Zäziwiler Freiluft-Kultur
Sechs junge Menschen reduzieren ihre Arbeitspensen und organisieren ein Open-Air-Festival in Zäziwil im Emmental. Was treibt sie an?
Was tun, wenn man im Emmental aufwächst und lieber Livemusik hat als Bar- und Pub-Veranstaltungen? Man organisiert ein Open-Air-Festival nach eigenem Geschmack, dachten sich die Geschwister Andri, Leonie und Flurin Baumgartner aus Mirchel.
Zusammen mit Irina Leitsoni und den Brüdern Luca und Lino Fiechter veranstalten die vier vom 23. bis 25. Juni auf dem Grossmatthof in Irinas Heimatdorf Zäziwil das «Stäcketöri Freiluft Festival».
Alle sind sie zwischen 20 und 23 Jahre alt, haben keine Erfahrung im Festivalbereich und kein finanzielles Polster – aber eine Vision: Ein Festival mit bis zu 5000 Besucher*innen pro Konzerttag, an dem sich jüngere und ältere Menschen, Stadt- und Landbewohner*innen wohl fühlen und die Musik bekannter Schweizer Bands geniessen.
Ein Blick auf die Berner Festivallandschaft zeigt: Das Vorhaben des «Stäcketöri»-Teams ist mutig. Von 1994 bis 2013 gab es auf der Moosegg das «Woodrock-Festival», im Schangnau von 2000 bis 2011 und noch einmal 2016 das «Out in the Kraut» mit bis zu 6000 Besucher*innen. Beide Festivalteams entschlossen sich, unter anderem wegen unsicherer Besucherzahlen und dem damit verbundenen finanziellen Risiko, die Festivals nicht mehr durchzuführen.
Dieselben Faktoren machen anderen Veranstalter*innen auch gegenwärtig zu schaffen: Das «Gurzilla-Festival», das dieses Jahr in ähnlicher Grösse wie das «Stäcketöri» das erste Mal in Biel hätte stattfinden sollen, musste gemäss Organisator*innen wegen des «unterirdischen Vorverkaufs» abgesagt werden.
«Vertrauen in uns selbst»
Wie finanzieren sechs junge Menschen bei dieser Ausgangslage ein Festival? Die Frage bringt alle zum Lachen. «Niemand von uns steht finanziell gut da, aber wir haben Vertrauen in eine gute Idee. Und in uns selbst», sagt Luca. Auch Risikobereitschaft spiele bei ihm eine Rolle.
Doch das Risiko sei kalkuliert, wie Lino präzisiert: «Wir haben, abgesehen von einigen kleinen Sponsoringbeträgen, keine Vorfinanzierung und haben uns entsprechend organisiert.» Sie hätten zu Beginn alles durchgerechnet. Die meisten Bands müssen erst am Tag des Auftritts oder danach bezahlt werden. «Mit 2000 verkauften Tickets pro Tag und den budgetierten Einnahmen aus dem Getränkeverkauf sind die Ausgaben gedeckt.» Das genaue Budget will das Team nicht nennen, nur, dass es sich um einen mittleren sechsstelligen Betrag handle.
Mit ihrem Konzept konnten die Veranstalter*innen namhafte Schweizer Bands überzeugen. An den beiden Konzerttagen treten neben national bekannten Acts wie Steiner und Madlaina, Swiss-Music-Award-Gewinnerin Joya Marleen und der Mundartband Troubas Kater international berühmte Bands auf: Black Sea Dahu und die Pedestrians. Kummerbuben-Sänger Simon Jäggi spielt als Birdmann Jäggi auf, Newcomer wie Z The Freshman & Hotel Samar und lokale DJs ergänzen das Line-up.
Eine Lagerfeueridee wird gross
Entstanden war die Festivalidee noch vor der Pandemie beim Singen am Lagerfeuer. Andri, Leonie, Flurin und Irina engagieren sich als Lagerleiter*innen in einer Jugendorganisation. «Für die Sommerlager bauen wir viele Sachen auf und schon nach einer Woche wieder ab», erzählt Leonie. Lagerplatz und Infrastruktur wollten sie für ein kleines Festival nutzen. «Und dann wurde das Projekt immer grösser.»
