Die Kulturdebatte, die Bern braucht
Bühnen Bern erhalten von der Stadt 18 Millionen Franken pro Jahr – das sind 60 Prozent des Kulturbudgets. Momentan läuft die Vernehmlassung zur Kulturbotschaft ab 2024. Zeit für eine grundsätzliche Debatte über Geld und Ansprüche. Vorhang auf für Akt III der Begegnung mit Bühnen Bern.
Klar: Nichts ist leichter, als an der kulturpolitischen Primadonna Bühnen Bern Kritik zu üben. Wer mit 38 Millionen Franken Steuergeldern pro Jahr operiert und mit Publikumsschwund konfrontiert ist, muss den Neid der Kleineren aushalten. Und die Transparenz gewährleisten, dass die Politik, die das Geld spricht, genau überprüfen kann, ob mit ihm haushälterisch und fair umgegangen wird.
Gleichzeitig: Nichts ist schwieriger, als an Bühnen Bern Kritik zu üben. Wer es tut, läuft Gefahr, als der- oder diejenige dazustehen, der oder die Gründe liefert, die Höhe der Subventionen in Frage zu stellen. In die kulturfeindliche Ecke gestellt zu werden. Und damit den kulturpolitischen Konsens zu gefährden, der die finanzielle Alimentierung absichert.
Genau das will die «Hauptstadt» mit ihrem dreiteiligen Beitrag zu Bühnen Bern vermeiden. Wir wollen kritisch hinschauen, verschiedene Ansichten zu Wort kommen lassen, ohne das Ziel zu haben, der Kultur zu schaden. Doch ohne öffentliche Diskussion können auch keine konstruktiven Zukunftsoptionen entstehen.
Verdienst von Rot-Grün-Mitte
Die Stadt Bern leistet sich für eine Stadt ihrer Grösse – selbst im europäischen Vergleich – ein grosses Kulturbudget. Es ist, unter anderem, das politische Verdienst der seit 30 Jahren regierenden rot-grünen Mehrheit, die Unterstützung auch zugunsten der klassischen Kultur ausgebaut zu haben, obschon diese ursprünglich nicht zuvorderst auf der Prioritätenliste der Linken war.
Von den 33 Millionen Franken, die die Stadt pro Jahr für Kultur ausgibt, gehen 60 Prozent (18 Millionen Franken) allein an Bühnen Bern. Weil die Stadt angesichts roter Zahlen unter Spardruck steht, will sie die Zuwendungen ans Theater leicht kürzen. Insgesamt sollen Bühnen Bern 470’000 Franken weniger erhalten als bisher – was Intendant Florian Scholz angesichts der künstlerischen Ambitionen, die an Bühnen Bern gerichtet sind, unverständlich findet.
Das Geld ist der Grund, warum der Beziehungsstatus zwischen der Berner Öffentlichkeit und Bühnen Bern kompliziert ist. Jedoch längst nicht erst seit Beginn der Intendanz Scholz. Sondern – trotz zwischenzeitlicher Ruhephasen – seit mindestens 30 Jahren. Auflösung, Schliessung, Verkauf, alles ist diskutiert worden. Allerdings ohne dass sich etwas geändert hat.
1993 – das Stadttheater steht unter der Leitung von Eike Gramss und erhält von der Stadt 10 Millionen Franken pro Jahr – diskutiert die Kulturszene die Idee, die historische Institution Stadttheater aufzulösen und ein freies Opern- und Schauspielensemble zu bilden. Man verwirft die unkonventionelle Option und entscheidet sich für das bereits Dagewesene.
1999 fordert der damalige SP-Grossrat Michael Kaufmann – er sitzt heute im Stiftungsrat von Bühnen Bern – den Verkauf des Stadttheaters an den Kanton, weil es als weit in die Region hinausstrahlende Kulturinstitution dort besser aufgehoben wäre. Der Vorstoss findet keine Mehrheit.
2013, als es im Stadtrat darum geht, den städtischen Kreditanteil für die 45-Millionen-Sanierung des Stadttheaters zu sprechen, diskutiert man die Schliessungsvariante. Mit ein Grund ist, dass die Regionsgemeinden ihren Anteil an den Kosten nicht vollständig übernehmen wollen. Natürlich verzichtet man auf den radikalen Schnitt.
