Berner Platte

Gestern wählte eine verschwindende Minderheit der Stimmberechtigten Regierung und Parlament des Kantons Bern. Die «Hauptstadt» fasst die Ergebnisse auch für Abstinenzler*innen in sechs Bildern kurz und knapp zusammen.

 Der neue Berner Regierungsrat
Frisch gewählt: Der Berner Regierungsrat. (Bild: Manuel Lopez)

Seit gestern ist klar, wer die politischen Geschicke im Kanton Bern in den nächsten vier Jahren lenken wird. Interessiert dich das? Nein? Dann bist du in guter Gesellschaft. Nie ist die Stimmbeteiligung im Kanton Bern so tief wie bei kantonalen Wahlen. Sie lag in diesem Jahr bei 31,2 Prozent (Regierungsrat) resp. 31,9 Prozent (Grosser Rat). Seit Jahren dümpelt sie bei 30 Prozent herum. Die Berner Wahlsiegerin ist die Wahlabstinenz.

Im Kanton Bern sind rund 70 Prozent der Einwohner*innen stimmberechtigt, denn Ausländer*innen und unter 18-Jährige können sich nicht beteiligen. Von diesen haben 30 Prozent gewählt. Mit anderen Worten: Nur ein Fünftel der Bevölkerung bestimmt, wer uns regiert.

Wer das Polizeigesetz überarbeitet, wie der Klima-Artikel ausgestaltet wird, wie die Schulen die Digitalisierung umsetzen.

Und weil das relevant ist, auch wenn es dich nicht interessiert, haben wir hier das Wichtigste der Wahlen möglichst knapp und klar in sechs Bildern zusammengefasst.

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Die Regierung des Kantons Bern: Christoph Neuhaus, Philippe Müller, Astrid Bärtschi, Evi Allemann, Christine Häsler, Christoph Pierre Alain Schnegg, Christoph Ammann. (Bild: Manuel Lopez)

Parteipolitisch bleibt in der siebenköpfigen Berner Regierung alles, wie es ist: Christoph Ammann (SP), Evi Allemann (SP), Christoph Neuhaus (SVP), Astrid Bärtschi (die Mitte), Philippe Müller (FDP), Christine Häsler (Grüne), Pierre Alain Schnegg (SVP). Neu ist einzig Astrid Bärtschi, die Beatrice Simon ersetzt. Mit anderen Worten: Die bürgerliche Mehrheit bleibt bestehen. Der Angriff von links ist – man kann es nicht anders sagen – kläglich gescheitert.

Die SP wollte mit dem Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr, der einen engagierten Wahlkampf hinlegte, die Wende zu einer rot-grünen Mehrheit schaffen, hatte aber nicht den Hauch einer Chance. Fehr fehlten 17’000 Stimmen auf Christoph Neuhaus, den am schlechtesten gewählten Regierungsrat. Die einzige Chance der Linken, im Kanton Bern die Mehrheit zu kippen, bestünde wohl dann, wenn sie es beim fixen Jurasitz versuchen. Pierre Alain Schnegg scheint aber unanfechtbar. Weil SVP-Kantonalpräsident Manfred Bühler aus dem Berner Jura die Wahl in den Grossen Rat schaffte, steht auch schon ein potenzieller Nachfolger bereit, falls Schnegg in vier Jahren aufhören möchte. Der Traum einer rot-grünen Mehrheit, falls ihn überhaupt jemand träumt, dürfte schon heute auch für 2026 ausgeträumt sein.