Grösser wurde auch das Organisationsteam: Die vier lernten Lino kennen. «Sie sagten: Wir machen ein Festival, mach doch mit», erzählt der Berner. Er stieg ein und brachte seinen Bruder Luca ins Team.
Zu sechst begannen sie im August mit den Vorbereitungen. In ihrer Freizeit suchten sie einen geeigneten Festivalplatz, verteilten Aufgaben, erstellten eine Webseite. Diejenigen, die konnten, reduzierten ihre Arbeitspensen. «Zusammengerechnet stecken wir seit September etwa 200 Stellenprozente in die Festivalorganisation», sagt Lino, der für Booking und Kommunikation verantwortlich ist.
Hauptberuflich arbeitet Lino als Velokurier, Leonie als Pflegefachfrau, Luca in der Gastronomie, Irina als Klassenassistentin, Flurin leistet Zivildienst und Andri studiert an der Pädagogischen Hochschule. «Wir alle machen das zum ersten Mal», sagt Luca. «Es interessiert uns, aber das heisst ja nicht, dass wir es können.»
Und so erfragten sie, was sie wissen mussten. Von Agent*innen lernten sie, wie man Künstler*innen bucht, von der Gemeinde, welche Bewilligungen sie brauchen und von der BKW Energie AG liessen sie sich erklären, wie man Stromleitungen aufs Gelände zieht. «Die Zuständigen haben uns gerne geholfen; uns gesagt, was funktioniert und was eben nicht», erzählt Flurin. Unterstützung erhält das junge Team ausserdem von Marco Somaini, einem Zäziwiler Marketingagentur-Inhaber. Er war es, der das Team ermutigte, das Festival in dieser Grösse zu planen. «Er meinte, den Aufwand hätten wir ja sowieso», sagt Lino.
Die Nervosität bleibt
Die Verantwortung für einen Grossevent zu tragen, sei stressig, da sind sich alle einig. Als Trägerschaft haben die sechs zwar einen Verein gegründet, doch sollten sie nicht genügend Tickets verkaufen, haften sie persönlich für die Deckung der Ausgaben.
Weil sie sich der Belastung bewusst sind, beginnen sie jede ihrer Sitzungen damit, einander zu fragen, wie es gerade geht. Dieser Austausch und das Wissen darum, wie die anderen mit ihren Aufgaben weiterkommen, würden ihn jeweils beruhigen, sagt Lino. Ein stetes Thema seien auch die Zahlen aus dem Vorverkauf – Anfang Juni sind für beide Festivaltage rund 1000 Tickets verkauft.
Wenn alles klappt, wie die sechs es sich vorstellen, steigt in zwei Wochen ihre persönliche Idealvorstellung eines Festivals. Das Programm ist so konzipiert, dass die Bands am Nachmittag auch Familien ansprechen. Getränke und Verpflegung stammen grösstenteils aus der Schweiz, die Glace und der «Chäsbrägu» direkt aus Zäziwil. Das Publikum soll mit dem öffentlichen Verkehr anreisen, deshalb kostet ein Parkticket mit 35 Franken gleich viel wie ein Platz zum Zelten.
«Das Festival soll ein Ort sein, wo sich alle wohlfühlen und niemand ausgeschlossen wird», sagt Irina. Auch beim Line-up hätten sie auf Durchmischung geachtet. «Auf der Bühne stehen etwa 50 Prozent FLINTA-Acts», ergänzt Lino, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen. So hoffen die sechs, verschiedene Menschen anzusprechen und Stadt- und Landbevölkerung zusammenzubringen.
Verdienen will das «Stäcketöri»-Team nichts: «Mit einer schwarzen Null sind wir total zufrieden», sagt Leonie. Und: «Wenn es den Leuten gefällt, machen wir das Festival nächstes Jahr wieder. Der Aufwand für ein zweites Mal wird weniger gross sein, denn wir haben schon so viel gelernt.»
Mehr Informationen unter staecketoeri.ch.