«Die Lücke kann man schwer füllen»
Ein vierzehntes Monatsgehalt oder vier Wochen zusätzliche Ferien. Die Berner Autogarage Marag geht bei der Suche nach Fachkräften aufs Ganze. Geht die Rechnung auf?
Ein Früchtekorb, ein Fitnessabo oder der Zuschuss zum Halbtax-Abo – viele Schweizer*innen kennen diese Zuwendungen von ihren Arbeitgeber*innen. Eine Autogarage an der Seftigenstrasse in Wabern stösst jetzt in andere Dimensionen vor: Auf einem Schild wirbt sie mit einem vierzehnten Monatslohn oder vier Wochen mehr Ferien um potentielle Job-Kandidat*innen. Gesucht werden Mechatroniker*innen und Carosserielackerier*innen.
Sara Marti sitzt an ihrem Schreibtisch der Autogarage Marag am Zweigsitz in Toffen. Die Geschäftsleiterin blickt auf die Arbeitspläne: Ein Werkstattchef sei gerade pensioniert worden, der andere stehe kurz vor der Rente. Nach 40 Jahren im Unternehmen. «Da geht grosses Wissen verloren», sagt die 40-Jährige.
Langfristige Bindung wichtig
Sie führt zusammen mit ihrem Mann den Betrieb mit 17 Angestellten. Spengler*innen, Automobilfachleute, Mechatroniker*innen und Lackierer*innen gehören zu ihrem Team. Den Mangel an Fachkräften bekomme auch sie zu spüren, sagt Marti. Immer weniger Leute wollen in der Werkstatt arbeiten. Und viele gut ausgebildete Mechaniker kehren der Automobilbranche den Rücken und suchen ihr Glück beispielsweise im Aussendienst von Grossunternehmen.
Dem versucht Marti nun etwas entgegenzusetzen. Um gute Leute zu finden und sie langfristig zu binden, hat sie per 1. Januar 2024 ein «Bonus-Programm» eingeführt. Alle fest angestellten Mitarbeitenden bekommen einen vierzehnten Monatslohn oder vier Wochen zusätzliche Ferien.
Laut dem Schweizerischen Arbeitgeberverband sind aktuell schweizweit rund 120‘000 Stellen unbesetzt. Diese Entwicklung werde sich noch verschärfen: Eine Million Babyboomer gehen in Pension. Weil geburtenschwache Jahrgänge nachrücken, sollen in der Schweiz bis 2030 eine halbe Million Arbeitskräfte und bis 2050 sogar rund 1,3 Millionen Erwerbstätige fehlen. Beim Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) heisst es auf Anfrage, dass auch in der Branche zahlreiche Fachkräfte fehlen. Zugleich sei das Interesse von Jugendlichen, einen Autoberuf zu lernen, immer noch gross. Jährlich beginnen gemäss dem Verband 3000 Schüler*innen eine Lehre im Automobilgewerbe.
Das Anreizprogramm sei ohne Befristung eingeführt worden und an keine zusätzlichen Bedingungen gekoppelt, so Marti. Der Betrieb stehe auf wirtschaftlich gesunden Beinen, weshalb er die Mehrausgaben stemmen könne. Die Geschäftsleiterin will den genauen Betrag nicht beziffern, fest steht aber, dass die Massnahme Folgekosten verursacht: Schon nur damit alle bestehenden Angestellten in den Genuss von zusätzlichen Ferien kommen können, müssen zusätzlich neue Leute angestellt werden. Und das, obwohl ein Grossteil der Belegschaft aktuell nicht die komplette zusätzliche Ferienzeit bezieht, sondern sich für das «Halb-Halb»-Modell entschieden hat. Sprich: Sie bekommen einen halben zusätzlichen Monatslohn und zwei Wochen mehr Ferien. Die jeweilige Aufteilung können die Angestellten von Jahr zu Jahr wechseln.
Die Autogarage wirbt nicht nur auf Jobportalen im Internet, sondern auch auf grossen Bannern an ihren Standorten für das Programm. Und das scheint zu fruchten: In der Werkstatt und der Carosserielackierung hätten in diesem Jahr bereits zwei neue Leute angestellt werden können, so Marti: «Gerade heute sind wieder Bewerbungen eingetroffen». Der Markt für gute Mechaniker*innen sei so umkämpft, dass sich manche Kandidat*innen aber auch nur darum in einem Betrieb vorstellten, um dann beim aktuellen Arbeitgeber mehr Lohn fordern zu können.
Macht das Beispiel Schule?
Sara Marti sieht sich selbst in einer Vorreiterrolle. Andere Autogaragen hätten ihre Initiative als «mutig» bezeichnet, so Marti. Und ihr gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass sie keine ähnlichen Angebote unterbreiten könnten. Dies im Bewusstsein der Gefahr, dass sie Angestellte ziehen lassen müssen.
Eine, die vom Programm der Marag Garage aktuell profitiert, ist Carmen Balmer. Sie arbeitet seit 35 Jahren im Betrieb und leitet die Lackiererei. Sie hat sich für die zusätzlichen Ferien entschieden und ist dieses Jahr mit ihrer Schwester für drei Wochen nach Amerika gereist. Die langen Sommerferien müssen dafür trotzdem nicht ins Wasser fallen. Balmer hat die Initiative auch als «Dankeschön» wahrgenommen, weil sie in ihrer Abteilung vorher häufig unterbesetzt gewesen seien und sich viel aushelfen mussten. Das ändere sich jetzt hoffentlich schrittweise, sagt die Lackiererin, die auch als Prüfungsexpertin für Lehrabschlussprüfungen fungiert.
Die Einstellung vieler Arbeitnehmender habe sich in ihrer Laufbahn geändert. Die neue Generation wolle mehr Freizeit, schlicht mehr vom Leben. Das sei anders als noch vor 20 Jahren. Trotz aller Zückerchen, Anreize und Incentives ist sich Balmer sicher: «Am Wichtigsten ist immer noch, dass der Job auch wirklich Spass macht.»