Könizer Machtkampf
Köniz startet in einen hitzigen Wahlkampf: Am 28. September geht es darum, ob die lokale Zauberformel einer rot-grünen Mehrheit weicht.
In der Könizer Politik kursiert ein Begriff, den man sonst nur von Bundesratswahlen kennt: die Zauberformel. Gemeint ist damit die Idee, dass alle gewichtigen Kräfte an der Regierungsmacht beteiligt werden, was destruktive Oppositionspolitik vermeiden sollte.
Im Fall von Köniz zeigt sich die Zauberformel so: In der fünfköpfigen Regierung haben die fünf grossen Parteien (SP, Grüne, Grünliberale, FDP, SVP) je einen Sitz. Auch im Parlament sind die Sitze ähnlich ausgeglichen verteilt. Die Folge: Anders als etwa in der Stadt Bern mit ihrer deutlichen rot-grünen Mehrheit in Regierung und Parlament kann in Köniz kein politisches Lager – weder Linke (SP, Grüne), Zentrum (GLP, Mitte, EVP) noch Rechte (FDP, SVP) – Entscheide einfach durchdrücken. Andererseits: Das System der Zauberformel verleiht mehrheitsbeschaffenden Parteien – häufig, aber nicht immer aus dem Zentrum des politischen Spektrums – einen grossen Einfluss.
Bei den Wahlen 2017 und 2021 sowie bei der Ersatzwahl für Brönnimann 2024 bestätigten die Wahlberechtigten zwar den Status quo. Aber jetzt, bei den Wahlen vom 28. September, steht die Zauberformel unter Druck. Aus diesen Gründen:
- Die amtierenden Gemeinderäte Hans-Peter Kohler (FDP), Christian Burren (SVP) und Hansueli Pestalozzi (Grüne) treten nicht mehr an. Für die Mehrheit der Gemeinderatssitze entfällt damit der Bisherigenbonus. Es kommt zu einem grossen Personal- und Generationenwechsel in der Regierung, der viel Unberechenbarkeit bringt. Zudem wächst die mit über 40’000 Einwohner*innen grosse Gemeinde schnell. Welchen Einfluss das Wachstum auf das Wahlverhalten hat, weiss man erst nach der Wahl.
- SP und Grüne streben in Köniz dezidiert eine rot-grüne Mehrheit an. Die Gemeindeparlamentarierin Géraldine Mercedes Boesch soll für die SP auf Kosten von GLP, SVP oder FDP einen zweiten Sitz holen. 2021 kamen SP und Grüne zwar nur auf 45 Prozent Wähler*innenanteil, legten aber im Vergleich zu 2017 um fünf Prozent zu. Geht dieser Trend weiter, rückt ein dritter Sitz für die Linke in Griffweite.
Die Agglomeration Bern ist ein politisches Biodiversitätsreservoir. Die Vielfalt der politischen Machtausübung, oft mit Ortsparteien der Marke Eigenbau, ist eindrücklich. Einst galt die Faustregel: Die politisch sehr linke Stadt Bern ist umgeben von einem Speckgürtel bürgerlich dominierter Agglomerationsgemeinden. Dieses Bild verändert sich: Rot-Grün wird ausserhalb der Stadt stärker.
Hier findest du die stets aktualisierte Übersicht über die 18 engsten Agglomerationsgemeinden mit den Menschen und Parteien, die den Ton angeben.
Vor Köniz stehen sechs hitzige Wahlkampfwochen. Kandidierende treten in der weitläufigen Gemeinde vor Grossverteilern, an Märitständen, improvisierten Bars, Boule-Turnieren oder Stammtischen auf. Die Nerven sind angespannt. Denn: Die Zauberformel in der Könizer Politik, die seit der Wahl des inzwischen zurückgetretenen grünliberalen Gemeinderats Thomas Brönnimann 2013 besteht, ist labil. Eine Verschiebung von wenigen Stimmenanteilen würde für eine spürbare Veränderung der Mehrheitsverhältnisse reichen.
