Vorne frech, hinten flach
Der rotzig auftretende Berner Rapper Jule X legt mit simplen Texten zum Mitgrölen eine rasante Karriere hin. Was steckt hinter seiner Marke?
«Du bisch so dumm und kacksch am Weekend am nä Techno ab / I mach genau z glichä aber spilä iz a Festivals / Hüt isch so nä Tag woni z Gfüeu ha i ma jedä / I bi grad am sippä und drum channi grad nid redä»
Das singt Rapper Jule X in seinem Song «Zistig». Er erzählt, wie er an einem Dienstag Alkohol trinkt und nicht bloss am Wochenende, wie alle anderen, die er als «dumm» bezeichnet. Obschon im Publikum wohl viele «Dumme» sind, feiern sie das Lied. Und das Publikum feiert Jule X.
Das merkt man auch am Konzert in der renommierten Mühle Hunziken, das Ende September stattfindet und in der Jule X eine neue EP mit dem Zürcher Rapper Lil Bruzy tauft. Es geht wild zu und her. Die technolastigen Beats treiben das Publikum an, die Zuschauer*innen geraten ausser sich: Sie pogen zu fast jedem Lied.
Jule X ist plötzlich überall. Im Sommer 2023 spielte er auf namhaften Schweizer Openairs, wie dem Frauenfeld oder dem Stolze-Openair in Zürich. Wer ist der 21-jährige Berner mit den frechen Texten, der seinen bürgerlichen Namen nicht preisgeben will?
Steile Karriere
Szenen-bekannt wird Jule X mit seinem Song «Dr DJ isch», den er im Oktober 2021 veröffentlicht. Er brennt sich vielen Menschen ins Gedächtnis, vermutlich weil Jule X mit «Dr DJ isch e Hueresohn» ein diskriminierendes Wort in den Mund nimmt und es im Lied 24 Mal wiederholt. Ein halbes Jahr später bringt ihm das einen Auftritt am SRF Cypher 2022, einem grossen Live-Rap-Anlass, an dem bekannte und weniger bekannte Rapper*innen ihre Texte zum Besten geben.
Am Gurtenfestival 2023, für den gebürtigen Oberbottiger ein Heimspiel, tritt Jule X sogar zweimal auf. Am Freitag spielt er auf der kleinen Seitenbühne «Soundgarden», worauf ein Teil des Bodens kaputt geht, weil die Zuschauer*innen so krass pogen. Trotzdem kann er – dank etwas Glück und einer Konzertverschiebung – am Samstag auf der Zeltbühne nochmal auftreten. Nun hat er es auf die zweitgrösste Bühne des Festivals geschafft.
Das ist eine steile Karriere für einen Schweizer Newcomer. Die etablierten Berner Rapper Nativ oder Tommy Vercetti schafften es in diesem Jahr auf dem Gurten nur auf die vergleichsweise kleine Waldbühne.
Der Hype
Jule X trägt Vokuhila und Trainingsanzug, so zelebriert er sein Image als Berner Jugendlicher. Und so fläzt er sich auch an den Tisch vor dem Restaurant Venezia in Bümpliz. Neben ihm sein Rap-Freund Anru, der ihn zuweilen ergänzt. Im Gespräch ist Jule X zurückhaltend und darum bemüht, proaktiv über sich selbst herzuziehen: Der Vokuhila, den er trage, sei in der Szene seit fünf Jahren nicht mehr in Mode. Die Texte von Tommy Vercetti, die verstehe er eigentlich nicht. Herziehen kann er aber auch über seine Hörer*innen, im Beschrieb auf Spotify macht er sich gerne über den prekären Student*innen-Lifestyle seiner Fans lustig.
Trotzdem – oder gerade deshalb – übt er eine Faszination auf sein Publikum und auch auf Menschen ausserhalb der Fangemeinde aus. An einem Dienstag raunt man sich im Tram «suufe am ne Zistig» zu, so lautet der Refrain aus dem eingangs erwähnten Song «Zistig». Und dabei handelt es sich nicht nur um Teenies, sondern auch um Menschen in ihren Dreissigern. Und immer mal wieder hört man Personen «Dr DJ isch e Hueresohn» singen, als passte der Satz in jede Situation.
Auffallend ist, dass sich die Texte von Jule X von anderen bekannten Berner Rapper*innen deutlich unterscheiden. Keine politischen Ansprüche, keine tiefere Bedeutung. In seinen Hits «Dr DJ isch» und «Zistig» besingt Jule X Drogen, das Nachtleben und das sinnlose Dasein, wenn auch auf humorvolle Weise. «Aues wo du seisch isch mir leider ä chli z höch, spar dir dis Versägerchrut hüt gö mir blöd.» Damit grenzt sich Jule X von intellektuellen Rappern wie Tommy Vercetti ab, denen zuweilen etwas Elitäres anhaftet.
