Warum schwärmen Sie von Bern?

Seit letztem Sommer trainiert Imke Wübbenhorst die YB-Frauen. Sie stammt aus Ostfriesland, der Autor dieses Textes ist ganz in ihrer Nähe aufgewachsen. Ein Gespräch über Seitenblicke auf Bern und den Frauenfussball.

Porträt von Imke Wübbenhorst, YB Frauentrainerin fotografiert in Bern am 17.03.2023. (Jana Leu)
Imke Wübbenhorst lebt seit letztem Sommer in Bern. (Bild: Jana Leu)

Auf Heimatbesuch in Niedersachsen an Weihnachten 2022. Ein Blick in den Sportteil der Nordwest-Zeitung, jenem Blatt, das mich journalistisch sozialisiert hat. Ein YB-Logo blitzt mir entgegen. Daneben der Titel: «Warum Imke Wübbenhorst von Bern schwärmt»

Jetzt sitzt mir Imke Wübbenhorst in der Bar des Restaurants Eleven im Wankdorfstadion gegenüber. Und ich will von ihr wissen, ob sie denn wirklich von Bern schwärmt.

Frau Wübbenhorst, warum finden Sie Bern gut?

Imke Wübbenhorst: Bern hat kurze Wege, alles ist mit dem Fahrrad zu erreichen. Und die Natur ist immer nah: Ich liebe es, an der Aare bis zur Auguetbrügg zu joggen oder mit dem Hund in den Parks unterwegs zu sein. Ausserdem habe ich viele nette, höfliche Menschen getroffen, die in sich ruhen. Diese Ruhe geht mir manchmal ab.

Und in sportlicher Hinsicht?

YB ist ein Club, der mir sehr gutes Arbeiten ermöglicht. Auch YB strahlt für mich Ruhe aus: Es gibt gute Strukturen in der Führung, eine hochwertige Infrastruktur der Männer-Abteilung, auf die ich für unsere Trainings zurückgreifen kann. Und die Jugendarbeit ist sehr professionell. Wenn Spielerinnen der U19 zu uns in die erste Mannschaft kommen, sieht man fast keinen Unterschied. Klar gibt es noch Dinge, die ausbaufähig sind. Wir möchten die Sichtbarkeit des Frauenfussballs weiter fördern.

Porträt von Imke Wübbenhorst, YB Frauentrainerin fotografiert in Bern am 17.03.2023. (Jana Leu)
«Ich bin fleissig, aber vor allem auf den Fussball bezogen.» (Bild: Jana Leu)

Ein kurzer Schritt zurück: Sie sind in Ostfriesland aufgewachsen, einer Region im Nordwesten Deutschlands mit einem sehr eigenständigen Charakter. Was sollten Berner*innen über Ihre Heimat wissen?

Ich glaube, alle hier wissen, dass der Komiker Otto aus Ostfriesland kommt. Über Ostfriesland sagt man auch häufig, dass man dort schon am Tag zuvor weiss, wer am nächsten Tag zum Kaffee kommt. Es gibt einfach keine Barrieren, wie hier die Berge, die die Sicht einschränken könnten. Alles ist flach, mit Ausnahme der Deiche. Es gibt vergleichsweise wenig Infrastruktur: Wenn einmal ein Bus oder eine Bahn kommt, kann man sich freuen.

Und sonst?

Hier in der Schweiz fällt mir mehr auf, dass ich eine sehr direkte Art habe. In der höflichen Schweiz wird manches vielleicht persönlicher genommen. In Ostfriesland sind wir da etwas «robuster». Meine Eltern leben immer noch in Ostfriesland und mit ihnen viele Tiere: Mein Pony steht dort und kriegt sein «Gnadenbrot». Ausserdem leben die Nachkommen meiner Dalmatinerhündin, die mit mir nach Bern gezogen ist, auf dem Hof. Und eine Katze, die mir zugelaufen ist.

Zur Person

Imke Wübbenhorst, geboren im norddeutschen Aurich, begann ihre Trainerlaufbahn 2010 noch während ihrer aktiven Bundesliga-Karriere in der Nachwuchsabteilung des Hamburger SV, anschliessend wechselte sie zum BV Cloppenburg, wo sie Trainerin der C- und B-Juniorinnen war. 2016 wurde Imke Wübbenhorst Cheftrainerin in der 2. Frauen-Bundesliga in Cloppenburg. Im Sommer 2018 machte sie den Schritt in den Männerfussball und übernahm die 1. Mannschaft des BV Cloppenburg in der Oberliga Niedersachsen. Sie war die erste Frau in Deutschland, die ein Männerteam in einer derart hohen Spielklasse führte.

2019 wurde ihre Antwort auf eine sexistische Frage als Fussball-Spruch des Jahres ausgezeichnet.

Seit Sommer 2022 trainiert die 34-Jährige das 1. Frauenteam der Berner Young Boys. Wübbenhorst hat die höchste Trainerlizenz im Fussball und verfügt über ein Lehrdiplom.

Imke bedeutet auf Niederdeutsch: Imme, die Fleissige. Ist Fleiss etwas, das Sie auszeichnet?

Ja, ich bin fleissig, aber vor allem auf den Fussball bezogen. Bei vielen Dingen, die ausserhalb des Platzes liegen, bin ich dagegen etwas unstrukturiert. Auf meinem Computer-Desktop herrscht zum Beispiel ein Chaos. Und ich verliere oft mein Handy und die Schlüssel. Im Training hingegen weiss ich alles: Wo liegen die Leibchen, was brauchen meine Spielerinnen methodisch und didaktisch? Meine Arbeitswoche ist sehr strukturiert: Das letzte Spiel wird nach-, das nächste vorbereitet, ich studiere den Gegner, mache eine akribische Videoanalyse – das ist mein Pensum. Ich schaue auch sehr viel Fussball. Unter anderem in der Berner Goal-Bar…

…einer Institution in der Berner Fussballwelt. Was gefällt Ihnen dort?

