Erdbeeren isst sie jetzt nicht
Nora Komposch forscht als Geografin an der Uni Bern. Sie beschäftigt sich mit dem Erdbeeranbau in Andalusien – und versucht, mit ihrer Forschung auch in Bern etwas zu bewirken.
Nora Komposch hat ihr Büro mit Erdbeeren dekoriert: An der Wand hängt ein Erdbeer-Gemälde, am Fenstergriff baumelt ein Erdbeerschwamm und im Gestell sind zwei Erdbeeren aus Keramik zu finden. Nur echte Erdbeeren gibt es hier nirgends. Denn die kauft Nora Komposch jetzt, im März, nicht.
Schliesslich kommen die meisten davon aus Spanien, oft aus dem andalusischen Huelva. Es ist der Ort, über den Nora Komposch in den letzten Jahren viel geforscht hat.
Im Januar ist die aktuelle Studie der 30-jährigen Geografin erschienen. Darin beschäftigt sie sich mit den marokkanischen Erdbeerernterinnen in Huelva. Laut einem Abkommen zwischen Spanien und Marokko sind es Mütter, die während der Saison von Januar bis Juni Erdbeeren pflücken. Der offizielle Grund dafür: Spanien wolle Familien unterstützen und jenen einen Job geben, die ihn am meisten nötig hätten. Der Nebeneffekt, der auch gar nicht verschwiegen wird: Wenn Mütter von kleinen Kindern rekrutiert werden, kann permanente Migration verhindert werden. Denn die Mütter wollen am Ende der Saison wieder zurück zu ihren Kindern.
Alles hängt zusammen
Nora Komposch hat viel Zeit in Huelva verbracht, sie hat die marokkanischen Arbeiterinnen auch in ihrer Heimat besucht. Zuerst ging es ihr vor allem um den sozialen Aspekt. Es beschäftigten sie Fragen wie: Haben die Frauen in Spanien Zugang zum Gesundheitssystem? Welche Arbeitsbedingungen finden sie vor? Doch ziemlich schnell hat sie gemerkt: «Es hängt alles zusammen.»
Die Erdbeerfelder von Andalusien können in letzter Zeit nicht mehr gut bewässert werden, denn die Wasserreserven für die intensive Bewässerung der Beeren wurden aufgebraucht. Es ist trockener und heisser – was dazu führt, dass es eine weniger grosse Ernte gibt.
Darunter leiden letztendlich wieder die marokkanischen Pflückerinnen, die weniger oder gar nicht arbeiten können. «Eigentlich wollte ich gar nicht zum Klimawandel forschen, aber der Einfluss der globalen Erwärmung auf die Lebensrealitäten der Arbeiterinnen ist so stark», sagt Komposch. Vor allem auch in der Heimat der Arbeiterinnen, wo die Wasserknappheit schon nur in den letzten zwei Jahren extrem zugenommen habe, so dass sich für die Menschen existentielle Fragen stellen.
Komposch sitzt in ihrem kleinen Büro im dritten Stock des Geographischen Instituts der Uni Bern. Im gleichen Gang weiter hinten ist die Cafeteria der Abteilung. Cappuccino aus der Maschine gibt es dort seit Kurzem standardmässig mit Hafermilch. Wer Kuhmilch will, muss sie aus dem separaten Kühlschrank holen. Eine Klima-Arbeitsgruppe des Instituts hat diese Änderung eingeführt. Komposch ist auch in der Gruppe dabei. «Das ist natürlich nur ein kleiner Beitrag, aber dort fängt es an», sagt sie.
Durch ihre Forschung hat Nora Komposch gemerkt: Man kann auf allen Ebenen ansetzen, um etwas zu verändern. Im ganz individuellen Handeln, aber auch beim Grossen. Auch am Wirtschaftssystem müsse sich etwas ändern, ist Nora Komposch überzeugt. An der Uni sieht sie für sich den richtigen Ort, die Veränderungen anzugehen: «Forschungsarbeit ist wichtig, um Zusammenhänge aufzuzeigen und in der Gesellschaft ein Bewusstsein zu schaffen», sagt sie.
Denn bei ihr hängt alles mit allem zusammen. Die spanischen Erdbeeren, die hier in den Supermärkten verkauft werden, und mit denen die schlechten Arbeitsbedingungen der marokkanischen Arbeiterinnen und die gleichzeitige Umweltausbeutung in Kauf genommen werden: «Wenn etwas ändern soll, liegt es in der Verantwortung von uns allen», sagt sie. Auch wenn es dabei natürlich Widersprüche gebe: Denn wenn die Erdbeeren nicht mehr gekauft werden, verlieren auch die Arbeiterinnen ihren Job.
Versteht sich Komposch als Aktivistin? «Angestellt bin ich als Forscherin, aber daneben verstehe mich auch als Aktivistin», sagt sie. Aus einer mitfühlenden Haltung heraus über die Situation der marokkanischen Arbeiterinnen zu forschen, ohne dabei den Drang zu verspüren, etwas zu einem sozialen Wandel beizutragen, sei für sie unvorstellbar.
