Gift für die Szene
Die Berner Rapperin Aqua:Tofana bricht mit Geschlechternormen und kombiniert Politisches mit Persönlichem. Das wird sogar ihr schnell mal zu viel.
Die Berner Hip-Hop-Szene bricht selten mit dem Stereotyp der gemütlichen, langsamen Berner*innen. Schnelle Beats und hässige Vibes finden sich eher weniger im Berner Mundart-Rap. Eine Newcomerin, die das anders macht ist Aqua:Tofana. In ihren Songs kombiniert sie Wut und Gesellschaftskritik. Und behandelt Themen wie Heteronormativität oder die Irrwege der Identitätsfindung.
In den Texten von Aqua:Tofana finden sich Sätze wie: «I ma nümm hustle fürne Zuekunft ohni jeglechi Perspektive. Bruchä ä Pouse vom mi ständig müesse definiere: Über z rede, über z luege über z figge über z liebe.»
Die Wörter werden schnell und abgehackt zwischen den Lippen durchgepresst, die Musik zackig und düster. Wer manchmal auch die Schnauze voll hat von allem, fühlt sich abgeholt.
Spiel mit den Kontrasten
Lange, pinkfarbene Fingernägel prangen an Händen, die sich um zwei Brüste schliessen. So sieht das Cover der ersten EP von Aqua:Tofana (italienisch für: Gift) aus, das am 14. Juni 2024 unter dem Titel «giftig» erschienen ist. Das macht schnell klar: Ihr geht es um Kontraste. Aqua:Tofana tritt öffentlich stets in farbiger Sturmmaske auf, sie spielt mit Pastellfarben und provokanten Aussagen. Mit ihrem Album geht sie zwischen September und November auf Tour in der Schweiz. Am 12. September feiert sie im Rössli in Bern Plattentaufe. Für die 25-jährige Bernerin, die mittlerweile in Zürich lebt, ist die Musik eher ein Hobby. Eigentlich arbeitet sie Vollzeit als Marketingmanagerin.
Auffällig an Aqua:Tofana sind nicht nur die Songtexte, sondern auch das Erscheinungsbild der Kunstfigur. Denn die Maske wird in der Hip-Hop-Szene oft von Männern verwendet. «Sie ist ein Symbol für Gewalt und Kriminalität und Teil der toxischen Männlichkeit», so Aqua:Tofana. «Neben der Zurschaustellung grosser Autos, dem Prahlen mit Geld und der Inszenierung von Frauen als sexualisierte Deko-Objekte.» Aqua:Tofana häkelt ihre Masken selbst und gestaltet sie weich, plüschig und farbig. «Ich spiele mit dem Ultra-Femininen. Zum Beispiel auch mit den langen Nägeln, die auf dem neuen Albumcover zu sehen sind. Es geht mir dabei um Empowerment.»
Aqua:Tofana - die Kunstfigur
Die Person hinter der Maske möchte anonym bleiben, auch im Gespräch mit der «Hauptstadt». Denn ihre Kunst soll für sich alleine stehen. «So können die Leute selbst entscheiden, was sie für sich herausnehmen und wie sie die Texte interpretieren», sagt sie. Die Anonymität versteht sie aber auch als Schutzraum. «Ich habe Respekt vor starkem Gegenwind. Grundsätzlich finde ich das nicht schlimm, weil es zeigt, dass man einen Nerv getroffen hat. Aber es kann auch gefährlich sein», so Aqua:Tofana.
Als weiblich gelesene Person in der Öffentlichkeit zu stehen, sei mit viel Druck verbunden. Zum Beispiel werde das Aussehen gerne kommentiert. Aqua:Tofana ist deshalb mit grossen und lockeren Kleidern unterwegs. «Ich will nicht, dass mein Aussehen im Fokus steht. Mir geht es um die Texte.»
Die Idee zu ihrem Künstlerinnen-Namen kam während des Lockdowns auf, erzählt die Rapperin. «Damals habe ich mir viele True-Crime-Geschichten angehört. Dort kam ich auf Giulia Tofana, die im Mittelalter anderen Frauen Wässerchen verkauft hat, womit diese ihre Männer vergifteten: Aqua tofana.» Für diese Frauen sei das ein Ausweg gewesen aus Missbrauchs-Situationen: «Das hat mich inspiriert.»