Marianne Schild und Michael Ruefer, GLP
Daumen hoch: Die Grünliberalen Marianne Schild und Michael Ruefer. (Bild: Manuel Lopez)

Die Grünliberale Marianne Schild – hier mit Parteikollege Michael Ruefer  – hatte gestern Grund zum Feiern: Sie gehört zu den Siegerinnen des Wahlsonntags. Die Stadtbernerin zieht neu in den Grossen Rat ein, die Grünliberalen legen kantonsweit um fünf Sitze zu. Der Kanton Bern, der sich wegen seiner Vielfältigkeit gerne als «Schweiz im Kleinen» bezeichnet, liegt damit auch politisch hundertprozentig im nationalen Trend. Seit den Eidgenössischen Wahlen 2019 folgen die Parlamentswahlen auf kantonaler Ebene folgendem Muster: Die Bundesratsparteien (SP, FDP, SVP, die Mitte) verlieren, die Grünen legen zu.

Im neugewählten Berner Grossen Rat ist es nicht anders: Neben den liberalen Grünen gewinnen auch die linken Grünen fünf Sitze, letztere überholen sogar die FDP und werden neu drittstärkste politische Kraft. Unter Grünspezialist*innen drängt sich die Frage auf, wie grün die grüne Welle tatsächlich ist, weil Grünliberale und linke Grüne einander nicht immer grün sind. Man kann es vielleicht so sagen: Die grüne Politik der Grünliberalen setzt eher auf technologische Optionen, den linken Grünen liegen staatliche Lösungen näher. In der Stadt Bern gibt es noch die Grüne Freie Liste (GFL), die dazwischen operiert. In Bern ist für alle Nuancen grüner Färbungen gesorgt – und ja, die Grünliberale Marianne Schild ist sogar die Schwägerin von Stadtratspräsident Manuel C. Widmer, der für die GFL neu in den Grossen Rat gewählt wurde.

Brigitte Hilty Haller, GFL
Lässt es krachen: Brigitte Hilty Haller, Grüne Freie Liste. (Bild: Manuel Lopez)

Brigitte Hilty Haller lässt die Korken knallen. Die erfahrene Berner Stadträtin ist – wie Manuel C. Widmer – für die Grüne Freie Liste (GFL) in den Grossen Rat gewählt worden. Der fliegende Zapfen steht in verschiedener Hinsicht für die politische Sonderstellung der Stadt Bern im Kanton. Die Wahlbeteiligung in der Stadt lag bei gut 37 Prozent und hat dafür gesorgt, dass die kantonale Beteiligung statistisch wenigstens über 30 Prozent stieg.  Der Frauenanteil bei den 20 Sitzen im Wahlkreis Stadt Bern liegt bei 60 Prozent (Gesamtkanton: siehe unten).

Und wäre es nach der Stadt Bern gegangen, hätte Rot-Grün im Regierungsrat die Wende locker geschafft: Evi Allemann machte das Spitzenresultat, der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr hätte den Sprung in die Regierung geschafft, und Christoph Neuhaus wäre abgewählt worden. Auch das Kantonsparlament wäre, hätte die Stadt Bern im Kanton das Sagen, deutlich nach links gerutscht. In der realen Welt bleibt aber auch im Grossen Rat praktisch alles beim Alten: Die Bürgerlichen (SVP, FDP, Mitte, EDU) besetzen 80 der 160 Grossratssitze, Rot-Grün verlor unter dem Strich einen Sitz an die Grünliberalen: Praktisch Status quo, Stadt Bern hin oder her.

Astrid Bärtschi (Die Mitte)
Blitzlichtgewitter: Astrid Bärtschi, neue Regierungsrätin. (Bild: Manuel Lopez)

Astrid Bärtschi wird glanzvoll in den Regierungsrat gewählt - und stellt so sicher, dass in der Exekutiven weiterhin drei Frauen und vier Männer sitzen, was einem Frauenanteil von 42,9 Prozent entspricht. Dieses Verhältnis spiegelt ziemlich genau auch den Grossen Rat. Dort beträgt der Frauenanteil neu 39,4 Prozent. So hoch war er noch nie. In den letzten 12 Jahren ist er kontinuierlich gestiegen.

