«Darf ich noch einen Cervelat essen?»

Martin Oesch ist Metzger und Illustrator. Er liebt beide Berufe, trotzdem kritisiert er die Fleischindustrie. In einem Comic verarbeitet er den inneren Konflikt ums Metzgen und Fleischessen.

La Boulotte fotografiert am 05.04.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Hat eine ambivalente Haltung zu seinem Metzgerberuf: Martin Oesch. (Bild: Simon Boschi)

Das Bild zeigt einen Bauern, der bei den Schweinen im Stall sitzt und ihnen sagt, dass sie leise sein sollen. Seine Frau ruft ihn. Der Lastwagen sei da. Daneben der Text: 

«Ich esse Fleisch. 

Ich bin gegen Massentierhaltung. 

Ich bin für eine nachhaltige, 

faire Landwirtschaft. 

Ich esse Fleisch, 

nur noch selten.»

Gerhart, Illustration von Martin Oesch, Herr Habegger
Der Bauer versteckt sich mit den Schweinen im Stall. (Bild: zvg/Martin Oesch)

Der Illustrator dieser und weiterer Comic-Skizzen ist Martin Oesch. Gleichzeitig ist er Metzger bei «La Boulotte», der Bio-Metzgerei am Breitenrainplatz.

Mit seinen Skizzen zeigt Oesch die verschiedenen Haltungen zur Massentierhaltungsinitiative, indem er die landwirtschaftliche auf die urbane Perspektive prallen lässt. Als klar wurde, dass die Initiative an die Urne kommt, habe er nicht anders gekonnt, erzählt er. Er habe seine Gedanken dazu auf Papier festhalten wollen. 

Oesch steht in einem inneren Konflikt. Denn einerseits liebt er den Metzgerberuf. «Auf der anderen Seite denke ich: ‹Gopf, man muss ja nur die Nachrichten schauen. Der Planet geht vor die Hunde!› Ist es noch adäquat, einen Cervelat zu essen?»

Seine Skizzen haben ihn zu einer Comic-Idee inspiriert. Im Mittelpunkt: Ein Metzger im letzten Drittel seines Lebens. Oesch reichte die Idee im Wettbewerb um die «Comic-Stipendien der Deutschschweizer Städte» ein und hat dafür im März 2023 ein Sonderstipendium in der Höhe von 5000 Franken erhalten. 

Das war der Startschuss für ein Comicbuch. Darin will er zeigen, was es heisst, heutzutage Metzger*in zu sein und dabei den Beruf kritisch zu hinterfragen.

Erwin 

Die Hauptperson des Comics heisse Erwin, erzählt Oesch. Er habe die Metzgerei von seinem Vater übernommen und schaue nicht in eine rosige Zukunft seines Gewerbes. Erwin sei deshalb etwas verbittert.

Es gebe viele originelle Figuren in Metzgereien, sagt Oesch. Die Inspiration zu Erwin fand Oesch deshalb bei vielen seiner früheren Chefs. Aber in Erwin seien auch sein Vater und er selbst drin. 

Erwin und das blinde Meerschweinchen, Illustration von Martin Oesch, Herr Habegger
Erwin muss ein blindes Meerschweinchen töten. (Bild: zvg/Martin Oesch)

Ein paar Seiten des Comics hat Oesch bereits auf seiner Webseite veröffentlicht. Sie zeigen Erwin; es geht ihm nicht gut. Er schläft schlecht, hat Alpträume. Einmal ruft jemand an mit einem Meerschweinchen. Es ist blind, der Tierarzt sei zu teuer. Das Tier wird in einem Schuhkarton vorbeigebracht. Darauf liegt eine 10er-Note, der Karton trägt den Aufdruck: «Just do it».

Tiere metzgen

«Essen ist etwas so Grundsätzliches, und wir wissen so wenig darüber», sagt Oesch. Es habe ihn schon immer beschäftigt. Er ist auf einem Hof mit grossem Garten und Kleintieren in der Nähe von Thun aufgewachsen. Sein Grossvater schlachtete die Tiere auf dem Hof selber. Wahrscheinlich hat ihn aus diesem Grund der Metzgerberuf schon in der Kindheit interessiert. Als Kind habe er sogar Gemüse gemetzget, später hat er eine Metzgerlehre gemacht. 

2018, nach dem Abschluss seines Studiums in «Illustration Fiction», baut er zusammen mit Bio-Bauern, Köchen und Quereinsteiger*innen die Bio-Metzgerei «La Boulotte» auf. Sie übernehmen eine alte Metzgerei am Breitschplatz. Im Team beginnt ein Diskurs. Sie sprechen über Ernährung, Landwirtschaft und tauschen Bücher aus. Eine Konsequenz aus den Diskussionen ist, dass «La Boulotte» die Schlachttiere selber aufzieht.