Aqua:Tofana stieg 2022 in die Hip-Hop-Szene ein. Fan war sie schon lange vorher. «Ich habe schon als Kind Rap gehört. Später schaute ich SRF Bounce und störte mich immer daran, dass fast ausschliesslich männliche Rapper eingeladen wurden.» Auch wenn man sich zum Beispiel Schweizer-Rap-Playlists auf Spotify anschaue, falle auf: Die Repräsentation von Tinfa*-Personen fehlt (Tinfa* steht für trans, inter, non-binäre, Frauen und agender Menschen). Zudem störte sie sich auch an queerfeindlichen und sexistischen Songtexten. Deshalb habe sie sich gedacht: «Ich will ein bisschen giftig sein für die Szene - gegen das Festgefahrene und Toxisch-Männliche.»
Anti-klassistisch und feministisch
«Viele der Themen, die ich in den Songtexten behandle, waren im Schweiz-Rap noch nicht so präsent, als ich den ersten Song rausgebracht habe. Aqua:Tofana sollte deshalb eine Stimme sein für Leute, die ähnlich denken und ähnliche Hürden haben wie ich.» Ein bisschen habe sie Kunstfigur und Musik auch für ihr jüngeres Ich geschaffen. Denn ihr selbst hätte es als Teenager gutgetan, solche Musik hören zu können. «Damals hatte ich das Gefühl, etwas stimmt nicht mit mir. Ich habe mich nicht verstanden gefühlt und darunter sehr gelitten», führt sie aus.
Aus diesem Grund ist ihr jetzt wichtig, dass ihre Musik möglichst einfach zugänglich ist. «Ich will nichts Hochstehendes machen», so die Rapperin. «Texte, die man zehnmal hören muss, um sie zu verstehen, finde ich klassistisch und elitär.» Auch feministische Grundsätze sind ihr wichtig. Gegen Sätze wie «oh, du bist denn eine Hübsche» hat sie sich als weiblich sozialisierte Person immer gesträubt. «Eine Zeit lang habe ich auch versucht, mich anzupassen, aber das stimmte für mich einfach nicht».
Aqua:Tofana identifiziert sich als geschlechterfluid und meint damit, dass sie schwankt zwischen feminin und maskulin konnotierten Ausdrucksformen. Im Song «Flüssig» thematisiert sie Geschlechtsidentität und Sexualität mit Sätzen wie: «Mini Gränzä si flüssig» und «niemer bringt mi ine Form.»
Das Aufbrechen von Normvorstellungen steht dabei im Vordergrund. «Es ist eigentlich voll logisch, aber ich selbst habe erst durch den Einfluss von queerfeministischer Literatur gemerkt, dass ich okay bin und dass ich nicht auf eine bestimmte Art aussehen muss». Dass sie so schwerwiegende persönliche Erfahrungen wie Essstörungen, Depression, Verlustangst oder Missbrauch in ihren Songs behandelt, versteht sie auch als Beitrag zu einer anderen Welt. Es sei ein politischer Akt, meint sie und beruft sich auf den alten feministischen Grundsatz, dass das Persönliche politisch ist. «Als ich angefangen habe, wollte ich viel bewegen und darauf hindeuten, dass es verschiedene Lebensrealitäten gibt. Heute reicht es mir aber, wenn sich auch nur eine Person durch meine Texte ein paar Gedanken macht.»
«Nimm mi is CC»
Als Vertreterin ihrer Generation übt Aqua:Tofana Kritik an der Arbeitswelt. Vor allem im Song «CC» kommt das mit spielerisch-ironischen Kommentaren zu tragen. Das veranschaulichen Sätze wie «I liebes, z schaffe, dr Lohn bi mir a zwöiter Steu». Auch hohe Ansprüche werden an den Pranger gestellt: «10 Jahr Erfahrig, safe no unger zwänzgi. Excel i dä Vene, siti uf dr Wäut bi.» heisst es etwa direkt am Anfang. Auch das Thema ist inspiriert von persönlichen Erfahrungen. Neben dem Druck durch die Arbeit belasten Aqua:Tofana auch soziale Ängste oder etwa Body Dysmorphia - das Gefühl, im eigenen Körper und mit seiner Form unwohl zu sein.
Die persönlichen Themen gehen unter die Haut. Und fordern auch die Künstlerin heraus. «Ich könnte aber gar nicht schreiben, wenn es nicht so nah an meinem Erleben wäre», findet sie. Zuweilen belasten Job, kreativer Druck und Bühnenangst sie aber sehr. Das Auftreten vor Publikum sei herausfordernd, sagt sie der «Hauptstadt». «Ich verspüre grossen Leistungsdruck, will alles perfekt machen und den Leuten für ihr Geld auch etwas bieten. Wenn ich während dem Auftreten Blackouts habe, stresst mich das extrem.» Nach der Tour will sie deshalb erstmal eine Pause machen.
Für alle Kurzentschlossenen: Heute Donnerstag, 12. September, findet im Rössli der Reitschule um 21:00 Uhr die Plattentaufe statt.