Altstadt Spezial

«Die Gasse lebt, das ist schön»

Magnus Bearth führt seit 27 Jahren die Bar Les Amis an der Rathausgasse. Er blickt zurück und spricht über die Trinkgewohnheiten der Gäste und seine eigenen, Lärmklagen und Freundschaften.

Magnus Bearth fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Eine Bar «von Freunden für Freund*innen». Magnus Bearth gründete das «Les Amis» gemeinsam mit seinen Freunden Michael Kropf und Leonhard Sitter. (Bild: Simon Boschi)

Vor 27 Jahren haben Sie gemeinsam mit Michael Kropf und Leonhard Sitter das «Les Amis» eröffnet. Wie war damals die Rathausgasse?

Magnus Bearth: Das Ambiente war ganz anders als heute. Es war eine verruchte Gasse. Nur drei Lokale gab es, die «3 Eidgenossen», das «Tübeli» und neu uns. Am Abend war es dunkel, es lief nicht viel, der Strassenbelag, der noch nicht aus Kopfsteinpflaster bestand, hatte Löcher. 

War es Ihre Vision, die Gasse zu verändern? 

Ich wollte die Gasse immer farbiger machen. Eine blaue Strasse, bunte Fahnen. Das haben wir jetzt quasi. Eine Beiz ist neben der nächsten, eine lässige Meile. Die Gasse lebt, das ist schön. 

Aber die Konkurrenz ist auch grösser als 1995?

Es gibt nichts Schöneres als das. Kurt Bürki, der frühere Miteigentümer der «3 Eidgenossen», sagte mir einmal: «Es gibt keine Konkurrenz, es gibt nur Leute, die auch etwas machen. Wenn du es schlecht machst, überlebst du nicht.»

Das heisst? 

Jede Beiz macht hier etwas anderes: Bier (zeigt auf «3 Eidgenossen»), irgendeine Mischung (zeigt auf das «Les Amis»), da und dort hast du Cocktails, weiter unten spanische Spezialitäten und dort den Italiener. Es gibt Unterschiede, aber keine Konkurrenz, nein. Das würde mir schlaflose Nächte bereiten, das will ich nicht. (lacht)

Magnus Bearth fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Es gibt nichts Schöneres als gute Konkurrenz», sagt Magnus Bearth. In der Rathausgasse biete jede Bar etwas anderes. (Bild: Simon Boschi)

Sie wollen sich gar nicht konkurrenzieren? 

Wenn mir das Eis oder der Wodka ausgeht, gehe ich zu einer anderen Beiz. Man hilft sich. Das läuft hier unkompliziert. Vielleicht ist genau das die Energie, die man in der Gasse spürt und die sich auf die Gäste überträgt. 

Wie hat das «Les Amis» zu dieser Energie beigetragen? 

Wir haben immer gesagt, dass wir eine Bar von Freunden für Freund*innen sind. Deshalb auch der Name. Und an dieser Idee hat sich nicht viel geändert. Es ist kein aufgezwungenes Konzept, sondern wir ziehen die Leute an, die so sind wie wir. Das kommt immer noch gut an und wird auch in 100 Jahren die Leute anlocken, wenn es jemand so weiterzieht.

Gibt es Gäste, die Sie von Beginn weg begleitet haben? 

Wir haben einige Gäste, die seit 27 Jahren hierher kommen und an den Stammtisch sitzen. Oder solche, die wiederkommen. Weil die Kinder aus dem Haus sind und sie jetzt wieder Party machen können.

Auch Gäste, die gleich alt oder jünger sind als das «Les Amis», kommen regelmässig. 

Mir ist gar nicht mehr so bewusst, wie lange das her ist. Ich habe immer noch das Gefühl des jungen Wilden im Herzen. Dabei bin ich nun ein alter Wilder.

Hauptstadt Fahne hängen, 
Sitzung im Politforum Bern
© Danielle Liniger
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Vom 8. bis 12. Mai 2023 gastierte die Redaktion der «Hauptstadt» im Demokratie-Turm des Polit-Forums Bern. Wir waren quasi lebender und arbeitender Teil der Wanderausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit». Vom Käfigturm aus erkundeten wir die Innenstadt und stellten dazu unseren «Hauptstadt»-Tisch in die Gassen und ins Warenhaus Loeb und führten daran Interviews. Den «Hauptstadt»-Tisch liess die Redaktion anfertigen, damit er künftig als mobiles Büro immer wieder zum Einsatz kommen kann.

Wie kam es zum «Les Amis»?

Michael Kropf, Leonhard Sitter und ich haben zuvor Caterings gemacht. Das war eine tolle Zeit und daraus haben wir die Idee gesponnen, eine eigene Beiz zu eröffnen. Wir waren jung, voller Tatendrang und wir wussten nicht, was uns erwartet. 

Und dann haben wir losgelegt. Haben die Wände rausgerissen, gegipst und umgebaut. Ich habe mein Auto verkauft, damit ich genug Geld hatte, um zu Mittag zu essen. Das war eine andere Szene damals und wir waren jünger, wilder und lauter.

Wie müssen wir uns das «Les Amis» zu Ihren wilden Zeiten vorstellen? 

Wir waren eine der ersten Beizen, die zuerst Essen angeboten und am späteren Abend Rock'n'Roll gemacht haben, indem wir die Tische zur Seite schoben und tanzten. 

Nicht zur Freude aller?

Die Stadt war sich das nicht gewohnt. Die Anwohnenden wollten uns weghaben. Und wir haben Petitionen lanciert und Unterschriften gesammelt, damit wir bleiben konnten.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass man das neue Lokal weghaben wollte?

Als Mensch wirst du geboren, du lernst, dann pubertierst du, machst Punk und irgendwann fügst du dich ein, wenn du Familie hast. Das habe ich auch für das Les Amis gelernt. 

