Deutsch-Bons für Deutschsprachige?
Die Stadt Bern verschenkt 600 Gutscheine für Deutschkurse. Das Online-Anmeldeformular ist aber nur auf Deutsch abrufbar. Was bringt das und wie funktioniert das System?
Wer in den letzten Monaten in der Stadt Bern unterwegs war, dem*der sind wahrscheinlich die Plakate aufgefallen: «Die Stadt Bern verschenkt 600 DeutschBons für Deutschkurse.» Die Plakate selbst sind nur auf Deutsch. Das Formular für die Anmeldung, das die Stadt auf ihrer Webseite aufgeschaltet hat, ebenso.
Wenn eine Person Deutsch lernen möchte, sollte sie also etwas Deutsch verstehen, damit sie von diesem Angebot profitieren kann.
Im Schwerpunkteplan Integration 2018 – 2021 formulierte die Stadt Bern als neues Ziel, ihre Bewohner*innen beim Deutschlernen finanziell zu unterstützen. Konkret hat sie 2019 das Pilotprojekt «DeutschBons» lanciert, in dem sie jährlich 600 Gutscheine für Deutschkurse verlost.
2021 wurde das Pilotprojekt in ein fixes Angebot der Stadt Bern für Menschen mit keinen bis wenig Deutschkenntnissen überführt. Die Nachfrage danach steigt. Es gebe immer mehr Anmeldungen pro Jahr – in diesem Jahr waren es rund 1’000 Anmeldungen –, sagt Projektleiter Samuel Posselt. «Es ist schade, können wir die Zahl der Gutscheine nicht ebenfalls erhöhen. Deshalb müssen wir die Gutscheine unter den Teilnehmenden verlosen», sagt er.
Der Vorteil der Bons liege darin, dass die Menschen damit einen Deutschkurs nach ihren Bedürfnissen auswählen können. Der Gutschein im Wert von 400 Franken sei in 12 Deutsch-Schulen in der Stadt Bern gültig und könne auch für Schweizerdeutsch-Kurse eingesetzt werden, sagt Posselt.
Kein Geld für Übersetzungen
Die Anmeldung auf der Webseite sei auf Deutsch, weil die Stadt keine finanziellen Ressourcen für Übersetzungen habe. «Ja, das mag auf den ersten Blick widersprüchlich sein. Es wäre wünschenswert, die Flyer und die Anmeldung in die wichtigsten Migrationssprachen zu übersetzen.», sagt Posselt. Der Text sei aber in einfacher Sprache geschrieben und könne von Übersetzungstools im Internet in gute Qualität übersetzt werden.
Posselt erreichten pro Jahr nur sehr wenige Nachrichten von Menschen, die Hilfe bei der Anmeldung brauchen. Somit sei anzunehmen, dass die Anmeldung, trotz fehlender Übersetzungen, sehr gut funktioniere.
Auch für Sans-Papiers
Auch die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers wirbt für die Deutsch-Bons. Sie darf von den 600 Bons der Stadt Bern 20 pro Jahr vergeben. Das tönt nach wenig. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass dies auch dem ungefähren Verhältnis in Bern entspricht: Schätzungsweise 3 Prozent der Migrant*innen sind Sans-Papiers. Oder von 33'912 Migrant*innen (Zählung im Jahr 2021) leben gemäss Vorstudie City Card Bern zwischen 600 bis 1’100 Sans-Papiers in der Stadt Bern.
Bei Sans-Papiers funktioniert die Anmeldung etwas anders. Sans-Papiers meiden grundsätzlich den Kontakt mit den Behörden aus Angst, dass sie weggewiesen werden. Sie können deshalb die unabhängige Beratungsstelle in Bern aufsuchen und sich im direkten Gespräch für einen Deutsch-Bon anmelden. «Das ist für Sans-Papiers niederschwelliger, da sie so keine Daten bei den Behörden hinterlegen müssen», sagt Karin Jenni von der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers.
Die Stadt stellt die Bons aus und übergibt sie der Beratungsstelle, welche diese dann verteilt.
Auch bei Sans-Papiers ist die Nachfrage grösser als das Angebot. Etwa doppelt so viele Anmeldungen wie Bons erhält die Beratungsstelle nach eigenen Angaben pro Jahr. Und auch hier entscheidet letztendlich das Los.
Mehr Nachfrage als Angebot
Die Gutscheine sind 10 Monate gültig. Zirka 75 Prozent davon werden eingelöst. «Die Menschen haben oft nachvollziehbare Gründe, wenn sie die Gutscheine nicht einlösen», sagt Posselt. Zum Beispiel aufgrund eines Umzugs oder einer neuen Arbeitsstelle. Deshalb dürfen sich die Menschen auch wieder neu anmelden. Sie rutschen jedoch in der Priorität nach unten.
Ein Ausbau des Angebots sei aufgrund der angespannten Finanzlage leider nicht möglich. «Auf dem Arbeitsmarkt haben es Menschen ohne Deutschkenntnisse schwer. Investitionen in den Spracherwerb von Migrant*innen sind Investitionen in deren Selbstständigkeit », sagt Posselt.
Hinweis: Heute Abend, 19.30 Uhr findet der zweite «Hauptsachen»-Talk in der Aula im PROGR statt. Das Thema: Braucht und will Bern einen Ausweis für alle Städter*innen?