Coaching – Anstoss statt Ansage
Die Arbeitswelt wandelt sich rasch, der Druck wächst. Viele Menschen suchen deshalb Hilfe bei Coaches. Die «Hauptstadt» hat mit zweien von ihnen in Bern gesprochen.
Ein Coach ist heute nicht mehr nur am Spielfeldrand zu finden. Kaum ein Bereich, der nicht durch einen Coach abgedeckt ist:
Führungskräfte-Coaching, «Lebenstraum»-Coaching, Achtsamkeits-Coaching, Beziehungscoaching. Der Wunsch, an sich selbst zu arbeiten, sich zu optimieren, ist allgegenwärtig. Und in einer Gesellschaft, in der Vereinzelung eine immer grössere und die Kirche eine immer kleinere Rolle spielt, suchen Menschen nach eine*m Gesprächspartner*in. Und landen häufig bei einem Coach.
Einer von ihnen ist Marco Zaugg. Er hat seinen Praxisraum in einer Altbauwohnung unweit des Viktoriaplatzes eingerichtet. Dort liegen Spielfiguren, Äste und Steine in einer Kiste auf dem Parkettboden. Vom Schreibtisch her grüsst ein Spielzeugaffe. Was an die Ausstattung einer Kita erinnert, dient Zaugg als Arbeitshilfe: «Ich kann so mit meinen Klienten Konstellationen nachstellen», sagt der 69-Jährige. Menschen könnten auf diese Weise häufig leichter einen Entscheid visualisieren oder Bilder, Gefühle und Gedanken in sich hervorrufen, so der Coach. Zaugg ist am Platz Bern einer der älteren und erfahreneren Coaches.
Und er sagt, dass er vom Coaching allein leben kann. Das ist bei vielen Menschen in der Branche nicht der Fall. Sie kombinieren ihr Angebot mit Auftritten auf Podien, als Mediator*innen oder dem Eventmanagement – um nur einige Beispiele zu nennen.
Beim Coach Coach geworden
Zaugg ist bereits seit den 1990er Jahren Coach und seine Laufbahn begann selbst mit einem Besuch bei einem Coach. Er war damals Jurist in der Bundesverwaltung, bald hätte der nächste Karriereschritt angestanden. «Ich wollte für mich wissen: Möchte ich wirklich Chef werden – oder etwas ganz anderes?»
Die Antwort in Kurzform: Raus aus der Verwaltung, rein in die Selbstständigkeit. Das war in dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit, denn der Coaching-Beruf war zwar bekannt, aber hierzulande noch nicht wirklich etabliert. Zaugg erinnert sich: «Zu einem Coach zu gehen, war damals etwas, worüber man selten öffentlich sprach». Er machte eine Coaching-Ausbildung in Wien, arbeitete zunächst Teilzeit in seinem alten Beruf weiter, und baute sein freiberufliches Netzwerk schrittweise aus.
Das war Ende der 1990er Jahre. In der Zwischenzeit ist die Branche gewachsen, hat sich in Teilen professionalisiert und zugleich stark verästelt.
Der Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (bso) zählt schweizweit 868 Mitglieder, die den Titel «Coach» tragen. Im Kanton Bern seien 150 bso-Mitglieder als Coaches aktiv, wie es auf Anfrage heisst. Der bso ist einer von mehreren Verbänden und Interessensgemeinschaften in der Welt des Coachings, ein übergeordneter Dachverband fehlt jedoch. Die Gesamtzahl der Coaches in der Schweiz zu beziffern, fällt deshalb schwer. Die «Swiss Coaching Association» wiederum hat hierzulande 350 Mitglieder. 75 seien davon in der Region Bern anzutreffen, schreibt die Vereinigung.
In der Schweiz, aber auch anderen Ländern Europas, ist «Coach» keine geschützte Berufsbezeichnung. Seit 2019 ist es zumindest möglich, einen eidgenössischen Fachausweis als «betriebliche*r Mentor*in» zu erwerben. Die ausgebildete Person soll in der Lage sein, Einzelpersonen bei beruflichen Veränderungs- und Entwicklungsprozessen zu begleiten – gerade Coaches, die Führungs- und Laufbahnberatungen anbieten, greifen darauf zurück. Eine entsprechende Ausbildung und Prüfungsvorbereitung kann bei verschiedenen Anbietern mehr als zehntausend Franken kosten, wobei die Hälfte der Kurskosten vom Bund subventioniert wird. Absolvierende von Kursen, die auf eine eidgenössische Prüfung vorbereiten, werden seit 2018 in dieser Form unterstützt, wie das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) schreibt.
