Eine Alternative zu Reitschule und Gaskessel

Nach dem «Tanz dich frei» 2013 wollte Bern mehr Ausgehmöglichkeiten für Junge schaffen. Passiert ist seither wenig. Ein neues Kulturlokal auf der Grossen Schanze soll das bald ändern.

Tankere
Au dem Zwischendeck der Grossen Schanze planen Tobias Moser und Philippe Eggenschwiler so bald wie möglich ein neues Kulturlokal zu eröffnen. (Bild: Danielle Liniger)

Wie lange dauert es, bis ein politisch unumstrittenes Projekt in der Stadt Bern umgesetzt wird? Das Beispiel eines geplanten Jugendclubs zeigt: Es können auch mal fast zehn Jahre vergehen.

2013 beschliesst die Stadt unter dem damaligen Präsidenten Alexander Tschäppät (SP), dass es für junge Erwachsene in Bern mehr Ausgehmöglichkeiten braucht. Festgehalten wird das im «Konzept Nachtleben». Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Wenige Monate vorher endete die dritte Ausgabe von «Tanz dich frei» in wüsten Ausschreitungen. Bereits ein Jahr zuvor hatte eine grosse Demo unter demselben Motto mehr Freiraum fürs Berner Nachtleben eingefordert. Wiederholt hatten Lärmklagen aus der Nachbarschaft Clubs und Restaurants in die Knie gezwungen.

Die Politik war sich einig: Das Ausgehangebot in Bern ist zu schmal – insbesondere für Personen im Alter von 16 bis 18 Jahren; es braucht einen Jugendclub.

Ein Lokal für alle

Gegen Ende dieses Jahres soll das Vorhaben nun endlich umgesetzt werden. «Wir planen ein Kulturlokal, das sich zwar an junge Erwachsene richtet, in dem aber alle willkommen sind», sagt Philippe Eggenschwiler. Gemeinsam mit Tobias Moser ist er Geschäftsführer des Vereins «Tankere», der das neue Lokal betreiben wird. Den beiden schwebt ein «Ort des generationenübergreifenden Austauschs vor, an dem alle akzeptiert sind». Mitfinanziert wird das Projekt von der Stadt, die mit dem Verein einen Leistungsvertrag abgeschlossen hat. Als Standort ist der ehemalige «Passion Club» auf dem Zwischendeck der Grossen Schanze vorgesehen. Jenes Lokal, das bis 2015 als Mad Wallstreet bekannt war.

«Im neuen Lokal wird ganztägig Betrieb herrschen.»

Tobias Moser, «Tankere»-Co-Geschäftsführer

Der von der Stadt erwünschte Jugendclub wird dabei nur ein Teil des Ganzen sein. Vorgesehen sind auch ein Gastronomieangebot sowie kulturelle Events. «Im neuen Lokal wird den ganzen Tag über Betrieb sein», sagt Moser beim Treffen vor Ort. Bereits bei früheren Ideen für ein neues Jugendlokal waren Workshops, Theaterauf- oder Filmvorführungen Teil des Konzepts.

Platz wird dafür reichlich vorhanden sein. Allein der Club wird mehreren hundert Leuten Raum bieten. Um das Lokal einladend zu gestalten, soll zudem die heute blickdichte Fassade zu grossen Teilen durch Glasscheiben ersetzt werden. Und während der warmen Jahreszeit wird die Terrasse Platz zum Verweilen bieten.

Reitschule, Gaskessel – und sonst?

«Es gibt in Bern grossen Bedarf an weiteren Orten für Menschen zwischen 16 und 18 Jahren», sagt Jacqueline Brügger. Sie ist Co-Präsidentin der Bar- und Clubkommission. Es brauche aber mehr als nur ein grösseres Ausgeh- und Partyangebot, sondern auch Raum in Form von Bandräumen oder Ateliers, so Brügger. «Orte wie beispielsweise das Jugendkulturhaus Dynamo in Zürich.»

Tatsächlich ist das Programm für Jugendliche und junge Erwachsene in der Stadt Bern dürftig: Einzig der Gaskessel und die Reitschule mit ihrem Vorplatz bieten Raum für Interessen und Aktivitäten von Jugendlichen. Ein mageres Angebot, wenn man bedenkt, dass allein in der Stadt Bern rund 4‘000 junge Menschen im Alter von 16 bis 19 Jahren leben und Bern als regionales Zentrum noch viel mehr Ausgänger*innen aus den umliegenden Gemeinden anzieht.

«Die Club-Pläne liegen fixfertig in der Schublade.»

Tobias Moser, «Tankere»-Co-Geschäftsführer

Eggenschwiler und Moser möchten deshalb lieber heute als morgen mit dem Umbau des neuen Kulturlokals beginnen: «Die Pläne dazu liegen fixfertig in der Schublade», so Moser. Vorerst bleibt diese Schublade aber noch zu. Ein laufender Rechtsstreit zwischen den Vormietern des «Passion Club» und der Vermieterin, der Grossen Schanze AG, verhindert den Umbau. Die Betreiber des Clubs haben sich nämlich geweigert, das Lokal pünktlich zum – bereits einmal verschobenen – Auszugstermin Ende April 2022 zu verlassen.