Eine Ausstellung und ein Film
Ungerechtigkeiten haben Nora Komposch, die in einem Dorf neben Frauenfeld aufgewachsen ist, schon früh beschäftigt. Als 19-Jährige schrieb sie einen Leserinnenbrief in der lokalen Zeitung, in dem sie sich für den Erhalt eines Kulturlokals als Treffpunkt einsetzte. Später wurde sie Sekretärin der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Die GSoA sei für sie immer noch prägend. «Es ist für mich schwierig, in einer Welt zu leben, in der so viele Ungerechtigkeiten passieren», sagt Komposch. «Ich habe ein privilegiertes Leben, was mir viele Möglichkeiten gibt, mich für etwas mehr Gerechtigkeit einzusetzen.»
Nora Komposch überlegt sich immer wieder, wie sie ihre Forschung in die Gesellschaft tragen und damit etwas bewirken kann. Am Geographischen Institut gibt es das mLab. Ein wichtiges Ziel von diesem: Forschung auch für nicht akademische Kreise zugänglich zu machen. Für eine frühere Studie über Pestizidrückstände in den Körpern von Erdbeerpflückerinnen hat Nora Komposch beispielsweise mit einer Künstlerin zusammengearbeitet und eine Ausstellung gemacht. Über ihre jetzige Forschungsarbeit gibt es einen Dokumentarfilm, der im Oktober bereits in Spanien und nun Ende Monat im Kino in der Reitschule gezeigt wird (siehe Hinweis am Schluss des Texts).
Auch Medienarbeit ist für sie eine Möglichkeit, dass mehr Menschen über die Zusammenhänge der spanischen Erdbeeren in den Supermärkten mit Klima- und Sozialpolitik erfahren. Gleichzeitig sei auch die akademische Welt, in der Arbeiten meist auf Englisch verfasst werden, wichtig: So könne man sich vernetzen und an anderen Universitäten an diesen Themen weiter geforscht werden.
Gemeinschaftsladen mitgegründet
Forschung und Aktivismus gehen Hand in Hand, befruchten sich gegenseitig. So hat Komposch zum Beispiel während der Pandemie auch die Berner Food-Kooperative Güter mitgegründet. Güter ist ein Gemeinschaftsladen, bei dem man im Kollektiv bestimmt, bei welchen Produzent*innen die Waren eingekauft werden. Man muss sich also damit auseinandersetzen, wie, wo und von wem etwas produziert wurde.
Und auch soziale Fragen spielen beim Projekt Güter eine Rolle: «Nicht alle können sich regional und biologisch produzierte Lebensmittel leisten», sagt Komposch. Deshalb gibt es einen Solidaritätsfonds, in den einzahlen kann, wer genügend Geld dafür hat. Der Betrag wird anschliessend auf diejenigen aufgeteilt, die bestimmte Kriterien erfüllen. Der ganze Prozess laufe anonym, niemand wisse, wer mehr Geld zahle und wer weniger, sagt Komposch.
Gerne würde sie sich in ihrer Forschung weiterhin mit der Situation der Erdbeerfelder in Huelva beschäftigen: «Huelva ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Klimawandel konkret einen Einfluss haben kann und wie er auch einen Zusammenhang mit sozialen Fragen hat.» Dabei würde Komposch zum Beispiel gerne untersuchen, wie soziale Bewegungen und andere Akteure entlang der Lebensmittelversorgungsketten auf die sich zuspitzenden ökologischen und sozialen Herausforderungen reagieren und zu einer Transformation der momentanen Verhältnisse beitragen.
Erdbeeren isst Nora Komposch übrigens gern. Aber erst dann, wenn sie hierzulande reif sind.
Der Film «The Invisible. Modern Slavery in Europe» wird am Mi, 27. März, 19 Uhr, im Kino in der Reitschule gezeigt. Anschliessend gibt es eine Diskussion mit Komposch, Filmregisseur Sven Ruefer, Soziologin Sarah Schilliger und Humangeograph Noah Ramos.
Auf der Website kann der Film auch gestreamt werden: https://dieunsichtbaren.ch/de/home/
Vom 4. bis zum 8. März gastierte die «Hauptstadt» an der Universität Bern. Die Redaktion verlegte ihren Standort für eine Woche ins Hauptgebäude und tauchte ins Uni-Leben ein.
Im Fokus steht die Universität nicht nur als Ort der Wissenschaft. Sondern als vielfältiger, dynamischer gesellschaftlicher Lebensraum in der Länggasse. Wir fragen auch: Wie muss man sich ein Student*innenleben – jenseits der Vorurteile – vorstellen? Und wie kommen Studierende in der Länggasse gastronomisch über die Runden?
Hier geht es zum thematischen Schwerpunkt.