Die Wahlkampfthemen
Was entzweit die Könizer Parteien? Grob gesagt sind es drei Themen:
Finanzen: Nach Jahren roter Rechnungsabschlüsse ist Köniz seit drei Jahren zurück in den schwarzen Zahlen – auch dank einer Steuererhöhung. Allerdings: Für die nächsten Jahre drohen Defizite. Und ähnlich wie die Stadt Bern schiebt Köniz eine Bugwelle dringend nötiger Investitionen in Infrastruktur – zum Beispiel in Schulhäuser – vor sich her. Gleichzeitig ist die Gemeinde schon stark verschuldet. Deshalb plädieren die Parteien von Mitte bis Rechts für eine Schuldenbremse. Sie warnen in Communiqués davor, dass bei einer rot-grünen Mehrheit finanzielle Verhältnisse wie in der Stadt Bern drohen. Allerdings: In der Stadt Bern rechnen sich die Finanzen als Wahlkampfthema für die Bürgerlichen nicht: Trotz der heftig kritisierten steigenden Verschuldung wächst seit 2016 auch die rot-grüne Mehrheit weiter.
Klimafonds: Köniz hat ein spezielles Finanzvehikel geschaffen, um den Klimaschutz voranzutreiben: einen Klimafonds. In diesen schiesst die Gemeinde Mittel ein, um Investitionen zur Erreichung ihres Ziels zu ermöglichen, bis 2035 eine Netto-Null-Bilanz zu haben. Trotz angespannter Finanzen legt Köniz nun drei Millionen Franken Steuergelder in den Fonds. SVP und FDP stören sich heftig daran, dass die Stimmbürger*innen nicht mitentscheiden können, für was der Fonds dieses Geld genau einsetzen wird.
Politische Vielfalt: Für SVP, FDP und und Zentrumsparteien ist die Könizer Zauberformel «ein Erfolgsmodell». Gemeinsam kritisieren sie die «Machtpolitik der SP», mit der die politische Vielfalt in der Könizer Regierung ausgehebelt werden soll – und das ausgerechnet von der Partei, die normalerweise der Diversität das Wort rede. Gar keine Freude haben FDP und SVP jedoch auch an der Könizer GLP, weil diese sich einem breiten Schulterschluss von der SVP bis ins politische Zentrum verweigerte. In Köniz geht die GLP nur mit EVP und Mitte eine Listenverbindung ein – im Unterschied zur GLP der Stadt Bern, die sich 2024 auf eine gemeinsame bürgerliche Liste auch mit der SVP einliess und ihrer Kandidatin Melanie Mettler einen Regierungssitz verschaffte. Die Könizer SVP kritisiert die GLP deshalb heftig. Diese verteidige die Zauberformel nur mit Worten, aber wenn es darauf ankomme nicht mit Taten, schreibt die SVP. Die Linke hingegen hält das Könizer Modell gar nicht unbedingt für eine Zauberformel. Es brauche eine rot-grüne Mehrheit, damit es mit Investitionen in Klimaschutz, in Bildung und Kultur rasch genug vorwärtsgehe.
Die Hauptfiguren des Wahlkampfs
Diese sechs Personen stehen bei Kampf um die fünf Regierungssitze im Fokus:
Tanja Bauer (SP): Die Gemeindepräsidentin, 2022 als Nachfolgerin der in der Legislatur zurückgetretenen Annemarie Berlinger gewählt, sitzt sehr fest im Sattel. Ihr Kommunikationstalent zu Gunsten der Könizer Aussenwahrnehmung und ihre Bereitschaft zu Direktbegegnungen mit Menschen überall in der Gemeinde sind unbestritten. Bei Kritik kann sie aber auch auf einen härteren Ton umsteigen. Zudem bewirtschaftet sie ihre Social-Media-Kanäle clever und ausdauernd wie sonst praktisch niemand in der Berner Politik. Alles andere als eine glanzvolle Wiederwahl wäre eine Überraschung.
