Nur ein Tropfen auf den heissen Stein?
Immobilien, die der Bund für seine Verwaltung belegt, in der Stadt Bern zu dringend benötigtem Wohnraum umnutzen: Wäre diese Idee umsetzbar und mit welchen Konsequenzen?
Nur wer die letzten Jahre unter einem Stein, statt beispielsweise in der Länggasse, Lorraine oder Breitenrain gelebt hat, wird Folgendes erstaunen: Der Wohnraum in der Stadt Bern ist knapp und begehrt.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Die Leerwohnungsziffer in der Stadt Bern sank im vergangenen Jahr abermals, und beträgt neu nur 0,45 Prozent. Bei Werten unter einem Prozent sprechen Expert*innen von Wohnungsnot. Von rund 78‘500 Wohnungen auf Stadtgebiet standen am Stichtag nur 272 Wohnungen zur Miete oder Verkauf offen.
Wie könnte da Abhilfe geschaffen werden?
Leser Anthony Neidhart hat sich darüber Gedanken gemacht und vermutet: Wenn Bund, Kanton und Stadt sich von ihren attraktiven Immobilien auf Stadtgebiet trennen würden, könnten Hunderte von Wohnungen und Häuser dem Wohnungsmarkt zugeführt werden.
Konzentrieren wir uns in der Bundesstadt Bern auf den Immobilienbesitz des Bundes. Für den Bau, Unterhalt und Betrieb der Liegenschaften des Bundes ist das Bundesamt für Bauten und Logistik, kurz BBL, verantwortlich. Im Raum Bern befinden sich laut BBL über 26'000 von den rund 33'000 Büroarbeitsplätzen der zivilen Bundesverwaltung der Schweiz. Auf Stadtgebiet gebe es rund 80 Immobilien in Bundesbesitz, teilt das BBL auf Anfrage mit.
Attraktiv für wen?
Wie sähe es aus, wenn diese aufgegeben würden, damit dort Berner*innen eine neue Bleibe finden können?
Anruf bei Bernhard Eicher, der beim Immobilienberater Wüest Partner das Berner Geschäft verantwortet. Er gibt zu bedenken, dass die Umnutzung von Bundesimmobilien keine Frage von «ein bis zwei, sondern eher fünf bis sieben Jahren» sei. Zunächst sei zu prüfen, ob sich die jeweilige Liegenschaft überhaupt für Wohnraum nutzen lasse, beziehungsweise ob die Kosten eines Umbaus zu rechtfertigen seien.
Auf der rechtlichen Ebene müssten Gebäude ausserdem vom Verwaltungs- ins Finanzvermögen des Bundes überführt werden. Die Bauklassen- und Zonenplanungen bräuchten ebenfalls eine Änderung.
Und für Bürger*innen entscheidend: Soll die zentrale Lage einer jeweiligen Bundeseinrichtung wirklich aufgegeben werden? Immerhin sei sie so für eine grosse Zahl Menschen gut erreichbar. Das müsse von Fall zu Fall geprüft werden, so Eicher.
Der Immobilienexperte nimmt auch die Perspektive der Bundesangestellten ein: Arbeitsorte in Zentrumsnähe seien beliebt – das zeigen auch die Büromieten in diesen Lagen: «Sie steigen immer noch, während sie an der Peripherie stagnieren oder gar sinken», so Eicher. Vor zehn Jahren sei es genau andersherum gewesen. Anders gesagt: Wenn Büros im Zentrum wegfallen, könnte es weniger attraktiv sein, für den Bund zu arbeiten.
Umzug geplant
Die Alternative zur Zentrumsimmobilie wäre ein zentrales Bürogebäude an der Peripherie. Eicher denkt dabei zum Beispiel an Ittigen oder das Liebefeld, wo solche Projekte in den vergangenen Jahren schon umgesetzt wurden. Auch in Zollikofen hat ein solches Verwaltungszentrum im vergangenen Jahr geöffnet. Und in der Tat plant der Bund, schrittweise 1000 Arbeitsplätze aus den Quartieren der Stadt Bern in die Agglomeration zu verlagern, wie aus dem jüngsten «Unterbringungskonzept» hervorgeht. Konzentriert werden soll die Belegschaft auf sogenannte Campusstandorte. Neben den erwähnten Standorten Ittigen Liebefeld und Zollikofen zählen dazu auch der Guisanplatz oder Bümpliz Nord. Nicht mehr benötigte Gebäude sollen laut BBL verkauft oder im Baurecht abgegeben werden. Dabei werde auch das Potenzial für die Wohnnutzung geprüft, wie es auf Anfrage heisst.
Damit zurück zur Ausgangsfrage: Würde eine Umnutzung die Wohnungsnot lindern, sofern alle anderen Hürden genommen wurden? Eicher rechnet vor: Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass aus einem Grossteil der Bundesimmobilien im Zentrum Wohnungen werden können, seien das nur ein Prozent des gesamten Wohnungsbestands der Stadt Bern. «Das ist nicht Nichts, aber auch kein allzu grosser Sprung», fasst Eicher zusammen.
Er geht davon aus, dass sich die Wohnungsknappheit bei anhaltendem Bevölkerungswachstum in den kommenden Jahren sogar noch zuspitzen wird. Landreserven werden deshalb noch begehrter – zudem bleibt noch die Möglichkeit der Verdichtung innerhalb der Quartiere, wenn dies nicht schon geschehen ist.