Flagge zeigen. Graffitis auch.
Ende August bekundete die Gemeinde Köniz öffentlich ihre Solidarität mit der Ukraine, kurz darauf stand sie als Kriegsleugnerin da. So prallt Symbolpolitik auf die Wirklichkeit, findet unsere Kolumnistin Annatina Foppa.
Es hätte so gut laufen können. Die Gemeinde Köniz hätte feierlich die ukrainische Flagge gehisst; gleichzeitig hätte die Protestband Pussy Riot auf einer zentralen, von der Gemeinde freigegebenen Wand eine Anti-Kriegs-Botschaft gesprayt und damit wäre Köniz’ Solidarität mit der Ukraine international verkündet worden.
Stattdessen lief es so: Die Gemeinde Köniz hisste am 23. August feierlich die ukrainische Flagge und verbreitete ihre Solidarität mit der Ukraine auf den eigenen Kommunikationskanälen. Wenige Tage später sprayte Pussy Riot illegal eine Anti-Kriegs-Botschaft auf eine abgelegene Mauer, wurde festgenommen und gebüsst. Das Graffiti wurde umgehend entfernt und Köniz und Bern international als kleinlich, brutal und Putin-freundlich wahrgenommen.
Dabei hatte sich die Gemeinde wenige Tage zuvor doch noch so solidarisch mit der Ukraine gezeigt! Entsprechend missverstanden fühlte sich der zuständige Gemeinderat und Kandidat fürs Gemeindepräsidium, Christian Burren. Er distanziere sich in aller Form vom russischen Angriffskrieg; die Gemeinde habe nach der üblichen Könizer Praxis gehandelt und sei nicht darüber informiert gewesen, von wem das Graffiti stamme.
Nun ja, man hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits auf blick.ch lesen können. Doch darum geht es hier nicht. Sondern um die «übliche Könizer Praxis». Es ist bedenklich, dass eine Gemeinde, die sich Solidarität mit der Ukraine auf die Flagge schreibt, bei der kleinsten Unregelmässigkeit blitzschnell wieder in die eingespielten bürokratischen Reflexe zurückfällt. Und sich nicht darauf besinnt, für welche Werte sie stehen will. Natürlich, Recht und Ordnung. Aber doch auch Flexibilität und die Bereitschaft, gegen Ungerechtigkeit ein Zeichen zu setzen. Oder es mindestens stehen zu lassen.
Um fair zu bleiben: Köniz hisst nicht nur Flaggen, in der Gemeinde leben aktuell auch 264 geflüchtete Ukrainer*innen. Umgekehrt war die Aktion von Pussy Riot im Könizer Fall vor allem ein symbolischer Akt. Dennoch erinnert die Könizer Vorgehensweise daran, dass Solidarität nicht nach Schema X oder Protokoll Y verläuft. Zeit und Ort und Art kann man sich nicht aussuchen. Manche Gastfamilien hätten sich vielleicht andere ukrainische Gäste gewünscht als die, die dann bei ihnen gelandet sind – jünger, älter, gesprächiger, ruhiger, aktiver. Doch sie beherbergten jene, die da kamen. Es kamen Menschen.
Für Präsidentschaftskandidat Christian Burren kam vor allem eines, nämlich die ungeplante Episode dem Wahlkampf in die Quere, auch wenn er es dadurch medial bereits zum «Bürgermeister von Köniz» (SRF News) und sogar zum «Bürgermeister von Bern» (Twittereintrag eines Pussy-Riot-Mitglieds) geschafft hat. Seine Kontrahentin Tanja Bauer nutzte die Gelegenheit, um zu verkünden, sie hätte das Graffiti nicht entfernen lassen – was natürlich einfach gesagt ist, fällt man das Urteil im Nachhinein und nicht mitten im Behördenalltag.
Doch auch für Burren ist es noch nicht zu spät, seine Entscheide zu überdenken. Der Gemeinderat könnte die Strafanzeige gegen die Sprayerinnen mit einer Busse von 1200 Franken zurückziehen. Jetzt weiss er ja, von wem das Graffiti stammt.
Annatina Foppa hat als freie Journalistin bei der «Berner Zeitung» ein besonderes Interesse an Köniz entwickelt. Den Beruf hat sie vor Jahren gewechselt, die Faszination ist geblieben. Für die «Hauptstadt» rückt sie monatlich die «Nebenstadt» Köniz ins Zentrum.