Die Klimakrise macht nicht an den Landesgrenzen Halt

Am Montag machten Aktivist*innen in Bern auf die Verknüpfung von Klima- und Migrationspolitk aufmerksam. Ein Augenschein an den drei Aktionsplätzen.

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Die Polizei nahm die Personalien der Aktivist*innen auf, entliess sie aber bald wieder in die Freiheit. (Bild: Manuel Lopez)

Kurz vor 6 Uhr morgens gibt es am Montag am Haupteingang des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) kein Durchkommen. Zwei Aktivist*innen haben sich an einem Dreibein in vier Metern Höhe befestigt und planen nicht, freiwillig wieder herunterzukommen. Darunter ist der Durchgang mit Stacheldraht und Absperrband versperrt. Einige Tafeln warnen vor der «Festung Europa». Am Boden leuchten gelbe Graffiti: «Klimaschutz = Fluchtgrund» oder «Klimagerechtigkeit = Bewegungsfreiheit».

«Ihr seid hier am falschen Ort», nervt sich ein BAZG-Angestellter, bevor er sich zwischen dem Stacheldraht einen Weg zum Eingang sucht. «Geht doch besser beim Bundeshaus demonstrieren.»

Die Aktivist*innen des Kollektivs «Break Down Climate Walls» sehen das anders. Als institutionelle Schnittstelle zur europäischen Grenzschutzagentur Frontex sei das BAZG mitverantwortlich für «Gewalt, Elend und Tod an den europäischen Aussengrenzen», erklären sie.

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Zwei Aktivist*innen haben sich vor dem BAZG-Gebäude auf Dreibeinen befestigt, darunter liegt Stacheldraht. (Bild: Manuel Lopez)

Rechtzeitig zum Auftakt der 27. Klimakonferenz in Ägypten wollte das Kollektiv mit mehreren direkten Aktionen auf das Missverhältnis zwischen Klimaverantwortung und Abschottungspolitik aufmerksam machen. Während die Schweiz 450 Millionen Franken pro Jahr für den Grenzschutz ausgibt, fliessen nur 209 Millionen Franken in Klimaschutzprojekte. Damit ist die Schweiz keine Ausnahme: International investieren Länder im Schnitt fast zweieinhalb Mal so viel in den Grenzschutz wie in den Klimaschutz, wie ein Bericht des «Transnational Institute» vom Oktober 2021 nachweist.

Frontex ist den Aktivist*innen dabei ein besonderer Dorn im Auge. Seitdem das Referendum gegen die Beteiligung an der Finanzierung im Mai an der Urne gescheitert ist, unterstützt die Schweiz die Grenzschutzagentur bis 2027 mit jährlich 61 Millionen Franken. «Der Kampf gegen Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut flüchten, ist Europa mehr Wert, als der Kampf gegen die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen», schreibt «Break Down Climate Walls» entsprechend in einer Mitteilung.

Nach etwa 20 Minuten entfernen eingerückte Kantonspolizisten den Stacheldraht. Angestellte bekommen von den Aktivist*innen Flyer in die Hand gedrückt, während einige die Protestaktion aus dem Bürofenstern beobachten. Zwei Stunden später fährt ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr vor und die beiden Aktivist*innen werden mit einer automatischen Drehleiter aus ihren Konstruktionen geholt und der Polizei übergeben – wo ihre Personalien aufgenommen und sie kurze Zeit später wieder freigelassen werden.

In die Flucht getrieben

Ebenso gesittet geht es dann einige Stunden später an der Seilerstrasse 4 zu und her. Dort unterhält der israelische Rüstungskonzern Elbit Systems eine Schweizer Niederlassung. Um 11 Uhr seilten sich zwei Aktivist*innen von der Dachterrasse bis zum dritten Stock ab, um ein oranges Transparent mit der Aufschrift «Hier profitiert Rüstungskonzern Elbit von Abschottung & Klimazerstörung» auszurollen.

Der Grund: Die Schweiz kaufte bei Elbit Systems jüngst für 300 Millionen Franken sechs Hermes-900-Drohnen. Mit diesen 17 Meter breiten und 9 Meter langen unbemannten Flugzeugen lässt sich die Schweizer Grenze rund um die Uhr aus der Luft überwachen. Andere Hermes-900-Drohnen waren bis zu einem Absturz auf Kreta Anfang 2020 auch für Frontex und die EU im Einsatz.

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Die Feuerwehr holt die Aktivist*innen von den Dreibeinen runter. (Bild: Manuel Lopez)

Ein grosser Teil der Millionen, welche jährlich in den Grenzschutz investiert werden, fliesst direkt an Rüstungskonzerne wie Elbit Systems oder die deutsche Rheinmetall. Sie stellen nebst Drohnen auch weitere ausgefeilte Überwachungstechnologien her, mit denen Grenzschutzbehörden zum Beispiel im Mittelmeergebiet Flüchtende aufspüren und aus der EU zu drängen. Diese illegalen «Pushbacks» wurden von Frontex finanziert und vertuscht, wie der geheime «OLAF-Bericht» zeigt.