In dem ohnehin schon unübersichtlichen Feld aus Coaching-Ausbildungsanbietern tummeln sich zudem noch die Fachhochschulen, die ihrerseits «Certificates of Advances Studies» kurz CAS im Coaching anbieten. Vielfältige Ausbildungswege und keine geschützte Berufsbezeichnung – was also sind Kriterien für ein seriöses Coaching?
Wie geht seriöses Coaching?
Der Berufsverband bso hält dazu fest, dass Klient*innen durch den Coach dazu befähigt werden sollen, eigene Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Eine glaubwürdige Beratung zeichne sich ausserdem dadurch aus, dass ein klares Ziel formuliert werde, auf das mit verschiedenen Methoden hingearbeitet werde. Weniger seriöse Anbieter treffen laut bso keine solchen Vereinbarungen, wodurch sie Klient*innen langfristig gebunden werden anstatt dass ihnen Schritt für Schritt weitergeholfen wird.
Zurück bei Coach Zaugg in Bern. Auch er sieht im Coaching eine Art Selbstermächtigung für seine Klient*innen. Er erklärt das mit folgendem Bild: «Coach» bedeute auf Englisch ja auch «Kutsche» und er gebe dieser einen Ruck, doch auf dem Kutschbock sitze er nicht.
Für Branchenexpert*innen besteht gutes Coaching darin, dass die Beratung klar von therapeutischen Angeboten abgegrenzt wird. Das unterstützt auch Zaugg. Ein Klient habe beispielsweise eine Persönlichkeitsstörung bei sich vermutet, die er untersuchen lassen wollte. «Da habe ich klar gesagt, er müsse dafür eine*n Psychiater*in aufsuchen.» Grundsätzlich fokussiere er sich mit seiner Beratung auf die Welt der Arbeit und die Gegenwart. Welche Muster aus Familienkonstellationen in der Vergangenheit stammten, stehe für ihn deshalb zuerst weniger im Vordergrund, so Zaugg. Trotzdem spielen Persönlichkeitsmuster, Einstellungen und Glaubensätze seiner Klient*innen im Gesamtbild eine grosse Rolle.
Im Austausch mit Zaugg wird deutlich: Er will seinen Klient*innen ein möglichst neutrales Terrain bieten, einen Rückzugsort von Druck und Stress.
Externe Hilfe häufiger erwünscht
Claudine Tesan ist ebenfalls Coach in Bern und blickt auf eine langjährige Erfahrung als HR-Verantwortliche zurück. Sie coacht nicht nur Einzelpersonen, sondern wird zum Beispiel von Unternehmen herbeigezogen, um Teams weiterzuentwickeln. Tesan sagt, dass es mittlerweile viele gute Coaches in der Region Bern gebe. Das sehe sie zum Beispiel an speziellen Anlässen, die Unternehmen eigens für Coaches organisieren, mit denen sie regelmässig zusammenarbeiten. Anders als Zaugg, der sich vorwiegend telefonisch mit Branchenkollegen austauscht, setzt Tesan in Bern auf eine Kleingruppe von Coaches. «Wir treffen uns regelmässig um unsere Arbeit in sogenannten ‚Intervisionen‘ zu reflektieren», so Tesan. Neben den Fallbesprechungen könne das Netzwerk auch dabei helfen, potentielle Klient*innen gezielt an den richtigen Coach zu vermitteln. Denn jeder Coach habe ein anderes Profil.
Für Tesan war die Corona-Pandemie eine Zäsur in ihrem Coaching-Beruf – und dies nicht nur bezogen auf die Kontaktbeschränkungen. Viele Menschen hätten sich intensiver mit ihrem eigenen Werdegang auseinandergesetzt und auch sie als Coach kontaktiert. Auch neue Fähigkeiten der Führung in Zeiten von Home Office hätten von einem auf den anderen Moment eine wichtige Rolle gespielt. Tesan hat sich vor zehn Jahren auf Führungscoaching spezialisiert.
Sie sieht in der sich stark wandelnden Arbeitswelt immer mehr Anknüpfungspunkte für Coaches. Grundsätzlich seien Führungskräfte heute offener dafür, externe Hilfe herbeizuziehen. Und in Unternehmen, die agile Führungsstrukturen eingeführt haben, werden Coachingfähigkeiten immer wichtiger. Das werde sich in den kommenden Jahren noch verstärken, prognostiziert die Bernerin.