt, wie sie sich beispielhaft zeigt an den Nachhaltigkeitstagen, die am Publikationstag des Berichts und Austragungstag eines globalen Klimastreiks zu Ende gegangen sind.

Natürlich ist es lobenswert, dass überhaupt Veranstaltungen stattfinden, die etwa anregen zum genussvollen Essen oder zum Reparieren statt Entsorgen von Kleidern. Der Ernst der Lage wird aber verschleiert. Und so ist es kein Wunder, dass die Stadt ihre Ziele verfehlt. Wer keine Dringlichkeit spürt, ändert seine Gewohnheiten nicht.

Läutet die Münsterglocken!

Zur dezenten Kommunikation passt die Publikation des Controllingberichts. Er wird als Anhang einer Medienmitteilung verschickt. Was für ein Unterschied zum 27. Mai 2019: Damals stieg der Gesamtgemeinderat hoch in den Münsterturm und verkündete um 5 vor 12 (!) Uhr vor den Medien die raschere und dezidiertere Umsetzung der Energie- und Klimastrategie.

Eigentlich wäre jetzt, wo das Controlling zeigt, wie weit Ziele und Umsetzung auseinanderklaffen, ein solch starker Auftritt der Stadtregierung erst recht nötig. Alle sieben Münsterglocken sollten läuten, und zwar später als um 5 vor 12 Uhr.

Als absolutes Minimum wäre wünschenswert, dass die Stadt die bedenklichen Resultate des Berichts in einer knappen und verständlichen Zusammenfassung zugänglich machen würde. Denn die 150 Seiten (deutsche) Behördensprache liest wohl niemand freiwillig durch. Wie sonst kann von den Menschen in Bern erwartet werden, dass sie ihr Verhalten ändern?

Die Stadt muss ja nicht verschweigen, dass sich im Bericht auch leise Erfolge finden lassen. So ist der Stromverbrauch der Stadt Bern seit 2008 um zwölf Prozent gesunken. Handlungsbedarf besteht in diesem Bereich aber trotzdem: Gründe für den deutlichen Rückgang zwischen 2019 und 2021 könnten Kurzarbeit und geschlossene Gastro-Betriebe während der Pandemie sein. Ausserdem rechnet die Stadt mit einem höheren Stromverbrauch, wenn die Zahl der Wärmepumpen und die E-Mobilität zunehmen.

In zwei Jahren erscheint der nächste Controllingbericht. Er wird erstmals die Wirksamkeit des vor wenigen Monaten beschlossenen Klimareglements messen. In diesem vorgeschrieben ist auch das Vorgehen bei Verfehlen der Ziele: Die Stadt muss dann «zusätzliche Massnahmen» ergreifen.

Was sicher ist: Zumindest ein dringlicherer Tonfall ist schon heute nötig.

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