Er liegt damit zwar unter demjenigen des Nationalrats (42%) und weit unter demjenigen des Berner Stadtrats, der bei der Wahl 2020 auf historische 68,8% stieg. Allerdings sind die Unterschiede pro Region frappant: Während neben Bern auch Bern Mittelland Nord, Biel-Seeland und Jura einen ähnlich grossen Frauenanteil aufweisen, besetzen im Oberaargau gerade zwei Frauen einen der zwölf Sitze (16,7%), im Oberland sind es drei Frauen auf 16 Sitze (18,8%).

Seraina Patzen, JA!
Los! Seraina Patzen, Grossrätin der Jungen Alternative. (Bild: Manuel Lopez)

Der 160-köpfige Grossrat ist deutlich jünger geworden - und Seraina Patzen (Junge Alternative/Grünes Bündnis) ist längst nicht die einzige, die diesen Aufbruch verkörpert. Zwar liegt das Durchschnittsalter im Rat bei etwa 50 Jahren, allerdings waren im vorherigen Rat zwei Drittel der Mitglieder über 50. Nun gibt es im Gegensatz zu vor vier Jahren zwölf Mitglieder unter 30 Jahren (vorher: drei). Der Anteil der Grossrät*innen über 60 Jahren hat von 51 auf 33 abgenommen. Junge Gewählte gibt es viele in den erfolgreichen grünen Parteien, so zum Beispiel in der GLP mit Simon Buri (Konolfingen) und Tobias Vögeli (Junge Grünliberale, Frauenkappelen) oder Elisabeth «Lisi» Dubler von den Jungen Grünen (Uettligen).

Mirjam Veglio, SP
Verlor ihren Grossratssitz: Mirjam Veglio, Co-Präsidentin SP Kanton Bern. (Bild: Manuel Lopez)

Die grosse Wahlverliererin ist die SP. Sie verliert ganze 6 Sitze, das ist einer mehr, als sie vor vier Jahren gewonnen hatte. Besonders bitter ist die Niederlage für die kantonale Co-Präsidentin Mirjam Veglio - sie wurde abgewählt. Insgesamt wurden 20 amtierende Ratsmitglieder abgewählt, sieben davon aus der SP. So zum Beispiel auch der Thuner Gemeinderat Peter Siegenthaler oder der Seeländer Juso-Mann Vinzenz Binggeli. Auch in anderen Parteien gab es prominente Abwahlen, so traf es die kantonale Geschäftsführerin der SVP Aliki Panayides ebenso wie SVP-Vielredner Alexander Feuz. Und auch Christine Grogg (EVP), die bei der Regierungsratswahl auf dem respektablen neunten Rang gelandet ist, reichte es nicht für die Wiederwahl.

PS: Über 100 Medienschaffende berichteten am Sonntag aus dem Berner Rathaus. Es ging zu und her wie in einem Bienenhaus. Als der neu gewählte Regierungsrat in corpore in den Rathaussaal schritt, fühlte man sich ein paar kurze Sekunden lang wie an einer schrillen Polit-Veranstaltung in den USA. Der Medienauflauf in Bern stand umgekehrt proportional zum Interesse, das die Medienkonsument*innen der kantonalen Politik entgegenbringen. Läuft hier etwas falsch? 

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Diskussion

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Thomas Brönnimann
14. April 2022 um 12:06

Das kann doch nicht sein, dass dieser Artikel unkommentiert bleibt. Fazit: Es ist parteipolitisch alles beim Alten geblieben. Auch die Stimmbeteiligung. Sehr tief. Hier meine These: Viele Leute sind im Grundsatz zufrieden mit der Politik. Für sie braucht sich nichts zu ändern. Politaktivisten haben sicher Mühe mit dieser These. Aber wenn man sich genauer anschaut wie unser Kanton und unsere Gemeinden politisch geführt werden, dann ist das aus Alltagssicht vieler Bürger:innen halt ganz ok und sie sind zufrieden und verzichten darauf ihr Wahlrecht auszuüben. Schade aber durchaus nachvollziehbar.