Burrens wollen nicht mehr metzgen
Von weit herum kommen die Leute, um in Burrens Hofladen in Liebewil bei Köniz einzukaufen. Nun wollen die Jungen den Betrieb zum Lebenshof machen. Ein Entscheid, der in der Familie und bei der Kundschaft kontrovers diskutiert wird.
Die Ziege lässt sich problemlos streicheln. Interessiert schnuppert sie an der Kamera des Fotografen. Sie lebt mit fünf anderen auf dem Hof der Familie Burren in Liebewil. Bis letztes Jahr wurden die Zicklein der Tiere regelmässig geschlachtet und als Fleisch im hofeigenen Laden verkauft.
Doch damit ist jetzt Schluss: Tobias und Christine Burren, die den Hof 2020 von Tobias’ Eltern übernommen haben, wollen noch in diesem Jahr ganz mit Schlachten aufhören. Ihr Betrieb soll zum Lebenshof werden. Dort leben zwar Tiere, aber sie werden nicht genutzt für Milch- und Fleischprodukte. Sie dürfen so lange auf dem Hof bleiben, bis sie eines natürlichen Todes sterben.
Es ist ein unkonventioneller Entscheid, denn anders als die meisten anderen Lebenshöfe wollen Burrens weiterhin ein produzierender Betrieb sein – einfach vegan.
Liebewil ist ein ländliches Idyll. Die stattlichen Bauernhäuser sind von sattem Grün umgeben, in der Ferne sieht man das Alpenpanorama. Am Wochenende ist der Weiler, der zu Köniz gehört, ein beliebtes Ausflugsziel. Viele steuern den Hofladen der Familie Burren an, wo es eine grosse Auswahl an Gemüse, selbst verarbeiteten Back- und Milchwaren, Fleisch und weiteren Hofprodukten wie Sirup und Konfitüre gibt.
Die ältere Generation, Ruedi und Heidi Burren, hat die Direktvermarktung aufgebaut. Sie waren damit vor gut 30 Jahren Pionier*innen. Früh setzten sie auf eine Kürbis-Erlebnislandschaft, auf Beeren zum Selberpflücken, auf Spargeln. Eigentlich waren sie der Zeit immer etwas voraus. Wollen die jungen Burrens das jetzt auch mit dem Lebenshof sein?
«Natürlich wäre es schön, wenn wir andere Landwirtschaftsbetriebe inspirieren könnten», sagt Christine Burren. Sie hat sich an den Holztisch vor dem Bauernhaus gesetzt. Die Kinder, das ältere zwei Jahre, das jüngere vier Monate alt, machen grad Mittagspause. Die 32-Jährige ist auf einem Bio-Bauernhof aufgewachsen, der vor allem Fleisch vermarktet. «Eigentlich hatte ich schon immer Mühe damit, wenn ein Tier zum Schlachter musste», erzählt sie. «Aber ich dachte halt, das muss wohl so sein.»
Tobias Burren, kein Mann der grossen Worte, hat sich neben sie gesetzt. Der 33-Jährige hört lange zu und findet dann: «Wir schauen das Tier nur als Ware an. Aber wenn man selbst Kinder hat, stellt sich plötzlich auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und dem, was nachher, nach dem Tod, kommt.»
Seit 2018 haben Burrens den Hof auf Mutter-Kalb-Haltung umgestellt, damit das Kalb länger bei der Mutter bleiben kann. «Wenn wir sie getrennt haben, hat die Mutter trotzdem tagelang nach dem Kalb gerufen, wir hörten das bis in unsere Wohnung hoch», erzählt Christine Burren. «Es war nicht mehr auszuhalten.»
Im Haus der Burrens leben vier Generationen: Zuunterst die Eltern, Ruedi und Heidi, in der Mitte der Vater von Ruedi, ganz oben Tobias und Christine mit ihren Kindern. Man sieht sich jeden Tag, am Mittag kochen Heidi oder Christine fürs ganze Haus. Es ist eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.
Da muss man zusammen funktionieren, auch wenn man sich nicht einig ist. Und die Umstellung des Hofs, die fällt nicht allen gleich leicht.
Ruedi Burren hat sich etwas abseits auf die Stufen vor die Haustür gesetzt. Er war noch schnell auf dem Feld, trägt das Arbeitskombi und schüttelt den Kopf. «Ich habe viele schlaflose Nächte», sagt er, «ich kann den Entscheid nur sehr schwer nachvollziehen.» Er habe Angst, sagt er jetzt, mehr an den Sohn als an die Journalistin gerichtet, er sei nicht sicher, ob das finanziell aufgehen könne: «Ihr müsst verstehen, ich zweifle nicht die Richtung an, sondern das Tempo.»
Bis Ende Sommer werden die noch verbliebenen zehn Schweine auf dem Hof gemetzget. Auch drei Munikälber müssen auf die Schlachtbank. «Ich will es so rasch wie möglich hinter mich bringen», sagt Tobias Burren. Im März kam das letzte Kalb zur Welt, weitere Kühe werden nicht mehr zugelassen. Das heisst, dass es in absehbarer Zeit auch keine Milch mehr auf dem Hof geben wird. Denn damit die Kühe Milch geben, müssen sie kalben. Ab nächstem Jahr irgendwann wird es weder Fleisch- noch Milchprodukte auf dem Hof geben. Diese Produkte sorgten bisher für etwa einen Viertel des Umsatzes.