Thomas Marti (GLP): Hat sich 2024 in einer Ersatzwahl deutlich gegen Géraldine Boesch durchgesetzt. Thomas Marti ist ein eher untypischer Politiker, Typ seriöser, stiller Schaffer ohne Flair für schrille Auftritte und Polemik. Tritt als Bisheriger an mit allerdings nur einem Jahr Amtszeit. Suboptimal für ihn ist, dass FDP und SVP im Wahlkampf deutlich ihr Missfallen über die Grünliberalen äussern. Die beiden bürgerlichen Parteien haben 2024 Marti unterstützt, trotzdem war die GLP jetzt nicht bereit, mit SVP und FDP zusammenzuspannen, sondern nur mit Mitte und EVP. Ob dieser Weg Marti nützt oder schadet, ist offen.
Dominique Bühler (Grüne): Die Grünen sind die zweitstärkste Partei in Köniz, und Dominique Bühler ist eine Persönlichkeit, die über die Parteigrenzen hinaus Respekt geniesst. Ihre Wahl als Nachfolgerin von Hansueli Pestalozzi scheint praktisch sicher. Ihr Amt als Grossratspräsidentin 2024/2025 absolvierte Bühler so souverän, dass ab und zu auch Heiterkeit Platz hatte. Eine Besonderheit: Den Könizer Wahlkampf bestreitet sie hochschwanger. Am 28. September ist sie möglicherweise bereits Mutter.
Kathrin Gilgen (SVP): Die langjährige Gemeindeparlamentarierin und Fraktionspräsidentin, die 2022 auch höchste Könizerin war, wird wie die Grüne Dominique Bühler über die Parteigrenzen hinaus geschätzt. Der Nachteil von Kathrin Gilgen dürfte ihr deutlicher geringerer Bekanntheitsgrad sein, da sie nicht – wie der auf der SVP-Liste ebenfalls für den Gemeinderat kandidierende Reto Zbinden – auch noch Grossrätin ist. Beim SVP-Wähler*innenanteil von 15 Prozent ist ihre Wahl nicht gesichert. Wird Gilgen gewählt, hat die Könizer Regierung wohl eine Frauenmehrheit.
Lokale Demokratie lebt von engagierten Debatten. Deshalb veranstaltet die «Hauptstadt» gemeinsam mit der «Könizer Zeitung» eine öffentliche Podiumsdiskussion zu den Wahlen in Köniz. Sie findet statt am Donnerstag, 11. September, 19 Uhr, im Rossstall des Schlosses Köniz. Der Eintritt ist frei. Die Diskussion dauert 70 Minuten, danach ist die Bar geöffnet.
Dominic Amacher (FDP): Der erfahrene Parlamentarier und Unternehmer Dominic Amacher führt sicher den ausdauerndsten Wahlkampf aller Kandidierenden. Bereits im letzten Herbst legte sich die FDP auf ihn als Spitzenkandidaten fest. Der vom «Bärnerbär» bekannte Journalist Yves Schott sorgt bei der FDP für eine professionelle Kommunikation. Das drückt aus: Die FDP ist sich bewusst, dass sie bei einem Wähler*innenanteil von 15 Prozent hart um den Regierungssitz kämpfen muss.
Géraldine Mercedes Boesch (SP): Sie gehe gerne ein Risiko ein, wenn sie es abschätzen und tragen könne, sagte Géraldine Boesch, als sie vor einem Jahr gegen Thomas Marti um den freigewordenen Regierungssitz von Thomas Brönnimann kämpfte. Sie verlor klar. Nun will sie erneut in die Regierung. Das wachsende Köniz brauche eine Stärkung der sozialen und ökologischen Kräfte, sagte sie im Frühling der «Hauptstadt». Deshalb sei sie bereit, es noch einmal zu versuchen.
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