Dabei dürften in Zukunft noch mehr Menschen den Weg nach Europa suchen. Dass die Klimakrise viele in die Flucht treibt, ist international bekannt: In Ostafrika verursachen jahrelange Dürren und Krieg Hunger, in Südafrika und Pakistan überfluteten Extremniederschläge ganze Landstriche. Und auch die Länder am Mittelmeer gehören zu den empfindlichsten Regionen der Welt, wenn Temperatur und Meeresspiegel weiter ansteigen.

So kritisieren die Aktivist*innen des Kollektivs, dass Europa als Antwort auf diese Entwicklung nicht mit aller Vehemenz die Klimaerhitzung bekämpfe und Verantwortung übernehme, sondern die eigenen Grenzen weiter militarisiere und abschotte. «Die Folgen der Klimarkrise sind Jahr für Jahr stärker spürbar. Gleichzeitig militarisiert Europa ihre Grenzen, baut Mauern, schottet sich ab. Davon profitiert die Rüstungsindustrie und die Situation der Geflüchteten verschlimmert sich massiv», sagt Lisanne Dichter vom Kollektiv.

Eine halbe Stunde später – die Bilder sind geschossen, die Videos im Kasten – wird das Transparent wieder aufgerollt und zusammengepackt. Just in diesem Moment trifft die Polizei doch noch ein und nimmt die Personalien der Aktivist*innen auf.

Historische Verantwortung übernehmen

Dass weder das BAZG noch Elbit Systems die volle Verantwortung tragen, ist auch dem Kollektiv bewusst. So geht es zum Abschluss des Aktionstags doch noch zum Bundeshaus. Diesmal seilen sich vier Aktivist*innen von der Bundesterrasse ab und bringen ein dreissig Meter breites Transparent an: «Klimakrise bekämpfen statt Migration».

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Die dritte Aktion des Tages fand am Bundeshaus statt: «Klimakrise bekämpfen statt Migration», steht auf dem Transparent. (Bild: Manuel Lopez)

Damit soll die politische und finanzielle Verantwortung reicher Staaten wie der Schweiz hervorgehoben werden. Diese haben überproportional viel zur Klimaerhitzung beigetragen, während ärmere Staaten überproportional stark unter den Folgen leiden. Gemessen an der historischen Verantwortung für die Klimaerhitzung sowie den finanziellen Möglichkeiten, müsste die Schweiz eigentlich viel mehr unternehmen. Das zeigen Berechnungen, welche das internationale Forschungsinstitut «Stockholm Environment Institute» im Rahmen des «Climate Equity Reference Project» durchgeführt hat.

Diese Ungerechtigkeit ist eigentlich auch ein Thema an der 27. Klimakonferenz in Scharm asch-Schaich, wo unter anderem die Finanzierung von Ausgleichszahlungen für Klimafolgeschäden in besonders betroffenen Ländern diskutiert werden soll.

Die Aktivist*innen von «Break Down Climate Walls» erhoffen sich von diesen Diskussionen jedoch nicht allzu viel – finden sie doch unter der Obhut eines Militärregimes statt, in dem Aktivist*innen gefoltert und ermordet wurden und es rund 60000 politische Gefangene gibt.

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Diskussion

Unsere Etikette
Simon Lieberherr
08. November 2022 um 21:41

man kann es nicht oft genug sagen, aber: Es muss sich gewaltig was ändern, damit es halbwegs so bleibt wie es ist.

Wählen, protestieren, bewusst konsumieren, das sind für die meisten von uns die möglichen Optionen, oder?

Steven Götz
08. November 2022 um 10:23

Ich bin allen AktivistInnen sehr dankbar für ihr engagement! Wir können uns nicht, wie immer, durchmogeln. Es braucht konkrete Handlungen, um den Klimawandel und die Ungerechtigkeit auf der Welt zu bremsen. Die Themen sind verknüpft. Das heisst wir müssen unseren Lebensstil ändern und das kann durchaus auch lustvoll sein.

Michel Savary
08. November 2022 um 06:23

Die Klimaveränderung wird noch ganz andere Diensionen der Völkerwanderung hervorrufen. Jeder Mensch möchte ein würdiges Leben führen können. Wenn die nahe Umwelt dies nicht mehr zulässt, sucht wohl jeder Möglichkeiten um besser leben zu können. Deshalb an das Kollektiv: "Weiter so, bravo". Und an die Politik: "Handeln, und zwar JETZT!"