Dabei sei es auch essenziell, wie die Metzger*innen die Tiere schlachten. Fragt man Oesch nach der Art, wie es «La Boulotte» tut, wird seine Leidenschaft für den Beruf spürbar, sein Gesicht erhellt sich. Die Metzgerei verfolge den Ansatz «Nose to Tail», sie will also jeden Teil des geschlachteten Tieres verkaufen. Das sei ihnen wichtig, weil sie mit eigenen Tieren arbeiten. Und es sei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch nachhaltig sinnvoll. 

La Boulotte fotografiert am 05.04.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Ich würde nicht mehr in dem Beruf arbeiten, wenn es ‹La Boulotte› nicht gäbe», sagt Martin Oesch. (Bild: Simon Boschi)

Um den «Nose-to-Tail»-Ansatz umzusetzen, haben Oesch und sein Team andere Länder und deren Schlachtkulturen angeschaut. Denn überall würden Tiere anders gemetzget. Wenn man wisse, wie und wo schneiden, könne man zum Beispiel aus einem Schulterstück, das sich als Braten eigne, ein Stück zum Kurzbraten machen, sagt er. 

Oesch und auch die anderen Mitarbeiter*innen der «La Boulotte» seien «keine klassischen Fleischtiger». Allen sei bewusst, wie viel Fleisch koste. Es habe wohl auch mit seinem Freundeskreis zu tun, den er als «vegan, alternativ, mit hohem Bildungsniveau und tiefem Kontostand» beschreibt. 

Und er ist sich sicher: «Ich würde nicht mehr in dem Beruf arbeiten, wenn es ‹La Boulotte› nicht gäbe.» Es sei ein anderer Groove als in einer ländlich geprägten Metzgerei. Es ist ihm wichtig zeigen zu können, dass eine linksalternative «Bubble» etwas Währschaftes hinbringen könne. «Wir können auch rau sein, und das ist auch cool.» 

Die Fleischbranche sei hart. Seit 40 Jahren sinken Preise und Qualität: Das führe zu weniger Umsatz, und dazu komme die Schwierigkeit, Nachwuchs zu finden. Auch «La Boulotte» habe zu kämpfen. Das mache etwas mit einem, findet Oesch. «Ich weiss nicht, wie lange es noch Metzgereien gibt. Die Leute werden zwar noch lange Fleisch essen.» Aber viele würden den Mehrwert einer Metzgerei nicht kennen und ihre Wurst beim Grossverteiler kaufen.

​​50 Kilo Fleisch pro Kopf

Oeschs Projektskizzen zeigen eine Gruppe von Menschen mit Schildern vor einem Schweinestall, die dem Bauern sagen: «Wir wollen nur, dass die Schweine aus dem Stall raus können.» Das nachfolgende Bild zoomt heraus: Der Schweinestall steht an einem Ort, wo rundherum Autostrassen gebaut sind. 

«Mir wei nume das die Söili usä chöi.» Martin Oesch - Herr Habegger
«Wir wollen nur, dass die Schweine aus dem Stall raus können.» (Bild: zvg/Martin Oesch)
Saustall umringt von Autostrassen
Der Schweinestall ist umrundet von Strassen. (Bild: zvg/Martin Oesch)

Wenn die Schweizer Bevölkerung weiterhin an ihren Ernährungsgewohnheiten festhalte, brauche es die Fleischindustrie, sagt Oesch. Im Jahr 2022 essen Schweizer*innen im Schnitt gut 50 Kilo Fleisch im Jahr, so die Statistik von Proviande Schweiz. Insgesamt gingen über 450’000 Tonnen Fleisch über die Theke. Davon sind 6.2 Prozent Bio. 

Er selbst könne ein Tier töten und es dann essen. Doch die Industrie sei problematisch. Denn wenn das Töten industrialisiert werde und am Fliessband geschehe, dann könne der Moment des Tötens nicht mehr korrekt ablaufen. 

Oesch stellt sich Fragen, die viele beschäftigen: Dürfen wir noch Fleisch essen? Und wenn ja, wie sollten die Tiere gehalten werden? Liegt der Metzgerberuf im Sterben? Gibt es Alternativen?

Mit seinem Comic versucht Oesch, Antworten zu finden. Wer weiss, vielleicht wird Erwin auf seine alten Tage Vegetarier.

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Diskussion

Unsere Etikette
Simone Prodolliet
11. Mai 2023 um 09:03

Der solidarische Bauernhof Radiesli in Worbboden bietet Fleischabonnemente von freien, hofgeschlachteten Tieren

https://radiesli.org/

Joël Oggier
07. Mai 2023 um 19:03

https://www.onkelurs.com/metzgimhoflade als Ergänzung!

Ruedi Muggli
06. Mai 2023 um 08:04

Danke für den Bericht, jetzt weiss ich, wo es in Bern noch verantwortungsvolles Fleisch zu kaufen gibt. Ich habe sonst nur noch Fleisch von natur-konkret im Internet gekauft (Freilandrinder von den früher verlassenen Tessiner Alpen).