Es ist ein angenehmer Treffpunkt für ganz unterschiedliche Menschen, die durch den Fussball verbunden sind. Ich habe verschiedene Bekannte, mit denen ich dort Matches schaue. In der Bar gibt es viele Bildschirme, auf denen gleichzeitig Partien laufen. Das kommt mir entgegen, weil ich mich häufig einfach nicht entscheiden kann. Ausserdem ist es schön, Spiele nicht nur aus meiner Taktik-Perspektive als Trainerin zu sehen, sondern auch mit Fans. Was spüren sie?

Porträt von Imke Wübbenhorst, YB Frauentrainerin fotografiert in Bern am 17.03.2023. (Jana Leu)
«Meine Spielerinnen wollen etwas lernen und sich weiterentwickeln.» (Bild: Jana Leu)

Wie motivieren Sie ihre Spieler*innen?

In meinem Team verdienen 70 Prozent der Spielerinnen gar nichts mit dem Fussball. Da ist die intrinsische Motivation besonders gross. Sie wollen etwas lernen und sich weiterentwickeln. Sie sind dankbar für mein Feedback und meine Hilfestellung. In dieser Hinsicht muss ich selten direkt als Motivatorin aktiv werden. Anders sieht es aus, wenn es darum geht, an die Leistungsgrenzen und darüber hinaus zu gehen. Spieler*innen müssen verstehen, dass 100 Prozent mehr bedeutet als das, was sie glauben, schon zu geben. Und das funktioniert über ein Ziel, das aus der Mannschaft heraus wächst. Dieses Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen ist ungeheuer wichtig: Gerade wenn man wie in meinem Fall Frauen trainiert, die ihre Freizeit nach der Arbeit opfern und trotzdem auch einmal auf der Bank sitzen müssen.

Im deutschen Fussball gibt es über 800 Trainer mit der höchsten Lizenz, aber nur rund 30 Frauen. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Die finanziellen Bedingungen und Voraussetzungen bei Frauen und Männern sind immer noch grundlegend andere: Trainerinnen haben sehr wenige Stellen im Profi-Fussball in Aussicht, von denen sie auch wirklich leben können. Bei den Männern ist das Gehaltsgefüge ein anderes. Ein Trainer, der beispielsweise zwei Engagements bei einem deutschen Zweitligisten hatte, kann sich sehr wahrscheinlich schon ein Eigenheim leisten. Bei den Frauen ist das bislang fast unmöglich. Die Diskrepanz bei den Trainerlizenzen fängt schon früher an: Spielerinnen setzen häufig auf eine gute Ausbildung und arbeiten in ihren Berufen. Viele Profi-Fussballer setzen dagegen alles auf die Karte Fussball. All diese Faktoren ändern sich erst langsam mit der Professionalisierung des Frauen-Fussballs. Bleibt die Frage, wie weit sich der Frauen-Fussball aber überhaupt an jenen der Spitzenverdiener bei den Männern angleichen soll, bei dem ab einem gewissen Niveau nur noch in Charter-Flügen von einem Spiel zum anderen geflogen wird und es sich um keine reflektierten Menschen mehr handelt, die auch in einem anderen Bereich der Gesellschaft eine Aufgabe übernehmen könnten.

Porträt von Imke Wübbenhorst, YB Frauentrainerin fotografiert in Bern am 17.03.2023. (Jana Leu)
«Fussball ist emotional extrem fordernd», sagt Imke Wübbenhorst. (Bild: Jana Leu)

Sie sind ausgebildete Lehrerin und haben auch schon unterrichtet. Können Sie sich vorstellen, irgendwann ins Klassenzimmer zurückzukehren?

Fussball ist emotional extrem fordernd: Wenn wir gewinnen, bin ich die ganze Woche gut drauf, wenn wir verlieren, schlecht. Es fällt mir schwer abzuschalten. Als Lehrerin sieht das anders aus. Man kann nach Hause gehen und den Job Job sein lassen. Die Stimmung hängt nicht davon ab. Insofern ist der Lehrerberuf mehr als nur eine Alternative für mich. Hinzu kommt: Als Trainerin kann ich schwer ein Umfeld aufbauen, was als Lehrerin durch den fixen Ort häufiger gelingt. Ich finde, es ist ein dankbarer Beruf. Die Kinder sind dankbar, wenn man fair, ehrlich und nett zu ihnen ist.

Worauf sind Sie neugierig – an der Seitenlinie und im Leben?

Ganz ehrlich: Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie die Berner Männer ticken. Ich starte also hiermit einen Aufruf – erklärt es mir! (lacht) Es ist schwierig, ein richtiges Umfeld ausserhalb des Fussballs aufzubauen, weil mein Arbeitsrhythmus als Trainerin so besonders ist. Und nach einem Spiel am Wochenende bin ich emotional richtig platt. Freunde habe ich schon einige gefunden – auch beim Altherrenfussball abends im Neufeld. Da kicken wir nach meinen Trainingseinheiten mit den Frauen und es macht einfach Spass.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Diskussion

Unsere Etikette
Hanspeter Zaugg
16. April 2024 um 17:55

Go ibee go und "Alles nur für St Pauli" und Union Berlin

Rajib Paul
27. April 2023 um 21:38

intelligente und lebensnahe frau.

Beat Baumgartner
11. April 2023 um 06:06

Ein spannendes Interview. Gute Fragen und interessante Antworten. Danke.