Grünliberale und SVP auf einer Liste

Geht es nach den Parteileitungen, kommt für die städtischen Gemeinderatswahlen im November eine grosse Liste von Grünliberalen bis SVP zustande. Das würde wohl das Ende der 4:1-Mehrheit von Rot-Grün-Mitte bedeuten.

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(Bild: Silja Elsener)

Die rot-grün dominierte Berner Stadtregierung wird oft dafür kritisiert, wie langsam ihre grossen Bauprojekte – Viererfeld, Gaswerkareal – vorankommen. Dasselbe könnte man für die Bauarbeiten an der bürgerlichen Politik in der Stadt Bern behaupten. 1992 verloren die Bürgerlichen die Regierungsmehrheit an die Linke, weil diese erstmals mit der breiten Rot-Grün-Mitte-Liste antrat, die damals vom Grünen Bündnis bis zur EVP reichte.

Seither konstruierten die Bürgerlichen nie eine Bündnispolitik, die in eine vom Stadtberner Wahlsystem begünstigte, gemeinsame Gemeinderatsliste von Rechts bis in die Mitte gemündet hätte. Im Gegenteil: Mitte-Rechts zersplitterte sich mit der Zeit so stark, dass seit 2017 mit Reto Nause (die Mitte) nur noch ein Bürgerlicher neben vier Linken in der Regierung sitzt.

Nach 32 Jahren soll sich das nun ändern. Am Montag haben die fünf Parteien GLP, Mitte, EVP, FDP und SVP bekanntgegeben, dass sie an den städtischen Wahlen vom 24. November 2024 mit einer gemeinsamen Gemeinderatsliste antreten wollen. Das wäre neu für Bern.

Jede der fünf Parteien wird eine*n Regierungskandidat*in stellen. Das jedenfalls ist der Plan der Parteileitungen. Die Mitgliederversammlungen der fünf Parteien müssen das in den nächsten Wochen noch absegnen. Das wird nicht bei allen durch Butter gehen. Vor allem bei der GLP kündigen sich heftige Diskussionen an. 

Rechnen und Überzeugen

Es habe «viel Überzeugungs- und Rechenarbeit gebraucht, bis wir alle an diesen Punkt gekommen sind», sagt Laura Curau, Präsidentin der Mitte Stadt Bern, zur Entstehung von «Gemeinsam für Bern». Aussenstehenden könne man es nur schwer vermitteln: Aber das spezielle Wahlsystem in der Stadt Bern sei halt einfach so, dass es breite Koalitionen begünstige – so sehr, dass Rot-Grün-Mitte mit einem Wähler*innenanteil von 60 Prozent heute 80 Prozent der Regierungssitze besetzt. «Wenn wir an dieser Überrepräsentation von Rot-Grün etwas ändern wollen, sind wir zu diesem Schritt gezwungen», sagt Curau.

Personalpolitisch hat die Mitte die Situation als einzige Partei schon geklärt: Sie schickt Beatrice Wertli in den Gemeinderatswahlkampf. «Wir schliessen uns mit den anderen Parteien zusammen, um einen zweiten bürgerlichen Regierungssitz zu holen», sagt Curau. «Aber bei der Frage, wer von dieser Liste in den Gemeinderat gewählt wird, konkurrieren wir einander.»

Die bürgerliche Allianz, die jetzt gemeinsam zum Wahlkampf antritt, hat in den letzten Jahren zusammen mehrere Abstimmungskämpfe geführt – etwa gegen das Personalreglement und teilweise auch gegen die städtischen Budgets. In dieser Zeit sei das Vertrauen ineinander gewachsen, findet Laura Curau. Man habe gelernt, auf inhaltliche Gemeinsamkeiten zu fokussieren und sich bei Divergenzen bei anderen Themen Spielraum zu lassen.

«Keine Liebesbeziehung»

Ähnlich wie Curau argumentiert Michael Hoekstra, Präsident der GLP: «Die grosse Liste ist keine Liebesbeziehung, aber sie ist nötig, wenn wir in der Stadtregierung eine Veränderung hinbringen wollen», sagt er. Als drittgrösste Partei im Stadtrat wolle die GLP exekutive Verantwortung übernehmen und strebe einen Sitz in der Stadtregierung an: «Diese Liste ist der aussichtsreichste Weg dazu.»