Es ist ein weiteres Kapitel im langwierigen Kampf für ein Jugendlokal in der Stadt Bern. Ein Kampf, der bisher zu frustrierten Jugendlichen, hässigen Nachbar*innen und überraschten städtischen Behörden geführt hat – nicht aber zu einem dauerhaft bestehenden Jugendlokal (siehe Box).

Der Jugendclub als Sprungbrett

Solange unklar bleibt, wann der Umbau tatsächlich beginnt, solange halten Eggenschwiler und Moser weitere Details zum künftigen Kulturlokal unter Verschluss. Zum Beispiel, was das gastronomische Angebot umfassen wird. Oder auch das Logo und den Namen des neuen Lokals. Anders als beim Club «Einspruch», der 2018 als temporäre Lösung in der Aarbergergasse eröffnet und in diesem Juni wieder geschlossen wurde, wird es künftig keinen Bezug zur Vorgeschichte mehr geben. «Wir wollen einen Neustart und mit der leidigen Vergangenheit abschliessen», sagt Eggenschwiler.

Zwei, die sich besonders auf das neue Lokal freuen, sind Thierry Riedo und Dario Gyger. Die beiden sind 21 und 24 Jahre alt und organisierten während der Zeit im «Einspruch» regelmässig House-Partys. Ihr Hauptpublikum: Junge Erwachsene im Alter zwischen 17 und 21 Jahren.

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Dario Gyger und Thierry Riedo wollen mit ihren House- und Tech-House-Events das Berner Nachtleben bereichern. (Bild: Danielle Liniger)

«Der Jugendclub war für uns eine ideale Chance, um erste Erfahrungen in der Eventorganisation zu sammeln», sagt Riedo. Weil ihre Partys auf grossen Zuspruch stiessen, gründeten sie mit «Affekt» vor einem Jahr ihr eigenes Label. Seither verfolgen sie das Ziel, dereinst von ihren Tätigkeiten als Partyveranstalter leben zu können.

Von der Party in den Zug

Im Gespräch betonen Riedo und Gyger die Notwendigkeit eines zusätzlichen Jugendlokals in der Stadt Bern. «Während der Pandemie wuchs unter Jungen der Bedarf nach Ausgang», sagt Gyger. Er beobachte das an seiner 17-jährigen Schwester, die bereits im «Einspruch» Stammgast war.

Ein grosser Pluspunkt des geplanten Kulturlokals sei der zentrale Standort, sind sich die beiden einig. Tatsächlich könnte das neue Lokal insbesondere für jene Jugendliche attraktiv sein, die mit dem letzten Zug wieder nachhause müssen. So beträgt die Gehdistanz vom Gaskessel zum Bahnhof rund eine Viertelstunde, vom geplanten Lokal auf dem Schanze-Zwischendeck hingegen keine zwei Minuten. Ein Fakt, der auch eher ängstlichen Personen entgegenkommt, da künftig der Heimweg durch dunkle Gassen entfällt.

Dass es nun – anders als ursprünglich geplant – nicht bereits im in einigen Wochen losgeht, sei ärgerlich, finden Riedo und Gyger. «So oder so wird das neue Kulturlokal aber eine coole Sache.»

Eine konkrete Prognose, wann das Lokal eröffnen wird, wagt derzeit niemand. «Wir sind diesbezüglich gebrannte Kinder», sagt «Tankere»-Co-Geschäftsführer Philippe Eggenschwiler. Eine nachvollziehbare Haltung, wenn man die lange Leidensgeschichte des Projektes bedenkt.

Die Leidensgeschichte des Berner Jugendclubs
  • Herbst 2013:

Die Stadt Bern beschliesst, dass in der alten Fahrzeughalle der Sanitätspolizei an der Nägeligasse ein Jugendclub entstehen soll. Junge sollen das Konzept aktiv mitgestalten. Weil auf dem Platz vor der Fahrzeughalle eine Tanksäule steht, wird der Verein «Tankere» genannt – auch der künftige Club soll so heissen.

  • Februar 2017:

Das Konzept des neuen Clubs wird präsentiert: Maximal 450 Gäste, Kulturveranstaltungen unter der Woche und Partys am Wochenende, kein Konsumzwang, Kosten von ca. zwei Millionen Franken und Eröffnung im Frühsommer 2018.

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An diesem Standort an der Nägeligasse sollte ursprünglich der Club «Tankere» entstehen. Vorne rechts im Bild ist knapp die Polizei-Kaserne am Waisenhausplatz zu sehen. (Bild: Danielle Liniger)
  • März 2017:

Rund 15 Anwohnende besuchen den Infoanlass zum neuen Club. Es herrscht gereizte Stimmung: Der geplante Club sei grösser als ursprünglich angenommen, von einem Aussenraum sei nie die Rede gewesen. Die Bewohner*innen der gegenüberliegenden Aare-Seite fürchten Lärm und drohen – trotz Beschwichtigungsversuchen – mit Einsprachen und dem Gang bis vor Bundesgericht.

