«Darf man Katzen halten?»

Wie sieht der Zoo der Zukunft aus? Tierparkdirektorin Friederike von Houwald wägt ab, ob es ethisch vertretbar ist, Tiere zur Unterhaltung der Menschen zu halten. Und erklärt, warum sie im Dählhölzli jetzt Käfer züchtet.

Friederike von Houwald
Im Dählhölzli setzt sie auf Nashornkäfer statt auf Nashörner: Tierparkdirektorin Friederike von Houwald. (Bild: Danielle Liniger)

Friederike von Houwald, in Zukunft will sich das Dählhölzli vermehrt auf einheimische Kleintiere wie Käfer und Mäuse fokussieren. Sind exotische Tiere jetzt out?

Nein überhaupt nicht, im Vivarium haben wir viele exotische Tiere. Aber die Aussenanlagen des Tierparks und der Raum dazwischen an der Aare und im Wald erstrecken sich über grosse Flächen. Dort möchten wir Kleintieren und Vögeln mehr Raum zum Leben bieten und so die Biodiversität fördern.

Das neue Motto «Mehr Raum für Vielfalt» ruft gemischte Reaktionen hervor. Während einige den Einsatz für den Schutz einheimischer Arten loben, kritisieren viele, in einem Zoo wollten sie «niedliche Tiere» sehen. Käfer lösen nicht gerade einen «Jö»-Effekt aus.

Ich finde es schade, wenn jemand vor einer Anlage steht, «Jö» sagt, ein Foto macht und weitergeht. So hat man das früher gemacht. Wir möchten erreichen, dass nach dem «Jö» ein «Toll» kommt, dass die Menschen anfangen, sich zu interessieren, mehr wissen wollen über die Tiere, über ihren Lebensraum, über die Lebensgemeinschaften. Der Zoo der Zukunft soll ein Ort sein, wo Zusammenhänge erklärt werden und wo man diese erleben kann.

Aber diese «Jö»-Tiere braucht es doch, damit die Leute überhaupt in den Zoo kommen.

Ein «Jö» ist nicht schlecht, wenn es das Interesse bei den Besucher*innen weckt. Es kommt darauf an, was man wie erreichen will. Im Dählhölzli wollen wir weder Zürich noch Basel kopieren. Wir bemühen uns, den Charme des Tierparks Bern zu erhalten und uns neben den exotischen Tieren im Vivarium auch für die regionalen und nationalen Arten zu engagieren. Wir haben grossartige Tiere wie Wölfe, Bären und Luchse. Aber wir werden garantiert kein Afrikanisches Nashorn ins Dählhölzli stellen, auch wenn so vielleicht mehr Besucher*innen in den Tierpark kämen.

Hirschkäfer
Hirschkäfer findet man in der Stadt Bern seit Jahrzehnten keine mehr. Das will der Tierpark ändern. (Bild: Danielle Liniger)

Neu wollen Sie Hirsch- und Nashornkäfer auswildern. Weshalb gerade diese Käfer?

Hirsch- und Nashornkäfer sind auf Stadtboden seit Jahrzehnten ausgestorben. Wir möchten diese Käfer hier wieder ansiedeln. Wenn man sich einen Hirschkäfer anguckt mit seinem Geweih, ist das imposant. Das hat vielleicht zur Folge, dass man sich anschliessend auch über weniger auffällige Käfer, über Käfer generell Gedanken macht. Wir haben uns für diese beiden entschieden, weil sie speziell sind und weil wir auch wissen, dass man mit einem zwei Millimeter grossen Käfer die Welt nicht begeistern kann. Leider.

Wofür benötigen wir überhaupt Käfer?

Unser Fortbestehen basiert auf Kreisläufen und Abhängigkeiten. Mensch und Tier brauchen Pflanzen, um zu überleben. Pflanzen brauchen guten Boden. Käferlarven zersetzen Totholz und tote Tiere und führen dem Boden so neue Nährstoffe zu, damit Pflanzen gedeihen können. Gleichzeitig räumen die Käfer auf – ohne sie würden tote Tiere im Wald liegen bleiben und verwesen. Ausserdem sind Käfer und Insekten wichtig als Nahrungsgrundlage für andere Tiere.

