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«Man wird von keiner Hütte aus mehr einen Gletscher sehen»

In den nächsten Jahren stehen in den Bergen grosse Veränderungen an – und damit werden wir auch mit neuen Gefahren leben müssen. Der «Hauptstadt»-Talk zum Nachhören und Nachlesen.

Hauptsachen Talk - Klimakrise in den Bergen
Progr Bern
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© Danielle Liniger
Engagierte Diskussion am Hauptsachen-Talk zum Thema «Wie steht es um unsere Berge?» (Bild: Danielle Liniger)

Fest steht: Die Berge werden sich in den nächsten Jahrzehnten massiv verändern. Darüber waren sich die Teilnehmenden am Hauptsachen-Talk am Donnerstagabend auf der Kleinen Bühne im Progr einig. Doch der Blickwinkel der vier Expert*innen unterscheidet sich.

René Maeder, Gemeinderatspräsident von Kandersteg, ist als Politiker für eine Gemeinde verantwortlich, die von einem Bergsturz bedroht ist. «Ich würde mir wünschen, dass der Spitze Stei in einer kleineren Tranche herunterkommt. Damit wir wissen, wie es wäre», sagte er am Talk unter der Leitung von «Hauptstadt»-Redaktorin Jana Schmid. Und gleichzeitig: «Der Baustopp beschäftigt die Leute in der Gemeinde mehr als der Spitze Stei.» Für ihn sei die Hauptfrage: «Wie viel Risiko sind wir bereit zu tragen?»

In Kontakt ist er mit Nils Hählen. Hählen leitet die Abteilung Naturgefahren Kanton Bern. Und ist verantwortlich für die Gefahrenzonenkarte, auf der ein grosser Teil des Zentrums von Kandersteg rot eingezeichnet ist – was bedeutet, dass dort die Bautätigkeit eingeschränkt ist. «Das Ziel des Risikomanagements ist es, dass die Massnahmen verhältnismässig sind und ein Leben in Bergdörfern weiter möglich ist», sagte Hählen am Talk. Dafür müsse man das Spektrum an Massnahmen auch erweitern.

Wie so ein Leben in den Bergen aussehen kann, erzählte Barbara Keller. «Es gibt eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Messungen und dem eigenen Gefühl», hat die Projektleiterin der Ausstellung «Wenn Berge rutschen» im Museum Alps festgestellt, als sie Bewohner*innen von Bergregionen zugehört hat. Das könne dazu führen, dass Einwohner*innen von Risikogebieten in den Bergen finden: «Die in Bern entscheiden, aber wir sind doch viel näher.»

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Barbara Keller weiss von der Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und Wissenschaft. (Bild: Danielle Liniger)

Wobei René Maeder klar betonte: «Wir verlassen uns auf die Wissenschaft, ich habe damit gute Erfahrungen gemacht.»

Somit war die Tonalität der Diskussion gesetzt, die im weiteren Verlauf respekt- und immer wieder auch humorvoll geführt wurde.

Baumgrenze verschiebt sich

Wie sich die Gefahren in den Bergen verändern, ist für die Wissenschaft laut Naturgefahren-Spezialist Nils Hählen sehr schwer abzuschätzen. Bisher habe man Prävention durch Gefahrenkarten betrieben. Man habe also in die Vergangenheit geschaut und so Prognosen für die Zukunft erstellt. Doch das funktioniere immer öfter nicht mehr. Zum Beispiel, weil es Entwicklungen gebe, die in Zukunft für grössere Lawinen spreche – und andere, die darauf hindeuten, dass die Gefahr eher kleiner wird.

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Philippe Wäger sagte, dass die Umbauten der SAC-Hütten aufgrund der Klimaerwärmung teurer werden. (Bild: Danielle Liniger)

Wie die Berge in Zukunft aussehen könnten, ist klarer. Philippe Wäger, der vierte Teilnehmer des Talks und Leiter Hütten und Umwelt beim SAC, führte das so aus: «Bis Ende Jahrhundert sieht man von keiner Hütte aus mehr einen Gletscher. Dafür wird die Hälfte der Hütten Ende Jahrhundert an der Baumgrenze liegen.» Das seien grosse Veränderungen, denn die meisten SAC-Hütten befänden sich auf 2500 bis 3000 Meter, eine Höhe, auf der sich der Permafrost erwärme und es «wirklich abgeht».

Für den SAC bedeute dies, dass man bei jeder Hüttenerneuerung klar überlegen müsse, wie es in der Hüttenregion in 30 Jahren aussehen könnte. Und dass die Umbauten teurer würden. Wäger wies auch darauf hin, dass es zwar für Berggänger*innen umfassende Gefahrenkarten für den Winter gebe, nicht aber für den Sommer.

Dinge verlaufen nicht linear

In den Bergen ereigneten sich zwar schon immer Steinschläge und Murgänge, aber sie nehmen zu. Alle Teilnehmenden waren sich allerdings einig, dass in Zukunft vermutlich mehr Bergwege wegen Naturgefahren gesperrt werden müssen.

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Wie sich die Gefahren in den Bergen verändern, sei sehr schwer abzuschätzen, sagte Wissenschaftler Nils Hählen. (Bild: Danielle Liniger)

Schliesslich erklärte Wissenschaftler Hählen noch, was ihm Sorgen mache: «In der Natur verlaufen viele Dinge nicht linear. Wenn etwas in die falsche Richtung geht, tut es zuerst lange nicht so fest weh, und wenn man endlich merkt, dass es weh tut, könnte es dann plötzlich schnell gehen.»

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«Man muss sich damit abfinden, dass das Gebiet ganz anders aussehen wird», sagte René Maeder. (Bild: Danielle Liniger)

Auch der Kandersteger René Maeder weiss, dass die Berge nicht dieselben bleiben werden. «Man muss sich damit abfinden, dass das Gebiet ganz anders aussehen wird», sagte er. «Aber für die Grosskinder wären ein paar Schneeberge schon schön.»

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