Eier können nur noch so lange verkauft werden, wie die Hühner Eier legen, denn im Februar wurden die letzten 200 Legehennen einquartiert. Auch sie werden nicht gemetzget werden, wenn sie nach einem Jahr nicht mehr täglich ein Ei legen, sondern dürfen solange bleiben, bis sie eines natürlichen Todes sterben.
«Wenn man den Entscheid einmal gefällt hat, sollte man eigentlich keine Kompromisse mehr machen», sagt der Sohn jetzt zum Vater, «jedes Tier, das jetzt noch sterben muss, ist eins zu viel.» Seit dem Entschluss letzten Sommer essen er und Christine kein Fleisch mehr. Beim Mittagessen gibt es jetzt zwei Varianten, eine mit Fleisch und eine ohne.
Es liegt Spannung in der Luft. Die Umstellung auf den Lebenshof wird in der Familie kontrovers diskutiert. Ruedi Burren lebt und arbeitet weiterhin auf dem Hof, sieht aber, dass sein Sohn und seine Schwiegertochter den Hof verändern, das, was er und seine Frau aufgebaut haben, zum Teil nicht weiterführen. Das tut weh.
Pragmatischer sieht es Heidi Burren, seine Frau. Sie hat sich bisher um das Fleisch gekümmert, ass selber aber nur wenig davon und hat jetzt ganz damit aufgehört. «Als sie mir den Entscheid mitgeteilt haben, habe ich zuerst ein bisschen leer geschluckt, aber dann habe ich gedacht, gut, dann machen wir es so.»
Heidi Burren, die Zöliakie und eine Milch-Unverträglichkeit hat, findet es spannend, an neuen Produkten herumzutüfteln. So gibt es nun vegane Fruchtkugeln im Angebot. Schwiegertochter Christine Burren, die Köchin gelernt hat, möchte in Zukunft Hafermilch und veganes Joghurt herstellen. Die Infrastruktur ist da: Auf dem Hof gibt es eine Backstube und eine Käserei.
Kund*innen reagieren unterschiedlich
Seit kurzem werden die Kund*innen über die anstehenden Veränderungen informiert. «Einige finden es super und gehen in dieselbe Richtung; andere verstehen es, wollen aber weiterhin Fleisch konsumieren; und die Dritten verstehen es gar nicht», fasst Christine Burren die Reaktionen zusammen. Es gebe grosse Unterschiede zwischen jungen und älteren Leuten. «Die Jungen verstehen es eher.»
Die Verantwortung, Tiere zur Schlachtbank zu schicken, sei ihr und Tobias immer schwerer gefallen. Es gebe Kund*innen, die das lebende Tier auf dem Hof explizit nicht sehen, sondern nur das Fleisch kaufen wollten. «Sie gaben die Verantwortung an uns ab.» Angst, zu wenig Kund*innen zu haben, haben Christine und Tobias Burren nicht. «Das chunnt scho guet», sagt Christine und lacht. «Einige Kund*innen werden gehen, dafür werden neue hinzukommen.»
In diesem Jahr produziert der Betrieb erstmals auch Linsen, Kichererbsen, Süsslupinen, Hirse und Polentamais. Der Dünger dafür kommt aus dem kompostierten Mist der Hoftiere, die hofeigenes Futter, vor allem das Gras an Steilhängen, die nicht gemäht werden können, fressen. In den nächsten Jahren soll der Hof auch auf Bio umgestellt werden.
Offene Diskussionen
«Wir werden uns wohl nie ganz einig werden», sagt Tobias Burren. «Aber mein Vater entschied sich ja damals auch gegen die Widerstände seines Vaters für die Direktvermarktung und den Gemüseanbau.»
Wenn die Hühner dereinst keine Eier mehr legen und die Kühe keine Milch mehr geben, dann wollen Christine und Tobias Burren vegan leben. Die Diskussionen mit der älteren Generation werden weitergehen. Nicht immer werden sich Junge und Alte einig sein. Doch so lange Konflikte so offen ausdiskutiert werden wie am Holztisch vor dem Bauernhaus, ist die Chance gross, dass sich die Situation irgendwann auch wieder entspannt.
Das Konzept von Lebenshöfen ist relativ neu. Tonangebend in der Schweiz ist der Verein Hof Narr. Gegründet wurde er von Sarah Heiligtag und Gleichgesinnten, nachdem die Gruppe 2013 einen Betrieb im zürcherischen Hinteregg zum Lebenshof umgeformt hatte. Auf einem Lebenshof werden Tiere nicht mehr für die menschliche Nahrung genutzt und Nutztiere vor der Schlachtung gerettet. Neben der Öffentlichkeitsarbeit ist ein Pfeiler des Vereins die Beratung von anderen Landwirtschaftsbetrieben, die ebenfalls zu Lebenshöfen werden möchten.
Die Zahl der Beratungsanfragen aus der Schweiz sei momentan konstant, schreibt Sarah Heiligtag auf Anfrage der «Hauptstadt». Allerdings würden die Anfragen aus Deutschland, Österreich und Irland zunehmen. In jenen Ländern baut der Verein nun auch Teams auf, die Höfe beraten.
Im Kanton Bern gibt es laut ihr momentan 32 Höfe, die umgestellt wurden. Weitere sechs befinden sich in der Transformation. Sie wisse zwar von Betrieben, die auch weiterhin produzieren würden. «Allerdings ist bei den Burrens einzigartig, dass sie sowohl Käserei, als auch Bäckerei und Gemüse im grösseren Stil haben», schreibt Heiligtag. Sie finde diese Vielfalt beeindruckend. Viele Lebenshöfe setzen nach der Umstellung vor allem auf Tierpatenschaften, um sich zu finanzieren.