Dieser unpolitische Rap, der leicht zu verstehen und gemacht ist zum Mitgrölen, macht Jule X` Erfolg aus. Findet er selber: «Es ist eingängige Musik, die ‹brätscht›, jede*r kann mitschreien und abgehen», sagt er gemütlich vom Stuhl aus. Jule X wirkt wie eine erfrischende Abwechslung. Endlich mal wieder abschalten, für einmal nicht so viel Rücksicht nehmen.
Jule X, eine Kunstfigur?
Dass Jule X es seinen Fans so leicht macht, will nicht ganz zum Rap-Genre passen, das häufig sozialkritisch ist. Man möchte hinter Jule X deshalb ein ausgeklügeltes Konzept erwarten. Jule X, eine Kunstfigur. Einer, der mit seinen Texten bewusst provoziert, der sich insgeheim über das männliche Gehabe lustig macht. Und die eigenen Privilegien ironisch bricht.
Und tatsächlich: Wer in Jule X den ironisch-schlauen Rapper sehen möchte, wird ihn finden. Wer in ihm einfach einen jungen Typen sieht, der etwas unkorrekt über Themen rappt, die so unoriginell sind, dass es fast weh tut, ebenso. Jule X ist eine Projektionsfläche.
Für Jule X, das betont er im Gespräch, ist der Fall aber klar: Er sei einfach, wie er sei. Hinter seiner Bühnenfigur stecke kein Konzept, keine Inszenierung. Heute würde er das Lied «Dr DJ isch» aber anders schreiben, sagt er. Begriffe wie «Hueresohn» wolle er eigentlich nicht mehr in den Mund nehmen – und fährt trotzdem damit weiter. «Erst beim Live-Auftritt merke ich, was ich den Leuten eigentlich in das Gesicht singe», sagt Jule X.
Deshalb überlege er, den Begriff durch «Bluemechohl» oder «Hundesohn» zu ersetzen. Ob das männliche Publikum daran Freude hätte, lässt sich bezweifeln. Das mache das Lied ja gerade aus, meinen einige Fans.
Berufsschüler*innen und Reithalle-Kids
Jule X will aber nicht von Fans sprechen, sondern von «Menschen, die mich cool finden». Cooler, als er vielleicht in Wirklichkeit sei. Nach seiner Beschreibung hören seine Musik Berner Berufsschüler*innen und Reithalle-Kids, die zwischen 16 und 21 Jahre alt sind.
Und, seine Musik werde auch auf dem Land gehört, erzählt Jule X. Er habe Videos zugeschickt bekommen, wo Jugendliche zu sehen seien, die auf einem Bauernhof zu seiner Musik abgehen. «Ich kann es selber fast nicht glauben.»
Obwohl er bewusst gendert und im Lied «Wine Père» auch coole Mütter vorkommen, ist die Mehrheit seiner Fans männlich, so scheint es zumindest an den Konzerten. Es habe an Konzerten schon mehrmals schwierige Momente gegeben, als sich Frauen nicht mehr wohl fühlten, wenn zum Beispiel gepogt wurde, gibt Jule X zu.
Bisschen bedacht, bisschen unüberlegt
Im Gespräch erklärt er, er wolle seine Konzerte in Zukunft inklusiver gestalten. Am Konzert in der Mühle Hunziken wiederholt er deshalb mehrfach, dass man sich an der Bar melden solle, wenn man sich nicht wohl fühle. Zuweilen muss er während des Konzerts auch Frauen auf die Bühne helfen, damit sie von der Menge nicht erdrückt werden. Gleichzeitig sagt er einige Lieder zuvor: «Ich will euch alle springen sehen.»
Aber immerhin: Zu einem Lied sollen beim Konzert nur die Frauen pogen. Dafür feiert ihn die Menge. Gleich danach holt er zwei Frauen auf die Bühne, damit sie in einem Wettbewerb ein Bier auf Ex trinken.
Alles beim Alten?
Scrollt man durch das Instagramprofil von Jule X, sieht man auf den Bildern vor allem eines: Männer, die sich in Pose werfen. Auch auf der Bühne und in den Musikvideos versammeln sich rund um Jule X fast ausschliesslich Männer. Zum Beispiel seine Rap-Freunde Anru und Astro Burger und sein derzeitiger Rap-Partner Lil Bruzy.
Ob er auch vorhabe, mehr Musikprojekte mit Frauen zu machen? Jule X sagt, er fände das gut, er bewundere Rapperinnen wie Soukey, Etoclit oder Lou Kaena. Eine solche Zusammenarbeit müsse aber auch «entstehen».
Auf seinen plötzlichen Erfolg mit 21 Jahren war Jule X nicht vorbereitet. Auf der Bühne und im Gespräch wird klar, dass er zwar – wie seine Generation – Wert auf das Gendern oder Inklusivität legt. Aber so tief geht es dann doch nicht. Eigentlich wirkt es so, als ob er vor allem eins will: Feiern.