Vom Technoclub zum Kulturort

Der Club Kapitel Bollwerk wandelt sich und nennt sich nun «In Transformation». Was sind die Pläne des neu strukturierten Vereins?

InTransformation
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Der Club transformiert sich zum Kulturort – an den Namen «In Transformation» soll man sich nicht zu fest gewöhnen. (Bild: Danielle Liniger)

Es ist ein ungewohnt formeller Anblick: Auf der Tanzfläche des bisher als Kapitel Bollwerk bekannten Technoclubs sitzt das neue «Core-Team» des Ausgehlokals. Es besteht aus fünf Menschen an einem Tisch vor ihren Laptops: Andrea Aebersold, Bee K., Dino Dragić-Dubois, Mahalia Aura Haberthür und Tabea Rai sind gleichzeitig Teil einer achtköpfigen Geschäftsleitung. Auch am Tisch sitzt Praktikant Madani Sakho. Das Kollektiv hat in den letzten Wochen das Konzept des Technoclubs fast vollständig über Bord geworfen. 

Das ist auch im Raum ersichtlich. Der zuvor in schwarz getauchte Club hat einen freundlicheren Anstrich bekommen: Die Bar und einige Details sind pink angemalt. «Wir wollen weg vom Schwarz-Weiss des Kapitels», sagt Mahalia Aura Haberthür, für Kuration zuständig und Mitinhaberin des vor 13 Jahren eröffneten Kapitels. 

Sie und der Rest des Core-Teams erzählen gemeinsam ihr Vorhaben für den neustrukturierten Ort. 

«In Transformation», wie sich das Kapitel nun nennt, sieht sich nicht mehr «nur» als Club, sondern als Kulturort. Das zeigt sich auch am Programm: Lediglich am Samstag soll es weiterhin ein Techno-Nachtclub bleiben und erst ab Mitternacht öffnen. Neu ist das «Intra», wie die Betreiber*innen ihren neu gestalteten Club liebevoll nennen, auch dienstags, donnerstags und freitags bereits in früheren Abendstunden ab 17 oder 19 Uhr offen, mittwochs finden es ab und zu Events mit Kollaborationen statt. 

Ein grosser Wandel. Noch bis Ende 2023 veranstaltete das Kapitel jeweils von Donnerstag bis Samstag Clubnächte, die um Mitternacht starteten. Schrittweise hat es seither seine kuratierten Techno-Clubnächte zurückgefahren. Auch das zugehörige Burger-Restaurant wurde im letzten Mai geschlossen. 

In Zukunft soll der Ort am Bollwerk mehr als Clubveranstaltungen bieten. «Wir wollen den Spagat schaffen zwischen einem kuratierten Programm, das wir selber veranstalten und engeren Kollaborationen mit Partner*innen und Künstler*innen, die im Bereich der alternativen Subkultur aktiv sind», sagt Dragić-Dubois, mitinhabende Person und ebenfalls für die Kuration zuständig. Gleichzeitig will das Kollektiv seine «Spaces verschiedenen Communities zur Verfügung stellen.»

Fünfstelliges Minus

Vor wenigen Wochen hat das Kollektiv ein Crowdfunding beendet und rund 55’000 Franken gesammelt. Das Geld hat das Team in die Umstrukturierung investiert: Die Inhaber*innen haben die GmbH Kapitel mit dem – nach aussen eigenständigen – Kulturraum Suboffice of space «soso» in einen Non-Profit-Verein mit dem Namen «Verein am Bollwerk» zusammengeführt. Den Verein führt nun das fünfköpfige «Core-Team». Ihr Ziel: Partizipativer, offener, inklusiver werden. 

Der leere Club Kapitel in Bern fotografiert am Freitag, 8. November 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die Bar ist jetzt Pink, das DJ-Pult im Vordergrund nicht mehr fix ein Teil des Raumes. (Bild: Simon Boschi (Archiv))

Das Geld aus dem Crowdfunding habe dem Kollektiv Schnuuf gegeben. «Ohne wäre es nicht gegangen», sagt Dragić-Dubois. Aber es ist eine kurzfristige Lösung. Der neu gegründete Verein ist weder aus den roten Zahlen noch ist er nachhaltig gesichert. 

