Rap, der mit Klischees bricht
Etoclit ist eine von wenigen Rapcrews mit nur Tinfa*-Personen. Mit ihrer Musik wollen die Berner*innen zeigen, dass es auch kraftvollen Rap gibt, der keine Minderheiten beleidigt.
Wahrscheinlich kennt die ganze Schweiz bereits ein Lied der Berner Rapcrew Etoclit – auch wenn die Crew selbst noch relativ unbekannt ist. Ihr Song «micdrop» wurde letztes Jahr in der populären SRF-Fernsehserie «Tschugger» gespielt.
Etoclit besteht aus Alma Schindler, Nori Schnell, Rea Siegrist, Sophie Gerber und Laura Aellig. Sie definieren sich als Tinfa*-Rapcrew. Tinfa* steht für trans, inter, non-binäre, Frauen und agender Menschen. Der Stern steht für Personen, die sich nicht mit den vorher genannten Begriffen identifizieren, also für weitere Geschlechtsidentitäten, die von cis-hetero patriarchalen Strukturen diskriminiert werden.
Die fünf kennen sich schon lange; aus der Grundschule oder aus der Fachmittelschule (FMS). In verschiedenen Konstellationen haben sie zusammen Musik gehört, gesungen und Gitarre gespielt oder gerappt. «So richtig» angefangen zusammen Musik zu machen, haben sie im Sommer 2020, erzählt Rea Siegrist.
Bald darauf haben sie zusammen Mikrofon, Interface und «alles andere» gekauft, was es zum Musik aufnehmen braucht. «Das war für alle ein Commitment», sagt Alma Schindler. Den ersten Track mit dem eigenen Equipment haben sie dann direkt im Sommer 2020 aufgenommen. Zwei Jahre später haben sie auf Soundcloud eine EP rausgegeben und sind das erste Mal offiziell aufgetreten.
Der Name Etoclit habe an sich keine Bedeutung. Die Rapcrew suchte einen Namen, der kraftvoll klingt. So ganz zufrieden sind sie aber selbst nicht mehr damit. «Für uns ist das Wort Clit jetzt fast zu fest im Fokus», sagt Alma Schindler. Der Gruppe ist wichtig, dass jede*r eine eigene Bedeutung in den Namen interpretieren kann.
Als Tinfa*-Rapcrew wollen sie mehr Bewusstsein für zum Beispiel Awareness-Strukturen schaffen. «Für Etoclit sind sichere und aware Räume sehr wichtig», sagt Alma Schindler. Dafür wollen sie einstehen und sehen ihre Arbeit als politisch. «In Ausgangssettings fühlen sich Tinfa*-Personen und marginalisierte Personen oft nicht sicher.» Deshalb weisen sie an den Konzerten aktiv auf Konsens hin, damit möglichst diskriminierungsarme Räume entstehen können, sagt Schindler.
Feministischer Rap
Im Text «micdrop», in dem Nori Schnell auch mal auf Spanisch rappt, provozieren sie direkt die männlich geprägte Rapszene:
«Mir schlaft z Gsicht ih, we du fasch afa rede, Bro
los dr mau säuber zue, Bullshit am spreade
lehnsch di wit usem Fänster zum Thema Feminismus
in angerne Wort: Pseudoaktivismus.
Reflektiersch di nume i mim Lipgloss
diskutiere mit dir u ds isch ändlos
mini Sibs und ig mache Micdrop
dini Zit isch cho, better back off.»
Der Begriff «Micdrop» ist, seit ihn Barack Obama bei einer Rede 2016 brauchte, nicht mehr nur in der Hip-Hop-Szene bekannt. Lässt man das Mikrofon fallen oder benutzt den Begriff «Micdrop» bedeutet das etwa «es ist alles gesagt, es gibt nichts mehr entgegenzuhalten».
Auf Spotify hat die Rapcrew bisher neun Songs, davon fünf im April 2024 als EP, herausgegeben. Die neuen sind ruhiger und gefühlvoller. Ein Kontrast zu den bisherigen Veröffentlichungen, die lauter sind und patriarchale und gesellschaftliche Strukturen kritisieren. Mit der neuen EP wolle die Crew zeigen, dass sie auch eine verletzliche und nachdenkliche Seite hat, sagt Alma Schindler.
«Wir haben zwar die Seiten, in denen wir wütend sind und das auch zeigen wollen. Aber wir können auch anders», erklärt Rea Siegrist. Die zweite EP sei deshalb auch ein Akzeptieren, dass sie nicht der Form entsprechen müssen, die sich am Anfang ergeben habe.
Aktivistisches Label
Etwa zeitgleich wie Etoclit ist auch das Tinfa*-Musiklabel Forcefield Records entstanden. Alma Schindler, Nori Schnell und Laura Aellig sind Mitgründer*innen. «Wir haben zusammen mit anderen Musiker*innen ein Studio gesucht. Das entwickelte sich weiter und wir haben ein eigenes Label gestartet», sagt Schindler. Neben Etoclit sind zum Beispiel die Berner Musikerinnen Soukey oder Alwa Alibi unter Vertrag.
Etoclit und Forcefield sind stark miteinander verwoben. Das Label ist seit der Gründung 2020 gemeinsam mit Etoclit gewachsen. «Forcefield hat uns sehr geprägt und ist eine wichtige Unterstützung. Und Etoclit war eine der ersten Crews, die bei Forcefield unterzeichnete», sagt Nori Schnell.