Die Regionalkonferenz zahlt heute fünf Millionen Franken an die 38-Millionen-Subvention für Bühnen Bern – also rund 12 Prozent. Aus früheren Befragungen ist bekannt, dass rund ein Drittel der Besucher*innen von Bühnen Bern aus der Region kommen.
Ein grosses Haus für immer?
So kommt die heutige Anforderung der Politik an Bühnen Bern zustande: Für knapp 40 Millionen Franken Steuergelder pro Jahr soll das einzige Vierspartenhaus der Schweiz (Schauspiel, Oper, Ballett, Symphonieorchester) «gesellschaftliche Relevanz und künstlerische Exzellenz» auf die Bühne bringen, wie es im Leistungsvertrag formuliert ist. Zum Vergleich: Das Opernhaus Zürich erhält 85 Millionen Franken Subventionen an sein Jahresbudget von 125 Millionen Franken.
Was nun?
Der Kulturmanager Pius Knüsel, einst Leiter von Pro Helvetia, machte in der NZZ am Sonntag jüngst ein paar interessante Bemerkungen. Die heutige Subventionspolitik tauge nicht für die Zukunft, hielt er fest. Weil man sich zu sehr auf die grossen Häuser konzentriere, bei denen das Sparpotenzial offensichtlich sei. Er hatte bei seinen Bemerkungen zwar nicht die Situation in Bern im Auge, sondern diejenige in Zürich. Aber den Denkansatz könnte man zweifellos auch für Bern anwenden.
Laut Knüsel käme das Zürcher Opernhaus problemlos «mit ein paar Millionen weniger» durch, und er warf die Frage auf, ob eine Stadt tatsächlich so viele Theater brauche – wo doch das Schauspielhaus mit seinen Ensembles und Bühnen schon alle Spielarten des Theaters abdecke. Knüsel würde das freigewordene Geld zur Laienkultur umverteilen. Man müsste es Erwachsenen, die zum Beispiel als Kinder ein Instrument oder Volkstheater spielten, erleichtern, dies weiter zu tun. So würde indirekt auch das Interesse an der Hochkultur gestärkt.
Knüsel plädiert dafür, selbst über einen Rückbau oder gar die Schliessung etablierter Kulturhäusern zu reden, um so die Schaffung neuer räumlicher Optionen überhaupt denkbar zu machen. Nicht, dass man Knüsels radikalen und nicht mehrheitsfähigen Denkansatz integral auf Bern anwenden müsste. Aber eine Kulturdebatte, wie sie jetzt verlangt wird, dürfte eigentlich auch vor schrillen Ideen nicht haltmachen.
Bühnen Bern auf der Strasse
Doch zurück auf den Boden der Berner Realität. Zurück zum Anfang der Geschichte. Zurück zur Dernière von Mozarts «Idomeneo». Es ist 21 Uhr, als der Vorhang definitiv fällt und das spärliche Opernpublikum in den lauen Sommerabend strömt. Auf der Strasse an der Seite des Stadttheaters ist Lärm zu hören, ein Ritter in goldenem Kostüm klettert die Stange eines Verkehrsschilds hoch. Erstaunt bleiben Spaziergänger*innen stehen. Was ist da los?
In der auch zu Bühnen Bern gehörenden Beiz «Vierte Wand» wird das Stück «Der Drache» von Jewgeni Schwarz gespielt. Es ist eine lustige und lustvolle Inszenierung, die Schauspieler*innen sprühen vor Energie und beziehen die ahnungslosen Passant*innen mit ein – sogar ein vorbeifahrendes Polizeiauto. Es ist Theater, das raus auf die Strasse geht, unkonventionell ist, aufweckt, aber das Risiko eingeht, auf billige Art Applaus zu suchen. Im besten Fall macht es so Theater-Neulinge neugierig.
Unter regelmässigen Kulturgänger*innen scheidet «Der Drache» hingegen die Geister. Während sich Stadtpräsident Alec von Graffenried nach eigenen Angaben hervorragend unterhalten hat, kann der frühere städtische Kulturbeauftragte Christoph Reichenau wenig damit anfangen, wie sich aus seiner Rezension für «Journal B» herauslesen lässt.
«Der Drache» ist die zweite Produktion des Schauspiel-Mobil von Bühnen Bern, dessen Idee es ist, dass ein Theaterstück in einem Lieferwagen im Kanton von Ort zu Ort ziehen kann. Bisher allerdings hat es ausserhalb der theatereigenen Plätze in den Vidmarhallen und in der Vierten Wand nur wenig Vorstellungen gegeben, das Schauspiel-Mobil wird selten gebucht.
