Der Wunsch nach Veränderung

Vom 11. bis zum 15. Januar findet in Bern das 12. Norient Festival statt. Drei Kurzfilme aus unterschiedlichen Ecken der Welt widmen sich drei grundlegenden Themen und haben eines gemein: sie möchten Veränderung.

Illustration Kulturkritik
(Bild: Jörg Kühni)

«Wohin gehst du?», fragt eine jugendliche Stimme. «Nach Berlin», erwidert eine andere Stimme. Zwei Jungs, Brüder, wie sich herausstellt. Irgendwo in Litauen. Die Szene ist der Beginn des kurzen Spielfilms «Techno, Mama». Es ist der zweite Film von Regisseur Saulius Baradinskas, der damit auf häusliche Gewalt in Familien aufmerksam machen möchte. Es ist der erste von drei Kurzfilmen, die am Norient Festival in einem Block gezeigt werden.

Techno, Mama

Bereits während des Intros bemerkt man als Zuschauer*in die Spannung zwischen Sohn Nikita und seiner Mutter. Er unterstützt sie bei ihrem Job als Putzkraft und spart so Geld, um den berühmten Technoclub «Berghain» in Berlin zu besuchen. 

Nikita liebt Techno, liebt die Härte der Musik, spürt sie im ganzen Körper. Die Szenen im beinahe ekstasischen Tanzzustand dürften Techno-Liebhaber*innen bekannt vorkommen. Die Musik scheint ein Ventil zu sein, wenn die Mutter schreit und um sich schlägt. 

Der Film zeigt die Schwierigkeit zweier Generationen mit unterschiedlichen Wünschen, Träumen, Vorstellungen, die in der Enge aufeinandertreffen. Womöglich hat sich der litauische Filmemacher auch deshalb für das 1:1-Format entschieden. Also für einen Bildausschnitt als Quadrat und nicht wie gewohnt im Querformat. Noch stärker wird dadurch die Beklemmung, in der sich die Familie begegnet. 

Am Ende stellt Nikita seiner Mutter die Frage: «Why is it so hard for you to love?» 

Warum ist es so schwierig für dich zu lieben? Eine Frage, die Regisseur Baradinskas auch den Zuschauer*innen stellt: «Warum ist es so schwierig, sich gegenseitig zu lieben?» 

Trotz der mütterlichen Abneigung zeigt sich der junge Nikita versöhnlich und liebevoll mit seiner Mutter, wohl auf der Suche nach dem letzten bisschen Liebe von ihr. Eine aufrichtige Darstellung, wie häusliche Gewalt die Beziehung innerhalb einer Familie prägen kann. 

«Techno, Mama» ist ein berührender, mitreissender Kurzfilm, der vielfach ausgezeichnet wurde und mit seiner brisanten Thematik anspricht, was oft im Verborgenen bleibt. Ob in Litauen oder der Schweiz spielt dabei keine Rolle.

Isn't it a beautiful world

Ähnlich relevant ist die Thematik des zweiten Kurzfilms «Isn’t it a beautiful world» des queeren Filmemachers Joseph Wilsons. Darin präsentiert der Filmemacher die Geschichte von drei queeren Menschen in der heutigen Gesellschaft: Soroya, Harry & Kenya. Als Voice-Over bedient er sich des Gedichts «Falling, from the dreams» von Delia Derbyshire aus dem Jahr 1964. Die drei Hauptcharaktere bewegen ihre Lippen synchron dazu.

And I had the sensation that I was going to drown

And I would surface again and I would start to drown again

And I would surface again, come up again

Then I would go down into the water

Das Gedicht umschreibt die Gefühle von Einsamkeit und die möglichen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen innerhalb der LGBTQ+ Community. 

Als Zuschauer*in kommt man kaum mit, alle Bilder zu erfassen, fast zu schnell ist an manchen Stellen der Wechsel der Szenen. Hinzu kommt der beinahe kryptische Text von Delia Derbyshire, den man versucht in Kombination mit den experimentellen Bildern als eine Einheit zu verstehen – das ist nicht immer einfach. 

Doch vielleicht muss man das nicht zusammenbringen. Schliesslich könnten auch die Gefühle, die man nach dem Abspann spürt, genügen. Es sind Angst, Enge, Bestürztheit. Gegenüber der Einsamkeit einer Community, die man selbst nicht kennt und in die man nun einen kleinen Einblick erhalten hat. Zuletzt erscheint ein Regenbogen. Trotz dem scheinbar Unerträglichen lässt sich als Zuschauer*in erahnen, dass die Welt auch für gewisse marginalisierte Gruppen, die oft in Einsamkeit leben, «a beautiful world» sein kann.

I saw a cloud of spray ... rising high up into the air

and it was all colours like the rainbow

as if there was a light shining behind it.

Kwetu Kwanza

«Erinnerst du dich an die vergangenen schönen Tage der Natur? Das saftige Grün, die Möglichkeit, Luft ohne Verschmutzung einzuatmen?» Zwei junge Männer sitzen an einem Feuer im Wald. Einer fängt an zu tanzen. Der andere bringt mit dem Gesagten schnell auf den Punkt, um was es überhaupt geht: die Sorge um die Natur und die Umweltverschmutzung. 

Mit dem Tanzfilm «Kwetu Kwanza» zeigen zwei Tänzer aus Uganda ihren Umgang mit der Natur und wie eine nachhaltigere Lebensweise möglich wäre. Einer von beiden verkörpert die Natur selbst, der andere die Menschheit, unbeachtet, ohne grosses Interesse, ohne Kenntnis über die Verschmutzung, die vor ihr stattfindet.

Sie tanzen miteinander. Zunächst am Meer, PET-Flaschen in der Hand. Der eine stösst den anderen nach vorne, als möchte er ihn dazu bringen, endlich etwas zu tun. So ähnlich dürfte die Haltung vieler Menschen sein – auf der umstossenden wie auch auf der gestossenen Seite.

In der Einfachheit und Lockerheit liegt die Stärke des Films. Umweltverschmutzung ist ein schweres Thema, das manch einen zum Stöhnen bringt beim geringsten Gedanken daran. Dieser Film tanzt sich leicht hindurch, zeigt aber auch, was sich nicht verbergen lässt: grosse Abfallhaufen inmitten der einst blühenden Natur. Zuletzt schauen beide Darsteller aufs Wasser, die Sonne sinkt. Es ist allen klar, dass sich Dinge ändern müssen. Den Tänzern, wie auch dem Publikum.

Die drei Filme wurden unter dem Titel «Breaking Free: Sonic Changemakers» präsentiert. Die ersten beiden erzählen von einem Bedürfnis, auszubrechen. Ob aus einer prekären Lebenssituation wie Nikita bei sich zu Hause, oder aus ihrem einsamen Lebensalltag, wie bei den drei queeren Performer*innen. Alle drei Filme haben aber den Wunsch nach Veränderung gemein: der Wunsch nach einer anderen Gesellschaft, die oftmals häusliche Gewalt unter den Teppich kehrt, der LGBTQ+ Community den Rücken zuwendet und die Natur vernachlässigt. 

Musikfilmfestival

Das Norient Festival zeigt Filme und Musik aus aller Welt und geht bereits in die 12. Runde. Mit dem kuratierten Programm wollen die Organisator*innen den Fokus auf Produktion ausserhalb von Europa und den USA lenken. Neben den Filmvorführungen gibt es auch Diskussionen, Performances und Konzerte zu erleben. Heute und Morgen werden am Norient noch weitere Filme und Darbietungen gezeigt. Alle Infos dazu gibt es unter https://norient-festival.com/.

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