Live
Freitagabend, acht Uhr in der Kulturhalle Sägegasse in Burgdorf. Es treten verschiedene Rapper*innen auf. Headliner sind Tommy Vercetti und Dezmond Dez. Auch Etoclit spielt heute. Das Publikum bilden die auftretenden Acts selbst und eine Handvoll Fans.
Die Gruppe ist nicht vollzählig. Sophie Gerber, die die Beats produziert, kann heute nicht. Sie hat einen Tanzauftritt. Auch Laura Aellig ist nicht da. Aellig spielt intensiv Fussball, macht eine Lehre und nimmt sich für die Zeit bis zum Abschluss aus den Konzerten heraus. Emma Gerber, die Schwester von Sophie, komplettiert die Gruppe heute. Sie steht bei den Auftritten hinter dem DJ-Pult.
Alma Schindler, Nori Schnell, Rea Siegrist und Emma Gerber sitzen an einem Tisch vor der Kulturhalle. Fast alle Gäst*innen und auftretenden Rapper*innen sind draussen, das erste Konzert hat noch nicht begonnen. Schindler schreibt die Setliste auf ein Blatt Papier. Sie ist erkältet und halb krank. Obwohl es nicht mehr lange dauert bis zum Auftritt um 21.20 Uhr, sind die vier noch nicht aufgeregt.
Rap als politische Arbeit
Das erste Konzert beginnt, die Gäst*innen werden reingerufen. Auch die Etoclit-Crew will sich die Rapper Che$ter und Reevah aus dem Aargau anhören und geht in die Kulturhalle, hört den Raps zu und wippt im Takt. Rea Siegrist fällt ihr Urteil schnell: «Tönt auf Spotify genau gleich», findet sie. Als der Rapper das Publikum aufruft mitzusingen – der Text beinhaltet das Wort «Hoe» –, ruft Siegrist «No» und schüttelt ungläubig den Kopf. «Hat er das wirklich gesagt?», fragt sie Schindler.
Die Gruppe hat im Dezember 2023 einen Post auf Instagram veröffentlicht. Sie schreibt, dass sie sich in der Schweizer Rap-Szene, die stark cis-hetero patriarchal dominiert und geprägt sei, nicht immer wohlfühle.
«Das können männliche Tontechniker sein, die einen herablassend behandeln. Das können andere, cis männliche Rapper im Backstage sein, die Raum einnehmen oder auf eine gewisse Art und Weise auftreten, die wir überhaupt nicht unterstützen», zählt Nori Schnell auf. «Zum Beispiel, indem sie Moshpits anfeuern, wo sich Tinfa*-Personen nicht wohlfühlen oder aktiv diskriminierende Inhalte in ihren Songs reproduzieren.»
In dem Instagrampost fordert Etoclit, dass auch Menschen, die von den cis-hetero patriarchalen Strukturen in der Musikwelt profitieren, ihre Reichweite nutzen, um für weniger Diskriminierung einzustehen.
«Wenn du dir die Schweizer Rap-Landschaft anschaust, werden viele Inhalte verbreitet, die wir nicht unterstützen», sagt Schnell. Das seien etwa sexistische Aussagen, aber auch ableistische, rassistische und klassizistische Sprache. «Wörter haben Macht. Und viele Sachen werden durch Sprache reproduziert.»
Etoclit will aber nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. «Wir wollen auch bei uns hinschauen. Welche Sprache brauchen wir und wie bilden wir uns politisch?», sagt Rapper*in Schnell. Eine politische Auseinandersetzung wollen sie neben dem Spass und der Kreativität beibehalten. Weil ihre Musik öffentlich sei, und sie somit Verantwortung tragen. Und weil sie damit andere Menschen empowern wollen.
Squats
Nach dem Auftritt der Aargauer Rapper vergeht die Zeit wie im Flug. Die Gruppe feuert die Winterthurer Rap-Person Nik* auf der Bühne an. Kurz vor dem Auftritt ziehen sich die Etoclit-Mitglieder nochmal zurück nach draussen und setzen sich auf den Boden. Langsam werden die vier nervöser. Sie sprechen darüber, wie es ihnen geht, motivieren einander. Dieses «Check-in» ist ihnen wichtig. Sie wollen Rücksicht aufeinander nehmen, sagt Nori Schnell. Sowohl vor und nach als auch während dem Auftritt. Alma Schindler nimmt nochmal etwas gegen die Halsschmerzen und kann sich kaum vorstellen, nachher zu rappen.
Kurz vor dem Auftritt umarmen sich die vier, atmen gemeinsam und sprechen sich Mut zu. Schindler entschuldigt sich bereits im Voraus, dass sie nicht alles geben kann wie sonst.
Dann ist es soweit. Sie werden angekündigt und springen auf die Bühne.
Schindler ist wie ein umgekehrter Handschuh. Hätte man es nicht miterlebt, dass sie sich kurz vor dem Auftritt am liebsten hinlegen wollte, würde man es nicht glauben. Etoclit reisst das (bescheiden grosse) Publikum mit, spielt hauptsächlich die kraftvollen Tracks. Nach dem ersten Lied weist Nori Schnell darauf hin, wo man sich melden könne, wenn man sich nicht wohlfühlt und betont, wie wichtig Awareness und ein sorgfältiges und respektvolles Miteinander ist.
Der Auftritt dauert zwanzig Minuten. Das letzte Lied gibt es bisher auf keiner Musikplattform, wird aber von den Etoclit-Fans jedes Mal lauthals gewünscht. Es heisst «Squats» und die Menge geht nochmal richtig ab.