«Wenn die Menschen so mit der Natur umgehen würden, dass es den Zoo nicht mehr braucht als Ort, wo man dafür sensibilisiert, würde ich den Zoo sofort schliessen.»

Ist es noch zeitgemäss, Tiere zur Unterhaltung der Menschen in Zoos zu halten?

Ich stelle eine Gegenfrage: Dürfen wir überhaupt – auch ausserhalb der Zoos – Tiere zur Unterhaltung der Menschen halten? Dazu gehören für mich auch der Hund, die Katze, das Meerschweinchen, der Vogel, der Fisch, die Kuh, der Esel. Ich muss den Bogen noch weiter aufspannen: Dürfen wir Tiere für die Ernährung der Menschen halten – auch wenn man sich anders ernähren könnte? Da sagen dann ganz viele: «Ja, klar». Doch ich behaupte, dass es unseren Schweinen hier im Tierpark besser geht als jedem Schlachtschwein. 

Dann ist es ethisch vertretbar, diese Schweine im Zoo zu halten?

Man muss die Frage anders stellen. Wozu brauchen wir überhaupt Zoos? Wenn die Menschen die Natur so respektieren und so mit ihr umgehen würden, dass es den Zoo nicht mehr braucht als Ort, wo man dafür sensibilisiert, würde ich den Zoo sofort schliessen. Dann wäre ich wahrscheinlich der glücklichste Mensch der Welt, denn dann gäbe es genug Tiere und ausreichend Lebensraum für sie; wir hätten kein Problem mit der Biodiversität. Wir hätten kein Problem mit dem Klima. Wir hätten auch kein Problem mit der Überfischung der Meere

Also brauchen die Tiere nicht uns, sondern wir die Tiere?

Ich glaube schon. Wie will ich einem Kind beibringen, dass es achtsam sein muss? Ich glaube, dass die Natur im Moment mit Füssen getreten wird. Wir wären nicht an diesem Punkt mit hohen Zahlen an – auch einheimischen – Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind oder schon ausgestorben sind, wenn wir uns anders verhalten würden. Ich glaube, dass Kinder offen dafür sind, einen achtsamen Umgang mit Tieren und so auch mit der Natur zu lernen. Dafür müssen sie aber einen Zugang zu Tieren haben. Und sie müssen Fehler machen dürfen. Nicht jede private Schildkrötenhaltung ist optimal. Aber wenn man daraus lernt, trägt das vielleicht dazu bei, dass man sich Tieren gegenüber anders verhält, mehr Respekt hat. 

Die Anzahl der gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Tierarten nimmt zu. Experten sprechen von einem Massensterben. Können Zoos dieser Entwicklung entgegenwirken?

Ich bin Optimistin. Ich habe auch eine Tochter. Wenn wir wirklich wollen, dann können wir viel verändern. Aber wir können es nicht alleine. In der Vergangenheit hat man sich als Zoo oder NGO – in den jeweiligen Dachverbänden natürlich, aber dennoch – sehr solitär thematisch mit gewissen Bereichen beschäftigt. Jetzt müssen wir uns mit Partner*innen zusammentun. Wenn andere Bereiche nicht mitziehen, zum Beispiel die Wirtschaft, dann sind wir sehr ideell unterwegs.

Tierparkdirektorin Friederike von Houwald
«Warum darf der Löwe ein Huhn fressen oder ein Rind, aber nicht die Giraffe?»: Tierparkdirektorin Friederike von Houwald (Bild: Danielle Liniger)

Tierethiker*innen kritisieren, dass Zootiere nicht wieder ausgewildert werden können, weil sie in Gefangenschaft kein für das Überleben in freier Wildbahn nötiges Verhalten zeigen, oder weil ihr natürlicher Lebensraum zerstört wurde. Arten, die unter den künstlichen Bedingungen eines Zoos gehalten würden, hätten keinen Einfluss auf die Spirale des Artensterbens. 