Allerdings ist es auch ein Weg, der die Partei unter Druck setzt. Kaum hatte die Meldung der gemeinsamen Liste «Gemeinsam für Bern» die Runde gemacht, nahmen Exponent*innen von RGM auf den sozialen Medien die GLP ins Visier: «Wer im November 2024 GLP wählt, wählt SVP», schrieben etwa Lena Allenspach, Co-Präsidentin der städtischen SP, oder Stadträtin Judith Schenk, die erst kürzlich von der GLP zur SP übergetreten ist. Tanja Miljanović sieht im Mitte-Rechts-Bündnis einen «breiten Ausverkauf der Werte».

Genüsslich wurden Austrittsankündigungen von GLP-Mitgliedern gepostet, die im Falle eines Zustandekommens der grossen Liste die Partei verlassen wollen. Logisch, dass die GLP-Mitgliederversammlung vom 30. Januar für die städtischen Wahlen sehr wichtig wird.*

Mettler wäre bereit

Ob die GLP an diesem Tag schon eine Kandidat*in präsentiert, ist offen. Es gibt mit Melanie Mettler aber mindestens eine nationale Politikerin, die bereit wäre, mit der SVP auf der Liste zu kandidieren. «Die Grünliberale Partei Stadt Bern schuldet es ihren Wählenden, den Anspruch auf den Sitz in der Stadtregierung mit vollen Kräften geltend zu machen», sagt die Nationalrätin auf Anfrage.

Sie werde diesen Anspruch unterstützen, ob als Kandidatin oder in einer anderen Rolle, entscheide die Partei vielleicht schon an der Mitgliederversammlung Ende Januar, so Mettler. Zu weiteren möglichen Kandidat*innen äussert sich Parteipräsident Hoekstra nicht. Im Gespräch waren bisher auch Nationalrätin Kathrin Bertschy und Grossrätin Marianne Schild.

SVP: «Keine Konzessionen»

Thomas Fuchs, Präsident der SVP Stadt Bern, hält fest, dass «sich alle zurückgenommen haben, um in einem Zweckbündnis das übergeordnete Ziel zu erreichen: Zwei von fünf Sitzen im Gemeinderat». Inhaltlich mache die SVP keine Konzession, sie akzeptiere aber, dass andere Parteien andere Ideen vertreten. Laut Fuchs steht Stadtrat Janosch Weyermann als Gemeinderatskandidat bereit, andere Interessent*innen könnten sich aber nach wie vor bei ihm melden.

Mit einem Gemeinderatsmandat für die SVP rechnet Fuchs nicht. Laut ihm ist die oberste Linie auf der Gemeinderatsliste von «Gemeinsam für Bern» für die GLP reserviert, und seiner Ansicht nach wird sie als grösste Partei auch einen Sitz holen. Dahinter zeichne sich ein Duell zwischen den Kandidierenden von Mitte und FDP ab.

Tatsächlich rechnet sich die FDP reelle Chancen aus, wieder in die Regierung einzuziehen, wie Co-Parteipräsidentin Chantal Perriard festhält. Wer kandidieren wird, ist noch nicht klar.

Im Herbst führte das Präsidium mit den Grossrät*innen Claudine Esseiva und Christoph Zimmerli Gespräche. Partei-Insider rechnen auf der nun wahrscheinlich gewordenen grossen Liste mit einer Kandidatur von Esseiva. Es seien noch zwei Kandidaturen im Rennen. «Die FDP-Findungskommission wird in den nächsten Tagen kommunizieren», sagt Perriard. Am 22. Januar erfolgt die Nomination durch die Partei.

Die Reise der EVP

Eine politisch weite Reise zurückgelegt hat die EVP. 1992 repräsentierte sie die Mitte im linken RGM-Bündnis, das den Bürgerlichen die Mehrheit entriss. 2024 will die EVP nun in der gleichen Funktion auf der anderen Seite des politischen Spektrums Teil von «Gemeinsam für Bern» sein. «Das ist für uns in der aktuellen Konstellation der vielversprechendste Weg, die Mitte zu stärken», sagt Parteipräsidentin Bettina Jans-Troxler.

Das Stadtberner Wahlsystem begünstige grosse Bündnisse so stark, dass man sich in wahltaktischem Pragmatismus üben müsse, um für seine Anliegen etwas zu erreichen. Jans-Troxler ist zuversichtlich, dass die Parteimitglieder verstehen, warum die EVP gemeinsam mit der SVP Wahlkampf machen will. Wer von der EVP allenfalls für den Gemeinderat kandidiert, sei im Moment noch nicht entschieden.

Resilientes RGM

So oder so: Bis Mitte Februar ist klar, ob der von den Mitte-rechts-Parteistrateg*innen entworfene Plan wirklich in die Tat umgesetzt wird. Wenn ja, wird das zum Belastungstest für Rot-Grün-Mitte, weil das linke Regierungsbündnis ernsthaft Gefahr läuft, einen seiner vier Sitze zu verlieren.

