«Die Fusion ist eine coole Sache»
Die Finanzlage der Stadt entspanne sich etwas. Trotzdem verlangt Michael Aebersold (SP) von seiner Partei Disziplin beim Geld ausgeben. Energisch kontert er die Kritik der Wirtschaft an der Fusion mit Ostermundigen. – Teil 2 des Interviews mit dem Stadtberner Finanzdirektor.
Michael Aebersold, Sie haben schon mehrmals durchblicken lassen, dass die Rechnung 2022 wohl besser abschliessen wird als im Budget mit einem 50-Millionen-Defizit vorgesehen. Wissen Sie schon mehr?
Michael Aebersold: Wir sind am Abschluss. Die Rechnung wird deutlich besser ausfallen als budgetiert. Ich gehe davon aus, dass die Gefahr, ein weiteres Sparpaket zu schnüren, im Moment gebannt ist. Selbstverständlich müssen wir aber den Druck in der Finanzpolitik weiter aufrecht erhalten.
Wir haben es schon in Teil 1 dieses Interviews gesagt und können uns hier nur wiederholen: Sagen Sie das mal Ihrer Partei!
Logisch, wenn die Rechnung besser ausfällt, werden Leute aus dem linken Lager die Sparübung in Frage stellen. Auf der anderen Seite wollen die Bürgerlichen Steuern senken, sobald schwarze Zahlen in Sicht sind. Aber es gibt keinen Grund, die Handbremse zu lösen, in keine Richtung. Dafür habe ich saubere Argumente.
Welche?
Wir bräuchten Überschüsse von mindestens 20 Millionen Franken pro Jahr, um unseren jährlichen Investitionsbedarf von 130 Millionen Franken ohne zu hohe Neuverschuldung stemmen zu können. 80 Millionen Franken können wir selbst finanzieren. Für den Rest verschulden wir uns weiter, mal abgesehen davon, dass noch Zinskosten und Abschreibungen dazukommen. Und bei unerwartet guten Abschlüssen stellt sich eine zentrale Frage.
Nämlich?
Die Frage, ob Mehreinnahmen einmalig sind oder ob man wiederkehrend damit rechnen kann.
Wie kommt es, dass Ihre finanzpolitischen Erklärungen bei Ihrer Partei nur mässig fruchten?
Die SP hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Sparprogramm FIT nur mit kleinsten Änderungen durch den Stadtrat kam. Nun wollen wir das Budget 2024 so aufgleisen, dass kein weiteres Sparpaket nötig wird.
Eine Steuererhöhung ist damit vom Tisch?
Im Moment ist sie kein Thema. Wir müssen und können es trotz einer allfälligen Fusion mit Ostermundigen mit dem aktuellen Steuerfuss von 1,54 schaffen. Dennoch investieren wir weiter in die schon sehr hohe Lebensqualität, in Klimamassnahmen, Schulen und Begegnungszonen.
Jetzt kommen mehrere Referendumsabstimmungen auf Sie zu, die Einnahmen für die Stadt in Frage stellen: gegen die Erhöhung der Parkiergebühren, die Feuerwehrersatzabgabe, das Personalreglement mit dem Teuerungsausgleich.
Sehr wichtig aus meiner Sicht sind die Parkiergebühren. Ich bin aber zuversichtlich, dass diese in der Stadt Bern angenommen werden. Die finanziellen Auswirkungen des Personalreglements hingegen sind bescheiden. Der Teuerungsausgleich hat eigentlich nichts mit dem Reglement zu tun. Wir müssen die Teuerung zur Erhaltung der Kaufkraft ausgleichen.
Vor den Wahlen 2020 galt der Sitz von Michael Aebersold (61) als gefährdet. Der SP-Finanzdirektor hatte im Wahljahr überraschend ein Defizit in der Rechnung präsentieren müssen, was ihn zwang, ein Sparpaket zu schnüren. Zudem musste er die Bemerkung von Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) wegstecken, der ihn öffentlich aufforderte, in der Regierung dezidierter «den Wadenbeisser» zu spielen.
Aebersold schaffte die Wiederwahl allerdings locker, was er als Vertrauensbeweis der Bevölkerung «in meine seriöse Arbeit» taxierte. Aebersold wird, angesichts der schwierigen Finanzlage der Stadt, oft kritisiert. Allerdings scheint ihn das eher zu beflüglen als zu lähmen. Auch im Gespräch mit der «Hauptstadt» reagierte er auf kritische Fragen besonders argumentationsfreudig.