Ich war selber in Projekte involviert, in denen genetisch wichtige Nashörner aus europäischen Zoos nach Afrika gebracht und ausgewildert wurden. Bei denen legt sich ein Schalter um und sie verhalten sich sehr natürlich. Das einzige Problem, das die Tiere haben, ist die Anpassung ans Klima und ans Futter. Und dafür nimmt man sich Zeit. Es ist richtig, dass es nicht überall Lebensräume gibt und Auswilderungen deshalb schwierig sind. Aber man kann Lebensräume auch wieder schaffen, gerade für kleinere Arten, für Vögel, für Reptilien und Amphibien. 

Wie sieht der Zoo der Zukunft aus?

Wir haben grosse, gut strukturierte Anlagen, verzichten darauf, möglichst viele Tierarten zu haben und legen den Fokus auf ausgewählte Arten, um die wir uns richtig kümmern. Zugleich setzen wir uns für Regionalität ein, sodass die Leute sich mit dem Thema verbunden fühlen. Wir haben hier vor der eigenen Haustür viele Arten, die Hilfe benötigen. Das kann man in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partner*innen im Zoo zeigen mit der Hoffnung, gemeinsam etwas bewirken zu können. Die andere Möglichkeit ist, dass wir alle Zoos schliessen. Aber wird es dann besser? Was mache ich mit den Kindern? Wir haben so viele Schulklassen, die zu uns kommen. Dann müsste ich sagen: «Ne, sorry, wir haben geschlossen. Guckt euch einen Film an!»

Zookritiker*innen sagen, in Dokumentarfilmen seien Wildtiere lebensnaher beobachtbar als in Zoos.

Dem muss ich widersprechen. Die Leute kommen in den Zoo, weil sie mit ihren Kindern etwas erleben wollen. Sie wollen sie mitnehmen auf eine Reise. Im Film geht alles extrem schnell, die Kinder können das gar nicht verarbeiten. Und ich glaube auch, der Rückschluss wäre, dass alle Erlebnisse nur noch digital stattfinden. Ich weiss nicht, ob das eine gute Vorstellung ist.

Durch die Haltung im Zoo beeinflussen wir die Lebensbedingungen von Tieren. Zucht beispielsweise bedeutet Vermehrung. In Zoos werden immer wieder Tiere getötet, wenn der Platz knapp wird. 2014 gab einen grossen Aufschrei, als im Kopenhagener Zoo eine junge Giraffe und vier Löwen getötet wurden. Als Zoodirektorin befinden Sie sich im Dilemma, den Tieren den Fortpflanzungstrieb zu nehmen, oder ihnen diesen zu lassen und überzählige Tiere töten zu müssen.

Ja. Aber: Wir halten Tiere. Die fressen Fleisch. Mäuse, Hühner, Wildschweine, Rehe und Steinböcke haben wir verfüttert, und alle finden das okay. Wenn das Tier aber einen schwarz-weissen Streifen oder ein gelbes Fell mit Flecken hat, dann gibt es einen Aufschrei. Dann frage ich mich: Warum darf der Löwe ein Huhn fressen oder ein Rind, aber nicht die Giraffe? Es ist eine Ermessenssache, was wir okay finden und was nicht. Ist es in Ordnung, dass wir Tiere in kleinen Ställen halten und sie züchten, damit wir sie konsumieren können? Im Tierpark werden Wisente unter fast natürlichen Bedingungen gehalten. Sollte es vorkommen, dass ein Tier im Zuchtprogramm keinen Platz bekommt und nicht anderweitig platziert werden kann, dann entscheiden wir uns für das Verfüttern. Es wird fachgerecht vor Ort getötet, hat keinen Stress durch den Transport und im Schlachthof. Dieses Fleisch erhalten unsere Wölfe, Luchse und Bären, meistens mit Fell und Knochen, was besonders wichtig ist für Raubtiere. Für mich stellt das einen Kreislauf dar, hinter dem wir stehen können. Wieso sollte ich den Wisenten den Fortpflanzungstrieb unterbinden und anschliessend eine Kuh kaufen, damit ich den Wolf füttern kann? 