«Der Drache» ist überzeugend und spassig, er spricht ein junges Publikum an: Könnten solch gewagte Ideen ein Teil der Zukunft für Bühnen Bern sein? Oder sollen Bühnen Bern im Gegenteil einfach zeigen, was das konservative Publikum schon immer sehen wollte und damit Gefahr laufen, dass kein junger Mensch sich ins Theater verirrt?
Was zweifellos diskussionswürdig ist: Das Gezeigte und der Groove von «Der Drache» ähneln stark den Stücken der freien Szene, die allerdings mit einem Bruchteil der Subventionen von Bühnen Bern auskommen muss. Wie weit soll sich der Krösus auf dieses Gebiet vorwagen?
Und, die ewig wiederkehrende Frage: Wie können Bühnen Bern auch in Zukunft grosse Bühnenkunst bieten, ohne dass mehr Geld in die Hand genommen wird?
Exzellenz, Passion, Transparenz
Eine Antwort auf diese Fragen könnte vielleicht die Tanzsparte liefern: Die Chilenin Estefania Miranda kam 2013 von aussen nach Bern, leistete jahrelange Aufbauarbeit, bis Bern Ballett auch international einen Namen hatte und als einzige Sparte einen Ruf, der zu vollen Rängen führt. Die Durchmischung im Publikum ist sehr hoch, das Durchschnittsalter im Vergleich zu den anderen Sparten tief. Und all das mit den finanziellen Mitteln, die zu jener Zeit verfügbar waren.
Nach ihrem plötzlichen Abgang im letzten Herbst hat Intendant Scholz auf Kontinuität gesetzt: Neue Chefin von Bern Ballett ist Isabelle Bischof, eine junge Bernerin mit zwar wenig internationaler Erfahrung und Renomée, aber mit einem Sinn für das, was Estefania Miranda während vielen Jahren aufgebaut hat, da sie die rechte Hand von Miranda gewesen ist. Das lässt auch für die Zukunft hoffen.
Schaut man nur die Tanzsparte an, lautet die Antwort: Ja, grosse Kunst, die sowohl Kritiker*innen wie auch das Publikum lieben, ist auch mit diesem verhältnismässig kleinen Budget möglich. Es braucht aber Ausdauer, Hingabe – und ja, auch Exzellenz.
Und sicher, dem Vertrauen des Publikums und der Politik zuliebe, auch mehr Transparenz. Ein Theater für alle will Bühnen Bern sein, so formulierte es Florian Scholz auf dem Rundgang, auf den er die «Hauptstadt» mitnahm. Zum diesem Anspruch gehört auch Transparenz, nach innen und nach aussen. Zum Beispiel, was Ausgaben, Auslastung und Löhne angeht. Schliesslich wird das Theater für alle auch von allen finanziert. Von allen Steuerzahler*innen.
Bühnen Bern befinden sich nun in den sechswöchigen Theaterferien, die erste Premiere der kommenden Saison findet am 4. September statt, «Die Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart. Dieser Tage wird der riesige, goldene Fuss, der den Eingang des Stadttheaters seit der Premiere des Tanzstücks «La Divina Comedia» Ende Oktober ziert, wieder eingepackt. Ein Fuss, vergoldet, riesig, unübersehbar und glänzend.
Der vergoldete Fuss eines Kolosses.
Wie sieht seine Zukunft aus?
Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) wünschte sich bei der Präsentation der Kulturbotschaft, in der die Verteilung der Kulturgelder ab 2024 festgelegt wird, eine Debatte nicht nur über Geld, sondern über Kultur. «Ist Bern bereit dafür?», fragte die«Hauptstadt» und publiziert als Beitrag dazu eine dreiteilige Begegnung mit Bühnen Bern, der mit Abstand grössten Berner Kulturinstitution. Die Kulturbotschaft wird in den nächsten Monaten öffentlich diskutiert, im Februar 2023 befindet der Stadtrat darüber, nachher das Volk in einer Abstimmung. Dann ist für die nächsten vier Jahre klar, wer wieviel Geld erhält. Der Zeitpunkt für die Auseinandersetzung ist: jetzt.
Zur Transparenz: Hauptstadt-Co-Redaktionsleiterin Marina Bolzli hat von Februar bis September 2021 als Kommunikationsverantwortliche bei Bühnen Bern gearbeitet.