Auffallendstes Utensil im Eckbüro an der Bundesgasse ist (neben dem obligaten Sparschwein) eine Wachsfigur des verstorbenen Berner Mundartrockers Polo Hofer. Er sei ein Hofer-Fan der ersten Stunde, sagt Aebersold, noch heute vergehe kaum ein Tag, an dem er nicht eines seiner Lieder höre.
Aebersold ist seit 2017 städtischer Finanzdirektor. Zuvor war der frühere Handballer und Marathonläufer Stadt- und Kantonsparlamentarier, Co-Präsident der SP Stadt, SP-Fraktionschef im Grossen Rat. Beruflich war der promovierte Chemiker Chefbeamter im Bundesamt für Energie. (jsz/jow)
Der Stadtrat hat im Personalreglement einen Automatismus definiert, wonach die Stadt grundsätzlich den vollen Teuerungsausgleich leistet. Das stört Sie nicht?
Das Reglement enthält den Passus, dass man davon abweichen kann. Ich gehe davon aus, dass die Sozialpartner auch künftig die finanzielle Lage der Stadt berücksichtigen werden.
Aber die Verhandlungsposition des Finanzdirektors ist geschwächt.
Ich hatte eine gute Verhandlungsposition und gehe davon aus, dass ich diese weiterhin habe. Wir werden auch in Zukunft verhandeln. Und wenn die Teuerung 3 Prozent beträgt, die Stadt sich das aber nicht leisten kann, bin ich zuversichtlich, dass die Sozialpartner auch künftig einlenken werden. Auf die gute Sozialpartnerschaft konnte ich bisher zählen, unabhängig von der Formulierung des Reglements.
Ein weiterer Angriff auf Ihre Politik ist mit dem Referendum zum 3,7 Millionen Franken teuren Spielplatz im Untermattquartier in Bern West zustande gekommen. Wegen «Steuerverschwendung in Millionenhöhe», wie Ihre Kritiker sagen.
Ein Spielplatz fehlt in diesem Quartier nachweislich, und die plakative Kritik, es sei der teuerste Spielplatz der Schweiz, greift zu kurz. Die Stadt kauft eingezontes Bauland. Darum ist es teuer. Der Wert wurde sogar auf 5 Millionen Franken geschätzt. Letztlich kauft die Stadt eine Baulandreserve. Das ist sinnvoll, weil ihr Wert zunehmen wird.
Was passiert, wenn Sie die Referendumsabstimmung verlieren?
Dann kaufen wir das Land nicht, und es gibt keinen Spielplatz.
Charakteristisch für die rot-grüne Berner Finanzpolitik ist das Flair für die Schaffung neuer Stellen. Kürzlich wurde wieder eine Aufstockung kommuniziert, diesmal wegen der Aufwertung des Strassenraums beim Bau von Fernwärmeleitungen. Ist das wirklich nötig? Müsste die Verwaltung ihre Projekte nicht besser priorisieren?
Wir priorisieren sehr wohl. Hier geht es um Entsiegelung im Strassenraum, der wegen der Klimakrise wichtig ist. Wir können gleichzeitig mit den Arbeiten von Energie Wasser Bern diese Strassenumbauten planen. Das braucht Ressourcen, ist aber gleichzeitig günstiger, als Strassen zwei Mal aufzureissen.
Logisch. Aber warum kann die Stadt nicht an anderer Stelle etwas abbauen, um die Ressourcen bereitzustellen?
Grundsätzlich bauen wir mit dem laufenden Sparprogramm FIT Stellen ab. Aber wenn die Stadt wächst, dann wächst auch der Personalbestand. Wir bauen neue Schulhäuser. Wer schaut zu diesen? Einfach das bestehende Personal? Sicher nicht. Wir nehmen eine neue Schwimmhalle in Betrieb. Dafür benötigen wir 14 neue Stellen. Es ist ein Märchen, dass bei der Stadt die Angestellten Däumchen drehen.
Schwer verständlich ist aber, dass eine Stadt, deren Bevölkerung derzeit kaum wächst, ständig mehr Personal braucht.