Also soll ein Tier lieber geboren werden, sich fortpflanzen und dann sterben und verfüttert werden als alt werden und sich nicht paaren dürfen?

Das ist vielleicht etwas zu einseitig gedacht. Prinzipiell halten wir keine Wisente, um damit Raubtiere zu füttern. Die Zucht ist wichtig, um einen genetisch gesunden Bestand in Europa zu haben. Würde kein Zoo mehr züchten, dann würde eine Population in kürzester Zeit veralten und könnte nicht mehr zur Erhaltung ihrer Art beitragen. Es gibt aber auch noch einen anderen wichtigen Aspekt: Eine aktive Fortpflanzung wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Tiere aus. Überlegt man sich, was hormonell im eigenen Körper vorgeht, bevor, während und nach der Fortpflanzung, und später, wenn geboren wird, dann kann man das nachvollziehen. Diese Gefühle sind eine Bereicherung und auch für die Tiere wichtig. 

Seehundweibchen Rea und ihr Junges
Seehündin Rea hat am 17. Juli ein Jungtier geboren. (Bild: Danielle Liniger)

Im Dählhölzli sind gerade das erste Mal nach elf Jahren Elchzwillinge geboren worden, und das Seehundweibchen Rea hat auch ein Jungtier. Was geschieht mit den jungen Elchen, wenn sie grösser werden?

Die Elche sind Teil eines Zuchtprogrammes. Da gehen wir davon aus, dass sie gemäss Anweisung des Zuchtbuches platziert werden. Es geschieht wohl nicht so schnell, dass ein Elch verfüttert wird, aber wenn, dann wäre das für die Wölfe das natürlichste Futter, das wir ihnen geben könnten. 

Zum Abschluss noch eine Frage: Was raten Sie mir, wenn ich zwar gerne ins Dählhözli gehen würde, um mit meinem Göttikind die «härzigen Tierli» anzuschauen, gleichzeitig aber mit meinem Gewissen hadere, weil ich so eingesperrte Tiere zu meinem Vergnügen nutze?

Mein Gedanke: Vom Vergnügen zum Verständnis. Nehmen Sie sich Zeit. Packen Sie einen Feldstecher ein und ein leckeres Znüni, und kommen Sie am Morgen in den Tierpark oder spät am Abend. Dann sind nicht so viele Leute unterwegs und die Tiere verhalten sich anders. Ich würde ihnen raten, sich auf die Plattform vom Wisent-Steg zu setzen und die grossen Tiere zu beobachten. Und auch die kleinen – mit etwas Glück sehen Sie mit dem Feldstecher sogar einen Grün- oder Schwarzspecht. Dann würde ich anfangen, Geschichten zu erzählen: «Jetzt guck mal genau hin, wie geht der Wisent mit der Zunge, wenn er frisst, immer in sein Nasenloch? Kannst du das auch?» Ich glaube, etwas, was uns immer mehr fehlt, ist Zeit. Zeit füreinander, Zeit zum Beobachten. Doch nur wenn man beobachtet, versteht man die Dinge auch.

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Diskussion

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Marianne Schweizer
12. August 2022 um 08:42

Katzen hat es hier gebietsweise viel zu viele. Zuviel heisst für mich, wenn andere Tiere wie Eidechsen, Blindschleichen und Kröten usw. vom Katzenräuber stark dezimiert oder gar ausgerottet werden. In den letzten zwei Jahren ist schick geworden, sich einen Hund oder anderes Haustier anzuschaffen. Homeoffice sei Dank oder Fluch. Wenn ich z.B. am Wohlensee baden will, werde ich oft von Hunden angesabbert oder angebellt. Von den Herrchen und Frauchen dann mit strafendem Blick abgestraft, wenn ich ihre Lieblinge nicht so herzig finde.

Hans Peter Friedli
11. August 2022 um 09:03

...und was ist die Antwort auf die Titelfrage??