  • April 2017:

Das Stadtberner Parlament sagt deutlich «Ja» zum Jugendclub: Mit 62 zu 1 Stimmen genehmigt es den Baukredit über 1,95 Millionen Franken. Die «Tankere» soll zu einem alternativen Treffpunkt für junge Erwachsene werden. Nur wenige Wochen zuvor war es im Umfeld der Reitschule zu Ausschreitungen gekommen.

  • Mai 2017:

Der Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) verteidigt den geplanten Jugendclub an einer Versammlung gegenüber den Anwohnenden. Die städtischen Behörden gehen nach wie vor davon aus, dass die «Tankere» bewilligungsfähig ist.

  • Oktober 2017:

Das Baugesuch wird publiziert. Es umfasst zusätzliche Massnahmen zur Reduktion von Lärmemissionen, wie beispielsweise mobile Schallschutzwände. Vorgesehen war bereits zuvor eine Lärmschutzschleuse, damit kein Konzertlärm nach draussen dringen kann.

  • November 2017:

Die Anpassung des Baugesuchs führt zu einer Verzögerung. Neu kann der Jugendclub frühestens Ende 2018 eröffnet werden. Die Stadt organisiert den jungen Erwachsenen deshalb ein Lokal im Calvinhaus im Kirchenfeld-Quartier. Partys sind während der mehrmonatigen Zwischennutzung nicht erlaubt.

  • März 2018:

Mit Ablauf der Frist sind 72 Einsprachen gegen den geplanten Jugendclub eingegangen. Das sind deutlich mehr als einst Personen den Infoanlass des Vereins besucht hatten. «Wir können nicht verstehen, wie viele Leute sich dem Dialog verweigern und dann einfach Einsprache machen», sagt Nadia Hamouda. Sie und weitere junge Erwachsene haben in den vier vorangegangenen Jahren etliche Stunden in die Konzepterarbeitung für den neuen Club gesteckt – nun droht das ganze Projekt zu scheitern.

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Sicht vom ursprünglich geplanten «Tankere»-Standort auf das Altenbergquatier – dazwischen liegt noch die Aare. (Bild: Danielle Liniger)
  • April 2018:

Die Stadtberner Regierung rechnet mit einer Bauverzögerung bis ins Jahr 2020. Sie prüft deshalb, ob sich eine Übergangslösung in einem der leerstehenden Kitag-Kinos realisieren lässt.

  • September 2018:

Im früheren «Bonsoir»-Lokal in der Aarbergergasse eröffnet der Club «Einspruch». Er ist offen für alle ab 16 Jahren. Den Namen wählen die Betreiber*innen in Anlehnung an den Widerstand gegen die «Tankere». Gleichzeitig halten sie fest: «Der Club ist ein Provisorium, bis wir die ‹Tankere› an der Nägeligasse eröffnen können.»

  • März 2019:

Die Stadt Bern begräbt das Projekt an der Nägeligasse. Stattdessen soll der Jugendclub in den Räumlichkeiten des «Passion Club» auf dem Zwischendeck der Grossen Schanze entstehen. Der Verein «Tankere» zeigt sich enttäuscht über das Nachgeben gegenüber den Einsprechenden, begrüsst aber den alternativen Standort.

  • Juni 2021:

Die Betreiber des «Passion Club» weigern sich auszuziehen. Der Mietvertrag ist bereits im September 2020 ausgelaufen. Nun geht die Vermieterin, die Grosse Schanze AG, auf ein Gesuch zur Mieterstreckung ein. Dies, weil ein juristisches Verfahren das Ganze zusätzlich in die Länge ziehen würde. Die Eröffnung des neuen Jugendclubs verzögert sich in den Frühherbst 2022.

  • Juni 2022:

Der Club «Einspruch» schliesst. Das «Provisorium» in der Aarbergergasse existierte vier Jahre und machte den Bedarf an einem Club für junge Erwachsene deutlich. Nach einer kurzen Sommerpause soll der definitive Jugendclub auf dem Schanze-Zwischendeck öffnen.

  • Juli 2022:

Trotz abgelaufenem Mietvertrag per Ende April weigern sich die Betreiber des «Passion Club», das Lokal bei der Grossen Schanze zu verlassen. Als Konsequenz kann der neue Jugendclub frühestens im Winter starten. Es ist die x-te Verzögerung in der Geschichte des Jugendclubs, die 2013 ihren Anfang nahm.

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Diskussion

Unsere Etikette
Yannick Suter
11. August 2022 um 20:35

Ich trauere immernoch dem Bonsoir nach. 😢

Pascal Burri
09. August 2022 um 07:06

Ich kann die Einsprachen nur bedingt bis gar nicht nachvollziehen. Kann mir dafür aber gut vorstellen, was für Leute sich da auf Vorrat schon mal enervieren und einsprechen. Passt aber leider auch zu Bern. Chancen erst mal im Keim ersticken als den Jugendlichen auch mal etwas zuzutrauen und ihnen Verantwortung zu übergeben.