Halt. Der Vorwurf, unsere Verwaltung sei aufgebläht, ist unbegründet. Die Bevölkerung wuchs über die letzten 10 Jahre um etwa 8 Prozent. Die Steuereinnahmen nahmen um 15 Prozent zu, die Schülerzahl um 30 Prozent. Wir haben gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel, der Personal absorbiert, zudem steigen die Ansprüche.
Muss man als Stadt alle Ansprüche befriedigen?
Wenn man substanziell Stellen abbauen will, dann stellen sich inhaltliche politische Fragen: Wie viele Sozialarbeiter*innen wollen wir in den Schulen? Wollen wir überall Ganztagsschulen? Der Punkt ist, dass diese Angebote, die das Stellenwachstum mitverursachen, politisch breit abgestützt sind.
Das wichtigste Projekt dieser Legislatur ist die Fusion mit Ostermundigen. In der Vernehmlassung zum Verhandlungsergebnis hörte man viel Kritik. Was haben Sie falsch gemacht?
Die Rückmeldungen sind mehrheitlich positiv. Nur die SVP und die Wirtschaft lehnen die Fusion zum heutigen Zeitpunkt klar ab.
Aber die Wirtschaftsverbände kritisieren massiv. Man sehe keine Vision, keine Strategie. Und es fehlten die Synergiegewinne.
Die wirtschaftliche Kritik verstehe ich nicht. Die Steuern in Ostermundigen würden ja gesenkt.
Aber warum gelingen mit der Fusion nicht mehr Synergiegewinne?
Weil wir sehr konservativ kalkulieren. Es wird Mehrkosten geben, weil in gewissen Bereichen das Angebot in Ostermundigen verbessert wird. Und wir haben keine Synergiegewinne eingerechnet, weil man bei anderen Fusionen sah, dass diese oft überschätzt wurden.
Warum ist das so schwierig? Man würde doch denken, eine Fusion bringt Einsparungen.
Die Schulanlagen müssen auch in einer fusionierten Gemeinde gewartet werden. Die Steuerrechnungen müssen für alle verschickt werden. Ich sehe da keine Einsparungsmöglichkeiten. Ein paar Stabsfunktionen können in der Verwaltung vielleicht abgeschafft werden, ja. Aber das sind nicht viele Stellen.
Eine Fusion gelingt nur, wenn Sie die Bevölkerung von den Vorteilen überzeugen können. Was ist Ihre persönliche Vision für eine fusionierte Gemeinde?
Wir werden grösser und stärker. Bern würde die viertgrösste Stadt der Schweiz. Man hätte mehr Gewicht im Kanton und auch national.
Was bringt das?
Mehr politischen Einfluss. Mehr Gewicht bei der Verteilung von Geldern für Zentrumslasten. Man kann zudem in einem grösseren Raum planen. Die Gemeindegrenze verschwindet.
Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten zögert. Und der Stadt gelingt es bisher nicht, ein Fusionsfeuer zu zünden. Kann man so die Berner Stimmbevölkerung überzeugen?
Die Abstimmung ist noch nicht gewonnen. Ich vermute aber, dass die Stadtbevölkerung eher Ja sagen wird. Für sie ändert sich nicht viel. Wir werden grösser, wir arrondieren und können grossräumiger denken. Und von Ostermundigen lernen, wie es auch einmal einfacher gehen kann.
Wenn Sie die Fusion wollen, müsste doch die SP nun für Euphorie sorgen.
Die SP steht hinter der Fusion und ist treibende Kraft. Nun lief die Vernehmlassung mit vielen technischen Details. Die öffentliche Diskussion geht erst los. Der Drive muss aber noch kommen.
Die Volksabstimmung zur Fusion findet zusammen mit den nationalen Wahlen am 22. Oktober 2023 statt. Hilft dieser spezielle Termin der Fusion?
Den Termin brauchen wir, um den Zeitplan einzuhalten. Ich bin zuversichtlich, denn die Fusion ist eine coole Sache.
Die Rolle als Finanzdirektor: Macht sie Ihnen noch Freude?
Es ist hochspannend, und ich habe ein super Team. Als Finanzdirektor ist man nicht immer beliebt, kann aber an vielen Orten mitreden.
Das heisst, Sie treten bei den nächsten Wahlen 2024 noch einmal an.
Das werde ich zu gegebener Zeit kommunizieren. Ich gehe voll motiviert in die zweite Hälfte meiner zweiten Legislatur.
Lies hier den ersten Teil des Interviews mit Finanzdirektor Michael Aebersold.