Bedrohter Märchenprinz

Ein Kuss sei nicht zu empfehlen, ein langer Blick in die Augen schon, schreibt unsere Wildtier-Kolumnistin. Von welchem Tier sie da wohl spricht?

Illustration Tierkolumne
(Bild: Natalie Neff)

Mit ihrer warzigen Haut entspricht die Erdkröte nicht dem gängigen Schönheitsideal. Und doch geht von dem Tier eine eigentümliche Faszination aus. In Märchen und Sagen taucht die Kröte auf, mal als Hexentier, mal als verwunschener Mensch, der nur durch einen Kuss erlöst werden kann. Wer weiss, ob der Froschkönig nicht in Tat und Wahrheit eigentlich ein Erdkrötenmännchen ist? 

Frosch, Unke oder Kröte – früher warf man das artmässig gerne in einen Topf und braute daraus gleich ein Hexenelixier oder nutzte die Amphibienhaut als Medizin bei Gicht. 

Wer sich jedoch auf Augenhöhe mit der Erdkröte begibt, ändert alsbald die Meinung über das vermeintlich hässliche Tier, denn es hat bildschöne Augen. Die Iris leuchtet orange bis kupferfarben und man könnte sich in der Tat darin verlieren wie in einem tiefen Brunnen.

Küssen verboten, Fressen mit Vorsicht

Doch Küssen lohnt sich trotzdem nicht. Die Hautdrüsen produzieren ein Sekret, das Bufotoxine enthält. Was giftig tönt, ist es auch. Werden Bufotoxine eingenommen, kann das bei Säugetieren zu Herzrhythmusstörungen, Atemnot, Kreislaufproblemen und Durchfall führen. Allerdings reicht das Gift einer einzelnen Erdkröte für eine starke Reaktion beim Menschen nicht aus, dazu ist die Menge definitiv zu gering.

Andere Krötenarten, wie beispielsweise die berüchtigte Aga-Kröte aus Südamerika, sind da viel potenter. Das Gift wird zur Abwehr von Fressfeinden eingesetzt, aber auch zum Schutz der Haut, denn Kröten sind meistens an Land anzutreffen. 

Derart ausgerüstet ist mit der Erdkröte nicht zu spassen. Für einheimische Raubtiere und Vögel, die sie trotzdem verspeisen wollen, gilt: Erst häuten, dann fressen. Diese Vorsicht bringen Haushunde nicht auf und landen daher nach dem Verzehr einer Erdkröte notfallmässig beim Tierarzt.

Wanderung mit Irrtümern

Der möglicherweise jetzt unmittelbar folgende Ruf von Hundehalter*innen nach einer Dezimierung von Erdkröten zum Schutz von Haushunden ist deswegen jedoch nicht gerechtfertigt. Die eigentlich weit verbreitete Art hat in den vergangenen Jahrzehnten schweizweit Bestandeseinbrüche erlitten und wird heute auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten als «verletzlich» aufgeführt. 

In den nächsten Tagen und Wochen machen wir es der Erdkröte mit unserem Mobilitätswahn wieder sehr schwer. Sobald die Temperatur in der Nacht einige Grad über dem Gefrierpunkt liegt und es geregnet hat, zieht es die Erdkröten zu ihren Laichgebieten. Sie wandern nachts los, von ihren Überwinterungsplätzen in Wald, Siedlung oder Landwirtschaft, zu «ihren» Gewässern. 

Helle Aufregung herrscht bei den Männchen alleine schon auf dem Weg dorthin: Sie klammern sich an alles, was auch nur entfernt nach einem Weibchen aussieht. Dabei erwischen sie auch mal andere Männchen, das Bein eines Fuchses oder, im Teich angekommen, einen Fisch anstelle eines Krötenweibchens. 

Ein glückliches Männchen, das einem Weibchen der eigenen Art bereits unterwegs begegnet, klettert umgehend auf den Rücken der Erwählten, die nun mit dem Männchen im Huckepack weiterwandern muss. Kaum im Teich angekommen, wird in dieser Position auch gelaicht.

Erdkröten produzieren sogenannte Laichschnüre, im Gegensatz zu Fröschen, die Laichballen produzieren. Nach der Eiablage wandert das Weibchen - zack! zack! - stramm zurück in den Sommerlebensraum. Die Erdkrötenmännchen sind weniger pressiert. Sie bleiben etwas länger, um mit Rufen die allein bis zum Teich gereisten Damen zu bezirzen. Doch auch die Männchen treten bald den Rückweg an. 

Die Strasse als Todesfalle

Die Wanderstrecke kann dabei bis zu einem Kilometer betragen; dazu müssen die Tiere hierzulande meist Strassen überqueren. Doch dort lauert der Tod – und das nicht nur fürs einzelne Individuum: Der Strassenverkehr kann lokale Erdkrötenbestände stark dezimieren oder gar auslöschen. Eine Studie zeigt, dass bereits auf Strassen, die von wenigen Fahrzeugen pro Stunde befahren werden, bis zu 30 Prozent der wandernden Erdkröten überrollt werden. 

Eine weitere Todesfalle sind Entwässerungsschächte und Dolen. Erdkröten, aber auch Bergmolche und andere Amphibien, die Strassen überqueren, wandern oft dieser Strasse entlang – sei es, weil die Richtung stimmt und es einfacher ist, auf der Strasse zu wandern oder sei es, weil das Trottoir nicht erklettert werden kann. So werden sie richtiggehend auf diese Löcher im Boden hingeleitet, aus denen sie aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden und darin verenden. Auch Lüftungsschächte bei Gebäuden, die nicht mit Gitter geschützt sind und keinen Ausstieg für Amphibien aufweisen, sind Todesfallen. Die Erdkröte verschwindet damit buchstäblich vom Erdboden. Heute ist die Erdkröte geschützt und wir sollten möglichst viel dafür tun, dass sie weiterhin weit verbreitet bleibt.

Zur Person

Die Bernerin Irene Weinberger ist als Biologin spezialisiert auf einheimische Wildtiere und das Konfliktmanagement zwischen Natur und Mensch.

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