Rassismus – «Hauptstadt»-Brief #310
Donnerstag, 25. April 2024 – die Themen: Wandbild im Museum; Fischermätteli-Tram; Gastro; «Hauptsachen»; YB-Campus; GLP Köniz; Alpakas; Fabian Recher; Zollyphon.
«Was bedeutet es, in diesem Raum zu stehen? Warum bin ich nicht hier? Warum gibt es mich nicht?» Die über Lautsprecher verbreitete Stimme der Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni geht einem nicht aus dem Ohr.
Ihre Warum-Fragen sollen irritieren, wenn man den Saal des Historischen Museums betritt, in dem ab heute Donnerstag eine in Bern mit grosser Spannung erwartete Ausstellung gezeigt wird. Sie heisst «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern». Sie handelt vom grossen Wand-Alphabet aus dem Schulhaus Wylergut, das bei einzelnen Buchstaben rassistische Motive zeigt.
Es ist eine jahrelange, emotionale Angelegenheit für Bern. Das 1949 von den sozialistischen Künstlern Emil Zbinden und Eugen Jordi geschaffene Bild löste 2019 eine heftige Diskussion über Kolonialerbe und Rassismus aus. Die Stadt Bern schrieb einen Kunstwettbewerb zum Umgang mit dem Bild aus, den der Verein «Das Wandbild muss weg!» gewann. Das historische Wandbild wurde – unter Kritik auch aus der Linken – demontiert und in den Bestand des Historischen Museums überführt. Nun kann es in der Ausstellung quasi mit neuen Augen betrachtet werden – begleitet von Moumounis hartnäckigen Warum-Fragen.
Das Historische Museum hat sich getraut, die Kuratierung der Ausstellung unter klaren Abmachungen dem Verein «Das Wandbild muss weg!» zu überlassen. Ich finde, das Wagnis hat sich gelohnt. Die Ausstellung, die wir für dich hier beschreiben, ist für Besucher*innen zwar anspruchsvoll, aber eine Bereicherung. In der schrillen Debatte um postkoloniale Wissenschaft und woke Kultur wirkt sie wie eine kleine Oase der Sorgfalt und Unaufgeregtheit.
Denn: Die Macher*innen tun nicht so, als könnten sie den im Wandbild ausgedrückten rassistisch geprägten Blick auf den globalen Süden einfach durch eine korrekte antirassistische Sicht ersetzen. «Sich mit Rassismus auseinandersetzen ist ein Prozess, der mit dieser Ausstellung nicht beendet ist», sagt Angela Wittwer vom kuratierenden Verein. Zu diesem Prozess gehören logischerweise Irritationen, Widerstände und Kritik von verschiedensten Seiten – auch an der Ausstellung selbst. Sie sollen mit der Zeit sogar Eingang in die Ausstellung finden.
Und das gebe ich dir in den Tag mit:
Fischermätteli-Tram: Die Berner Stadtregierung will – trotz Kritik aus Velo-Kreisen – die Tramachse ins Fischermätteli nicht durch einen Bus ersetzen, wie sie mitteilt. Sie legt dem Stadtrat einen Kredit von 16 Millionen Franken für Gleissanierungen vor, den Rest der Gesamtkosten von gut 42 Millionen Franken übernimmt Bernmobil. Die Bauarbeiten sollen ab 2026 stattfinden, nötig ist zuvor eine Volksabstimmung.
Gastro: An der Aare in Worblaufen gehts kulinarisch aufwärts. Am 8. Mai eröffnet eine zehnköpfige Gruppe um den Gastrounternehmer Michel Gygax (KG Gastrokultur) nur wenige Schritte von der Tiefenaubrücke das Restaurant Rio. Das Lokal will «für jeden Hunger» auftischen, am Samstag und Sonntag beispielsweise einen Brunch. Einquartiert ist das «Rio» in einem kleinen architektonischen Bijou, einem feingliedrigen Holzbau für Wassersportler*innen am Fluss.
«Hauptsachen»-Talk: «Antisemit*innen sind immer die anderen.» Diese Haltung prägt die öffentliche Diskussion – auch in Bern, wo die Zahl antisemitischer Vorfälle und islamophober Übergriffe seit dem 7. Oktober zugenommen hat. Wie können wir in der überhitzten öffentlichen Debatte die Angst vor diesem Thema ablegen? Am «Hauptsachen»-Talk vom kommenden Montag, 29. April, (Progr, 19.30 Uhr, Eintritt frei) suchen wir mit Geschichtsprofessorin Stefanie Mahrer konstruktive Auswege aus dieser Überforderung. Wir freuen uns, wenn du dabei bist, und sind froh, wenn du dich hier anmeldest.
Fussball: Fehlende Rasenplätze sind ein Dauerproblem in Bern. Das blockiert auch die Entwicklung des Frauenfussballs. Nun will der Fussballclub BSC Young Boys an der Grenze zwischen Bolligen und Ostermundigen einen Campus mit acht Fussballfeldern bauen und selber 40 Millionen Franken dafür investieren. Zugleich hofft YB weiter, für sein Profi-Team Trainingsplätze auf der Grossen Allmend entlang der Papiermühlestrasse zu bekommen. Mein Kollege Nicolai Morawitz bringts auf den Punkt: Bis etwas geht, wird es noch Jahre dauern.
Köniz: Am 22. September wählen die Könizer Stimmberechtigten die Nachfolge von Thomas Brönnimann (GLP) in die Gemeinderegierung. Die Mitglieder der grünliberalen Partei haben am Dienstag definitiv Thomas Marti als ihren Kandidaten bestimmt. Die EVP hat bereits früher angekündigt, Katja Streiff ins Rennen zu schicken. Absehbar ist, dass auch von der Linken eine Kandidatur kommt.
Paralympics: Der Spiezer Fabian Recher, im Alltag im Rollstuhl unterwegs, ist der beste Handbiker der Schweiz. Mein Kollege Nicolai Morawitz beschreibt, wie hart er für sein grosses Ziel trainiert, die Paralympics in Paris im Sommer dieses Jahres.
Fotoporträt: Andreas Rüedi ist, seit er 13 Jahre alt ist, Besitzer von Alpakas. Heute führt er in Ortschwaben einen Alpaka-Hof mit über 100 Tieren. Meine Kollegin Danielle Liniger hat ihn mit der Kamera besucht.
PS: Nach der tiefgefrorenen Spätwinterwoche Lust auf ein herzerwärmendes musikalisches Surprise-Menü? Das Kollektiv Zollyphon hat morgen Freitagabend (20.30 Uhr, Richtpreis 20 Franken) ein Konzert für genau dieses Bedürfnis auf Lager. Die Bieler Musikerin Rea Dubach aka REA experimentiert solo auf der lauschigen Bühne in der alten Grabenmühle, sie will dort unter anderem «nach Freiheit rufen». Was brauchst du mehr?