Magnus Bearth fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Ein Miteinander sei auch mit der Nachbarschaft wichtig, sagt Magnus Bearth. Mit dieser Erkenntnis seien auch die Probleme kleiner geworden. (Bild: Simon Boschi)

Wie haben Sie sich konkret eingefügt?

Irgendwann habe ich nicht mehr getrötzelt. Ich ging an eine Versammlung des Leists, um mich zu zeigen. Am Schluss haben wir zusammen ein Glas Wein getrunken und die Mitglieder des Leists sagten: Magnus, du bist ja ganz ein Flotter.

Sie wurden erwachsen. 

Dieses Miteinander ist wichtig. Wir haben erkannt, dass wir die Philosophie, die wir im Les Amis leben, auch mit in die Nachbarschaft und in die möglichen Konflikte nehmen müssen. Von da an wurden die Probleme kleiner. Bald kamen andere Bars dazu und wir waren nicht mehr die einzigen Bösen.

Welche Rolle spielten die Behörden?

Ich erinnere mich an eine Sitzung, in der das Eis gebrochen wurde. Wir trafen uns mit dem Regierungsstatthalter und ein paar älteren Herren, die uns zu lärmig fanden. Wir waren mit dem Regierungsstatthalter – es war der heutige Stadtpräsident Alec von Graffenried – per Du. Und das sagte er auch am Anfang der Sitzung. Das machte viel aus. Es hat allen gezeigt, dass wir auf der gleichen Augenhöhe sind.

Was haben Sie gelernt? 

Es ist wichtig, dass es für alle aufgeht. Und darauf schauen wir. Aber wir haben auch unsere Berechtigung. Das war das Andere, das wir gelernt haben. Wir können und müssen nicht null Lärm machen. 

Magnus Bearth fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die Gäste trinken ausgewählter. Das «Les Amis» hat deshalb nicht mehr nur Bier im Angebot. (Bild: Simon Boschi)

Berns Altstadt gehört zum Weltkulturerbe. Ist das für die Beizen Würde oder Bürde?

Das ist sicher keine Bürde. Es bringt auch Touristen. Und es entstehen viele schöne Momente. Auf einmal sprichst du mit Menschen aus Peru, die hier auf ein Taxi warten.

Hat sich das Trinkverhalten im Laufe der Jahre verändert?

Früher waren wir eine Bierbeiz. Die ganze Rathausgasse war eine Bierbeiz. Heute trinken die Gäste ausgewählter. Es wird zwar immer noch am meisten Bier bestellt, aber früher war das um einiges mehr. Cocktails und Kaffee gehören heute genauso in eine Beiz. Ich finde das toll.

Wie hat sich Ihr Trinkverhalten verändert?

Ich habe sehr gerne Wein und Essen und ein Bier. Einfach im richtigen Moment. Die Masslosigkeit von früher ist heute weg. Während der Arbeit trinke ich Wasser oder Apfelsaft, am Feierabend ein Bier, Panaché oder ein Schnapsgläsli. Dann fahre ich mit dem Auto nach Hause. Eine Einheit geht.  

Sie betreiben neben der Bar eine Weinhandlung. Das ist viel.

Bis vor fünf Jahren habe ich alles selbst gemacht: Einkäufe, Warenlieferungen und 5 Tage die Woche 12 Stunden hinter der Theke stehen. Jede Stunde, für die du jemanden einstellst, musst du zahlen. Ich hätte mich am liebsten geklont.

Magnus Bearth fotografiert am 09.05.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Mehr für die Weinhandlung unterwegs: Magnus Bearth steht nur noch einmal pro Woche hinter der Bar. (Bild: Simon Boschi)

Das ging aber nicht. 

Ich habe starke Rückenschmerzen bekommen und ich brauchte jemanden, der oder die Warenlieferungen übernehmen und schwere Kisten tragen kann. So habe ich eines nach dem anderen abgegeben und für die Bar zwei junge Barcheffinnen angestellt. Eine der beiden war schon im Bauch ihrer Mutter, als diese bei uns in der Küche gearbeitet hat.

Das heisst, Sie sind nur noch im Hintergrund?

Ich bin die graue Eminenz, die schaut und die Zügel in der Hand hält. Aber ich bin auch sehr darauf angewiesen, zuzuhören, um zu wissen, was die Jungen wollen. Dabei hilft meine langjährige Erfahrung.

Keine Barschichten mehr schieben?

Ich arbeite nun mehr für die Weinhandlung. Am Montag stehe ich noch hinter der Bar, aber nur bis 21 Uhr. Bis um 2 Uhr morgens arbeiten und dann aufräumen, das mache ich nicht mehr. Das könnte ich auch gar nicht mehr. Ich bin 56. (lacht) Das Team schmeisst die Bar ohnehin besser ohne mich. Bier zapfen und die klassischen Cocktails mixen, das geht. Aber bei vielem Anderem muss ich nachfragen. Ich bin mehr der Gastgeber. 

Fiel es Ihnen leicht abzugeben? 

Ich merkte, ich kann abgeben und ich muss auch abgeben. Aber das braucht Vertrauen und die richtigen Leute. Mit ihnen ist das super. Ein junges, lässiges Team, das mich unterstützt.

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Diskussion

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Georg Wyler
23. Mai 2023 um 08:32

Und am Feierabend haben wir doch jeweils Gläser und Tassen getauscht vom 3E ins les Amis und umgekehrt. War sehr durchlässig das Gästeverhalten. Sowieso eine grossartige Geschichte damals, und der Spirit ist wohl ziemlich der gleiche bis heute, auch dank dir. Merci Mäge, Göge

Manuel C. Widmer
22. Mai 2023 um 18:53

Big Love, Mägen!