Best of «Hauptstadt» #5
Redaktionsmitglieder stellen ihre Lieblingsartikel aus dem letzten Jahr vor. Heute: Flavia von Gunten denkt über das Trauern nach.
Unser Umgang mit dem Tod ist ein Missverständnis.
Wer darüber sprechen will, gilt schnell als morbid, pessimistisch oder lebensmüde. Ja, über den Tod zu sprechen kann anstrengend und schwer sein. Widerstände tauchen auf, Worte fehlen oder schaffen den Weg nicht durch den engen Hals.
Dabei fällt mir nichts Lebensbejahenders ein, als sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Wenn ich mir vorstelle, wie flüchtig und zerbrechlich mein Leben ist, spüre ich Wertschätzung und Dankbarkeit. Und kriege Lust, meine Prioritäten zu hinterfragen: Womit will ich die so schnell verfliegende Zeit verbringen?
Dankbarkeit spürte ich auch bei der Lektüre des Artikels von Andrea von Däniken. Letztes Jahr ist ihre Mutter gestorben. Eine einfühlsame Bestatterin begleitete Andrea und ihre Familie durch die Trauerzeit. Gemeinsam kleideten sie die Mutter für die Aufbahrung ein und legten Zweige um den Sarg.
Nebst diesen handfesten Tätigkeiten beschreibt Andrea in ihrem Text auch, wie die Bestatterin sie in ihrer Trauer unterstützt hat: In sie hineingehen, statt sich von ihr abzugrenzen, lautete die Einladung. Wenn man die Trauer wahrnehme und sie aushalte, werde sie leichter. Auch Weinen helfe beim Loslassen.
Die Bestatterin hat für Andrea und ihre Familie einen Raum für die Trauer geschaffen. Und Andrea hat mit ihrem Text einen Raum für alle Leser*innen geschaffen, für einige Minuten über den Tod zu sinnieren. Sie hat treffende Worte gefunden für ein Thema, über das noch zu oft geschwiegen wird – wegen eines Missverständnisses.
Die «Hauptstadt» macht vom 15. Juli bis zum 4. August Sommerpause. Ganz stellen wir den Betrieb aber nicht ein: Einmal pro Woche landet weiterhin der «Hauptstadt»-Brief in deinem digitalen Postfach. Und auf der Website findest du mehrmals wöchentlich Lesestoff, den wir dir ein zweites Mal empfehlen. Denn wahrscheinlich geht es dir gleich wie uns: Im Alltag fehlt oft die Zeit, um alles zu lesen, was sich lohnen würde.
Mitglieder der Redaktion stellen dir deshalb ihre Lieblingstexte aus dem vergangenen «Hauptstadt»-Jahr vor. Aus gegen 500 publizierten Artikeln seit Juli 2023 haben sie je einen ausgewählt, der ihnen aus einem bestimmten Grund in Erinnerung bleibt.
Flavia von Gunten hat ein Artikel über das Trauern besonders berührt. Sie schreibt als Journalistin für die «Hauptstadt».