50 Prozent der anfallenden Kosten stemmen die Vereinsmitglieder ehrenamtlich. Und trotzdem: «Wir machen nach wie vor ein fünfstelliges Minus pro Monat», sagt Dino Dragić Dubois. 

Ewig könne man nicht so weitermachen. Deshalb hat der Verein Anträge für diverse Projekte bei Stiftungen eingereicht. Die Burgergemeinde, die Stadt Bern, Migros Kulturprozent und Pro Helvetia haben bereits Unterstützung zugesichert. 

Gleich viele Gäst*innen, weniger Konsum

Es ist dem Team wichtig, das grosse Minus in einen Kontext zu setzen. Dragić-Dubois spricht von einem Branchenproblem, wie eine Umfrage der Bar- und Clubkommission Zürich zeige: Diese hat bei Kulturbars, Nachtclubs und Musikclubs in Zürich nachgefragt und herausgefunden, dass nicht die Anzahl Gäst*innen abgenommen hat, sondern das Ausmass der Konsumation. Der Pro-Kopf-Umsatz ist stark gesunken. Fünf Jahre davor war er um 30 Prozent höher. 

Das merke man auch in Bern: «Im Vergleich zu früher haben wir teilweise mit doppelt so vielen Leuten halb so viel Barumsatz», sagt Dragić-Dubois. 

Dabei fällt der Rückgang des Alkoholkonsums stark ins Gewicht. Das sei verheerend. Auch, weil nicht-alkoholische Getränke teurer im Einkauf seien als etwa das Hausbier. Und man alkoholfreie Getränke nicht im selben Ausmass trinke wie Bier.

Was sich zudem verändert hat: Bis vor einigen Jahren haben Clubs erhebliche Summen für Zigaretten-Sponsoring erhalten. Diese Einkunftsquelle sei heute – aufgrund des neu verabschiedeten Tabakgesetzes – auf praktisch Null gesunken. Es gebe mit ganz wenigen Ausnahmen gar keine Zigaretten-Deals mehr. 

Mehr Selbstausbeutung?

Es ist ein Dilemma. Denn das Kollektiv wolle weder den Rückgang des Alkoholkonsums noch das Tabakgesetz schlechtreden. Gleichzeitig erschweren diese gesellschaftlichen Entwicklungen die Quersubventionierung ihres Kulturorts. Es werde schwieriger, Kultur zu veranstalten.

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Mit dem neuen Programm finden im ehemaligen Kapitel bereits ab Dienstag Events statt. (Bild: Danielle Liniger)

«Das heisst, dass man ohne Unterstützung von Staat oder Stadt gar nicht mehr durchkommt», fasst Mahalia Haberthür zusammen. Kultur sei schon immer Selbstausbeutung gewesen, das verstärke sich nun. 

Denn mit den neuen Öffnungszeiten unter der Woche will das «Intra» ein Ort sein, «an den man einfach kommen kann». Aktivistische und Non-Profit-Organisationen sollen den Raum nach Absprache «kostendeckend bis gratis» zur Verfügung haben. 

Das Kollektiv ist  überzeugt, dass dieser Weg zielführend sei: «Wir bekommen vermehrt Anfragen für Kollaborationen», sagt Dragić Dubois. Solche Partnerschaften seien «finanziell meist uninteressant». Wichtiger sei aber, dass diese Partnerschaften widerspiegeln, wo der Verein hinwolle. 

Die erste Kollaboration mit der Hochschule der Künste Bern (HKB) beginnt bereits am Mittwoch: Vier Talks des Fachbereichs Gestaltung und Kunst (GK) finden im «Intra» statt. Später gibt es Veranstaltungen verschiedener Festivals, so etwa das Theaterfestival «Auawirleben». 

Der Club altert mit

Das Kollektiv verabschiedet sich vom Technoclub. Ob bei diesem Entscheid auch Wehmut mitschwingt? 

Nein, finden die fünf auf der Tanzfläche einstimmig. «Wir sind alle älter geworden. Es ist nicht mehr unser Bedürfnis, zwei bis drei Nächte pro Woche im Club zu sein», sagt Andrea Aebersold. 

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