Hartes Brot: So überlebt man als Bäckerei in Ostermundigen
Fachkräftemangel, Corona-Krise, Agglo-Blues. Das Backbord-Team um Lea Anliker und Lorenz Moser hätte die Backschürze schon einige Male an den Nagel hängen können – und hat doch weitergemacht. Zu Besuch in der Ostermundiger Backstube.
Samstag, halb sechs Uhr morgens in Ostermundigen. Die ansonsten so geschäftige Bernstrasse liegt noch unter dem Schleier der Nacht. In einem unscheinbaren Wohnhaus scheint Licht aus den Kellerfenstern – im Gewölbe kneten vier Menschen den Teig, formen Brioches und klopfen Brote aus der Kastenform. Der Ofen, Marke Baumann, made in Bern-Bümpliz, läuft auf Hochtouren.
Lorenz Moser füllt einen Korb mit frischen Buttergipfeli. Er lebt im gleichen Haus, in dem sich auch die Backstube befindet. Moser hat grosse, kräftige Hände, und wenn er von «Handwerk» spricht, erschliesst sich einem der Ursprung des Wortes sofort. «Gutes Brot backen, heisst malochen», sagt er.
Wenn Backbord Brot herstellt, versucht es den Einsatz von Maschinen möglichst gering zu halten. Jede Woche verarbeitet das Team um Moser zu nächtlicher Stunde rund 500 Kilo Bio-Mehl zu Backwaren.
«Die Mehlsäcke müssen bei uns in den Keller getragen werden», sagt Moser, der Industriebetriebe kennt, welche Rohstoffe in Rohren bis in die Backstube pumpen.
Viel Handarbeit und eine lange Triebführung des Teigs: Die Backbord-Methode braucht Zeit und Fachkräfte, die sich auf diese ursprüngliche Form des Handwerks einlassen wollen.
Das macht die Personalsuche für Backbord doppelt schwierig: Generell sind Fachkräfte im Bäckereiwesen knapp. Kommen Mitarbeiter von grossen Industriebetrieben zu Backbord, müssen sie häufig bei Null anfangen. «Zu unterschiedlich sind die Arbeitsabläufe und Philosophien», sagt Lea Anliker. Sie macht bei Backbord alles ausser backen, ist Kopf und Herz. 2003 hat sie Backbord mitgegründet und hat zusammen mit Lorenz Moser eine Familie.
Dünne Personaldecke bei Backbord
Weder auf nationaler noch kantonaler Ebene kann der Fachkräftemangel genau beziffert werden. Doch sowohl der Schweizerische Bäcker-Confiseurmeister-Verband (SBC) als auch die Bäcker-Confiseure Bern-Solothurn sehen ihre Betriebe auf Anfrage mit Personalengpässen konfrontiert – und betonen zugleich starke regionale Unterschiede. Wie auch in anderen Handwerksbranchen beginnen die Probleme bereits in der Ausbildung. 2019 ist in Bern-Solothurn die Zahl Lernender erstmals auf unter 100 gesunken, 2020 traten noch knapp 80 Personen eine Lehre an. Landesweit haben 2021 immerhin wieder leicht mehr junge Menschen eine Lehre als Bäcker*in, Konditor*in oder Confiseur*in gemacht. 482 Lernende waren es im vergangenen Jahr, im Vergleich zu 419 im Jahr 2020.
Wer nicht genug Personal hat, dem gehen Aufträge durch die Lappen: Backbord habe derzeit mehr Arbeit als es durch Mitarbeitende bewältigen könne, so Lorenz Moser. «Gerade habe ich dem Weihnachtsmarkt am Münsterplatz absagen müssen, weil wir es mit unserem Personal nicht stemmen können.» Für Backbord arbeiten neben Moser drei Personen mit einem 60-Prozent-Pensum. Jeder Ausfall macht sich da sofort bemerkbar.
So hiess es im Februar «Heute kein Märit-Verkauf» auf der Facebookseite, weil sich Moser bei einem Skiunfall verletzt hatte. «Alle anderen im Team mussten für mich mitarbeiten, das geht auf Dauer an die Substanz.» Kurzfristig geeignetes Ersatzpersonal zu finden, sei nicht möglich gewesen.
Verschmäht die Agglo gutes Brot?
Während es draussen langsam dämmert, ritzt Célina Knöpfli mit einem Messer feine Linien in den rohen Brotlaib. Sie ist gelernte Bäckerin und arbeitet seit sieben Jahren für Backbord.
Die Backstube ist erfüllt von der Wärme des alten Ofens. Jede Etage heize unterschiedlich stark ein, erklärt Knöpfli und schiebt ein Blech Kürbiskernbrote in den heissesten Bereich. Halbweisse Chnebu-Brote kühlen derweil auf den Holzgestellen aus.
Backbord und Ostermundigen – das ist eine spezielle Beziehung: Backbord kann gut in Ostermundigen leben, aber von Ostermundigen alleine zu leben, gelingt nicht.
«Wir sind in der Stadt stärker gefragt als in der Agglo», sagt Lea Anliker. Die Lieferungen an Beizen und Lädeli in der Stadt Bern sowie der Verkauf am Märit seien die wichtigen Standbeine.
Sinnbildlich dafür: Wer Backbord in Ostermundigen sucht, findet keinen Verkaufsraum. Dieser wurde schon vor Jahren aufgegeben und nur in der Corona-Zeit kurz wiederbelebt. Einzig eine alte Holzvitrine am Eingang der Backstube dient noch dem Verkauf. Nach dem Grundsatz «Es het, solangs het.»
Wer ein Brot oder eine Brioche mitnimmt, wirft Münzen in eine Kasse.
Für einen Laden, der regelmässig bedient werden muss, fehlt es in Ostermundigen an Kund*innen.
Man habe Hoffnungen in die Entwicklung des Quartiers Oberfeld gelegt, sagt Anliker. Aber zu wenige Menschen seien bereit, gezielt Backbord anzusteuern, um dort biologisches und handwerklich hergestelltes Brot zu kaufen. Tankstellenshops in unmittelbarer Nähe erschwerten das Leben zusätzlich. Es ist spürbar: Backbord hat einen Weg, ein Gleichgewicht gefunden, doch alles steht auf tönernen Füssen. Auch finanziell: Gewisse Rücklagen seien zwar vorhanden, sagt Anliker, aber wenn mehrere Maschinen gleichzeitig ersetzt werden müssten, könne es schnell knapp werden.
Im kleinen Team übernehmen alle mehrere Jobs. Lorenz Moser belädt an diesem Samstagmorgen den kleinen Camion und den Verkaufsanhänger. «Laden im Murifeld» steht auf einem der Lieferscheine. Doch das Gros der Backwaren geht an den Märit in der Münstergasse. Auch heute wird Moser hinaus nach Bern fahren, Ostermundigen verlassen – «Unser tägliches Brot gib uns heute», ruft die Stadt. Und die Agglo liefert.