Diese Aussicht auf einen Sitzverlust spitzt die RGM-interne Konkurrenzsituation zwischen Rot und Grün zu. Und verkompliziert die laufende Suche nach Kandidat*innen für die abtretenden Gemeinderät*innen Franziska Teuscher (GB) und Michael Aebersold (SP). 

Andererseits hat die Stadtberner Geschichte mehrfach gezeigt, dass Drucksituationen auf RGM belebend wirken können. Im Frühjahr 2016 hatte sich RGM aus Ärger über die Stadtpräsidiumskandidatur von Alec von Graffenried von der kleinen GFL offiziell bereits aufgelöst. Nach einer Last-Minute-Befriedungsaktion raufte man sich zu einem Wahlkampf zusammen, der in einen spektakulären Sieg und die heutige 4:1-Mehrheit im Gemeinderat mündete.

Die Stapi-Frage

Was zur Frage führt, ob «Gemeinsam für Bern» auch einen Angriff auf das Amt von Stadtpräsident Alec von Graffenried ins Auge fasst. GLP-Präsident Hoekstra und SVP-Präsident Fuchs halten übereinstimmend fest, dass sie sich voll auf den Gemeinderats-Wahlkampf konzentrieren und keine Gegenkandidatur zu von Graffenried planen. Man wolle dem Stadtpräsidenten keine Bühne geben, begründet Fuchs diese Strategie. Vorausgesetzt, dass nicht die SP plötzlich doch nach dem Stadtpräsidium greift. Dann käme laut Fuchs auch eine bürgerliche Kandidatur in Frage.

Ganz anders würde sich die Lage präsentieren, wenn Alec von Graffenried die Wiederwahl in den Gemeinderat nicht schaffen und so auch als Stadtpräsident abgewählt würde. In diesem Fall träte «Gemeinsam für Bern» im zweiten Wahlgang wohl für das Stadtpräsidium an.  

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*In einer früheren Version des Artikels hiess es fälschlicherweise, die GLP-Versammlung finde am 31. Januar statt.

     

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Diskussion

Unsere Etikette
Jürg Stettler architekturstettler gmbh
22. Januar 2024 um 08:05

Liebe GLP, eine Mitte rechts Liste - ok,

aber ein Bündnis mit Fuchs und Hess?

Nein danke, diese Liste kann ich unmöglich ankreuzen!

Patrik Alain Wyss
10. Januar 2024 um 07:59

Der Listen-Proporz für die Exekutivwahl in der Stadt Bern ist ein Exot in der Schweiz - und bevorteilt RGM seit Jahren, weil es RGM als einziger "Block" verstanden hat, eine breite Allianz zu schmieden. Als RGM-Wähler bin ich darüber nicht unglücklich. Die GLP hat wiederholt versucht, das Wahlsystem in der Stadt Bern zu ändern, u.a. um vom Listenproporz wegzukommen. RGM hat einen solchen Wechsel immer verhindert - auch mit dem Verweis, dass es den anderen Parteien ja freigestellt sei, selber auch breite Listen zu bilden. So bleibt der GLP letztlich nichts anderes übrig, Teil einer breiten Liste zu sein, wenn sie will, dass z.B. ihre finanzpolitischen Anliegen etwas stärker in der Regierung vertreten sind. Man kann das gut finden oder nicht. Aber wenn Expontenten von RGM der GLP nun Machtgeilheit vorwerfen, dann finde ich das etwas heuchlerisch.

Christof Vollenwyder
09. Januar 2024 um 18:53

Endlich outet sich die GLP! Sie hätte schon immer liberalgrün und nicht grünliberal heissen sollen…grün war immer nur Beilage! Und die Mitte ist jetzt auch nicht mehr wählbar…Schade!

Florian Gysin
09. Januar 2024 um 15:23

Wer mal wieder einen Beweis brauchte... Das rechtsbürgerliche U-Boot GLP taucht auf Periskoptiefe...

Johanna M. Schlegel
09. Januar 2024 um 14:58

Die GLP zeigt ihre politische Haltung - G? Noch nie!

Manuel C. Widmer
09. Januar 2024 um 11:27

Ich trauere nicht dem 4:1 nach - sondern einer Mitte, die bei rechtsnationalen Klimaleugnern eine rote Linie zieht.

Politik ist mehr als Wahlarithmetik und Stimmen-Optimierungs-Mathematik.